Krebs ist eine Krankheit, die untrennbar mit der genetischen Natur unserer Zellen, der Beschaffenheit unserer DNA und den Prinzipien der Evolution verbunden ist.
Eine Tumorzelle verhält sich gewissermaßen wie eine sehr ursprüngliche, “wilde” Zelle. Eigentlich ist alles, was eine Zelle “will”, zwei Zellen zu werden. Eine Zelle ist ja letztlich nur ein Behälter für Replikatoren (Gene bzw. DNA-Abschnitte), die durch Millionen Jahre währende Selektion auf möglichst effiziente Vermehrung eingestellt wurden. Das Durchbrechen der Maßnahmen innerhalb eines organisierten, differenzierten Organismus’, die diesen “Drang” zur Teilung, zur Vervielfältigung einschränken und steuerbar machen, stellt eigentlich nur eine Umorientierung weg vom Allgemeinwohl (Organismus) hin zum Wohl des Einzelnen (Krebszelle) dar. Das ist einer der Gründe, warum Krebs so schwer zu bekämpfen ist, ohne den Rest- bzw. Wirtsorganismus mit zu schädigen, denn das große Problem ist nach wie vor, daß die Krebszelle, im Gegensatz zu z.B. Bakterien, kein Fremder/s von außen ist. Sie ist und bleibt eine Körperzelle, nur eben eine, die den ursprünglichsten biologischen Imperativ der Einzeller und aller „egoistischen“ Replikatoren wiederentdeckt, bzw. dem Imperativ zur Kooperation übergeordnet hat. Krebs ist damit eine nahezu unausweichliche Konsequenz unseres biologischen Soseins und während ein Einzeller z.B. keinen Krebs bekommen kann, wird irgendwann jeder Mensch daran erkranken, falls er nicht vorher an etwas anderem stirbt.
Mit dieser letzten Folge will ich diese Serie zu Krebs abschließen und noch einige übrig gebliebene Punkte ansprechen, die interessant sind und für die Entstehung und den Verlauf von Krebs eine Rolle spielen, in den sechs vorigen Folgen aber nicht angesprochen wurden, in denen ich versucht habe, die sechs wichtigsten Kennzeichen oder Prinzipien dieser rätselhaften und faszinierenden Krankheit zu erklären und zu verdeutlichen, wie viele Sicherheitsbarrieren im Körper gegen die Entartung seiner Zellen errichtet sind und auf wie vielfältige Weise Tumorzellen eben diese Barrieren zu überwinden lernen. Zur Illustration der Kennzeichen und ihres möglichen Zusammenwirkens hatte ich eine Auto-Analogie ersonnen, bei der jedem Kennzeichen eine Störung oder Überwindung eines Sicherheitsmechanismus’ entspricht, wessen fatale Folge letztlich der (tödliche) Unfall ist.
Zusätzlich zu den sechs Kennzeichen gibt es noch zwei den Krebs „begünstigende Eigenschaften“ von Krebszellen und ihrem Umfeld, die ich kurz erwähnen möchte. +
Genetische Instabilität: die Entstehung der sechs Kennzeichen hängt maßgeblich von einer Reihe von Veränderungen (z.B. Mutationen) des Genoms der Krebszellen ab. Bestimmte genetische Veränderungen verleihen einer Zelle und deren Abkömmlingen selektive Vorteile, so daß nach und nach ihr Anteil in der Population von Tumorzellen wächst. Damit wird genetische Instabilität selbst zu einem selektiven Vorteil, der Krebsentstehung und –progression fördert. In gesunden Zellen gibt es mehrere, komplexe und zusammenwirkende Systeme zur Überwachung und Reparatur des Genoms, so daß sich nur sehr wenige Mutationen (die ja spontan entstehen) konsolidieren können. In Tumorzellen ist die Mutationsrate gewöhnlich deutlich erhöht. Die Zellen erreichen dies durch eine Erhöhung der Empfindlichkeit gegenüber mutagenen Substanzen und/oder durch die Störung einer oder mehrerer Komponenten der oben genannten Genom-Überwachungs- und Kontrollsysteme. Eines der Kennzeichen, die Resistenz gegen Apoptose, spielt hier natürlich mit hinein, da so verhindert wird, daß eine (werdende) Krebszelle, deren Genom schon stark beschädigt, also mutiert ist, durch den programmierten Zelltod zerstört wird. Man kennt inzwischen eine ganze Reihe von Defekten, die Komponenten auf allen Wirkebenen der Genomüberwachungssysteme betreffen: Detektion von DNA-Schäden, Aktivierung von Reparaturmechanismen, Durchführung von DNA-Reparaturen sowie Inaktivierung oder Abfangen mutagener Substanzen, bevor sie die DNA beschädigen können. Aber auch der Verlust von Telomeren, den wir schon in der Folge zur Unsterblichkeit kennengelernt haben, muß hier als Effekt, der genomische Instabilität fördert, genannt werden. Das in sehr vielen verschiedenen Arten von Tumoren wiederkehrende Muster von Schäden und Inaktivierung von Teilen der Systeme für Überwachung und Instandhaltung des Genoms unterstreicht also die Rolle der genomischen Instabilität als begünstigende Eigenschaft von Krebs. Besonders tückisch ist hierbei, daß sich dieses Merkmal selbst verstärkt: je mehr Schäden und Mutationen das Genom einer Krebszelle ansammelt, desto schlechter funktionieren die Überwachungs- und Instandhaltungssysteme, was die Rate, mit der Mutationen entstehen und sich konsolidieren, wiederum erhöht und so fort.
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