Man kann das durch Neuroparasiten veränderte Verhalten von Wirtsorganismen grundsätzlich als erweiterten Phänotyp des Parasiten auffassen, der somit auch Gegenstand der Selektion und Evolution ist und in der Natur lassen sich Tausende Beispiele dafür finden: die Anpassung eines Organismus an die Umwelt kann eben auch in der Manipulation anderer Organismen bestehen! Wer mehr wissen möchte: Richard Dawkins hat ein sehr gutes Buch über dieses Prinzip geschrieben (s. Literaturempfehlungen). Häufig sind die Mechanismen mit denen Parasiten ihre Wirte steuern, jedenfalls überaus kompliziert und vielschichtig und es gibt für die Forschung noch sehr viel zu tun. Der perfideste Vertreter des Neuroparasitismus ist in meinen Augen übrigens gar kein Tier oder Einzeller, sondern ein Mem: die Religion, ein Nebenprodukt der Evolution des menschlichen Geistes, ein Virus im Substrat von Kognition und Verstand [10,11] (s. auch Literaturempfehlung).
Aber egal ob memetisch oder genetisch: je mehr man sich mit Neuroparasiten oder genauer dem Konzept des Neuroparasitismus befasst, desto eher scheinen sich die Fragen aufzudrängen: wie frei ist mein Wille, bin ich noch ich und sind sie schon in mir?
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Referenzen:
[1] Ohl M, Lohrmann V, Breitkreuz L, Kirschey L, Krause S The Soul-Sucking Wasp by Popular Acclaim – Museum Visitor Participation in Biodiversity Discovery and Taxonomy. (2014) PLoS One 9(4): e95068
[2] Pontoppidan, Maj-Britt, et al. “Graveyards on the move: the spatio-temporal distribution of dead Ophiocordyceps-infected ants.” (2009) PLoS One 4.3: e4835.
[3] Andersen, Sandra B., et al. “The life of a dead ant: the expression of an adaptive extended phenotype.” The American Naturalist (2009) 174.3: 424-433.
[4] Hammerschmidt, K., Koch, K., Milinski, M., Chubb, J. C. and Parker, G. A. (2009), WHEN TO GO: OPTIMIZATION OF HOST SWITCHING IN PARASITES WITH COMPLEX LIFE CYCLES. Evolution, 63: 1976–1986.
[5] Adamo, Shelley A., et al. “A viral aphrodisiac in the cricket Gryllus texensis.” The Journal of experimental biology (2014) 217.11: 1970-1976.
[6] Flegr, Jaroslav. “Effects of Toxoplasma on human behavior.” Schizophrenia bulletin 33.3 (2007): 757-760.
[7] Pedersen, Marianne G., et al. “Toxoplasma gondii infection and self-directed violence in mothers.” Archives of general psychiatry 69.11 (2012): 1123-1130.
[8] Flegr, Jaroslav, et al. “Increased risk of traffic accidents in subjects with latent toxoplasmosis: a retrospective case-control study.” BMC infectious diseases 2.1 (2002): 11.
[9] Flegr, J., et al. “Induction of changes in human behaviour by the parasitic protozoan Toxoplasma gondii.” Parasitology 113.01 (1996): 49-54.
[10] PyysiäinenemailI., Hauser M.The origins of religion : evolved adaptation or by-product? (2010) Trends in Cognitive Sciences 14(3):104–109
[11] T. Kresin „Religion und Evolution – Religiosität als evolutionäres Nebenprodukt normaler psychischer Dispositionen“ Grin Verlag Gmbh
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Literaturempfehlungen:
R. Dawkins „Der erweiterte Phänotyp – Der lange Arm der Gene“, Spektrum Akademischer Verlag; Auflage: 2010
D. Dennet “Den Bann brechen: Religion als natürliches Phänomen“, Insel, Frankfurt 2008
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