ResearchBlogging.orgWarnung: in dieser Reihe stelle ich schräge, drastische, extreme oder auf andere Weise merkwürdige Studien und Fallberichte vor, die die Forensischen Wissenschaften in ihrer ganzen Breite und Vielseitigkeit portraitieren sollen, die aber in ihrer Thematik und/oder den beigefügten Abbildungen nicht für alle LeserInnen geeignet sind und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte/bebilderte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.

Daß es an Silvester in Deutschland und anderen Ländern, wo Privatknallerei erlaubt ist, nicht ungefährlich ist, bestätigte sich auch in der Nacht auf den 1.1.2015 wieder einmal: möglicherweise ist die Kombination von (schwer) Berauschten mit Feuer, (teils illegalen und eher als Sprengstoff durchgehenden) Raketen und Böllern einfach etwas bedenklich.

Oder eben tödlich. So, wie im hier in Forensic Science International berichteten Fall aus Italien, wo sich ein 30-jähriger Mann mit illegal erworbenem Profifeuerwerk selbst aus der Welt schaffte und zwei seiner Angehörigen zum Teil schwer verletzte [1]:

Was für  eine Party! Es gab wahrhaftig Grund zu feiern, die ganze Familie war gekommen und die große Überraschung hatte er sich für bis ganz zuletzt aufgehoben. Er hatte sich auf dunklen Wegen professionelle Pyrotechnik besorgt, mit der er sich und seiner Familie ein grandioses Privatfeuerwerk bescheren würde. Dank ein paar Joints und einer Line Koks aufgedreht und in bester Stimmung kündigte er an, daß es nun etwas Tolles zu sehen geben würde. Alle sahen ihm zu, während er die Feuerwerkskörper aus ihrem Versteck holte und auf der Schwelle vom Wohnzimmer zum Balkon deponierte. Er zündete die Lunten an und es wurde still. Zischend und funkensprühend und viel schneller als gedacht raste die Zündflamme in die Behälter. Es gab es einen gewaltigen Schlag und dann …nichts mehr.

Untersuchung des Sterbeorts

Das Wohnzimmer und der Balkon zeigten eindeutige Anzeichen einer Explosion. Die angrenzenden Wände, Decken und die Balkontür waren schwer und auf eine Weise beschädigt, die auf die Einwirkung einer Druckwelle und den Einschlag schrapnellartiger Projektile schließen ließen. Regale waren von den Wänden gefallen, auf dem Boden fanden sich Blutspritzer. Alle Fragmente, die der Explosion zugeordnet werden konnten, wurden gesichert.

Obduktionsergebnisse

äußere L

Verletzungsmuster, schematisch, aus [1]

r Arm

Taschenbildung der Wunde am rechten Arm, aus [1]

Nachdem in der römischen Notfallambulanz nur noch sein Tod festgestellt werden konnte, gelangte ein weißer Kaukasier, 178 cm bei 120 kg, zur Obduktion. Bei der äußeren Leichenschau fielen großflächige thermische Verletzungen (Verbrennungen) im Gesicht, auf dem Brustkorb, den Beugeseiten der Arme und den Vorderseiten der Oberschenkel auf (s. Abbildung links). Die Wunden am rechten Arm zeigten Taschenbildung (s. Abbildung rechts) und eine Teilamputation des Daumens.

Außerdem wiesen dieselben Körperregionen erhebliche und extensive Schrapnellverletzungen durch umherfliegende Fragmente auf: im rechten bzw. linken Unterarm wurden 10 bzw. 12 Fragmente gefunden, in den Schenkeloberseiten insgesamt 34.  Die Fragmente wurden entfernt und so gesichert, daß sie rekonstruierend den Stellen, von denen sie entnommen wurden, zugeordnet werden konnten (s. Abbildung).

r Bein

Zuordnung der aus der Wunde am rechten Bein gesicherten Fragmente, aus [1]

Die Obduktion ergab Befunde für eine begrenzte Subarachnoidalblutung des Kleinhirns und Blutungen in den Weichgeweben von Brustkorb und Hals. Es wurden Brüche des Schlüsselbeins und der ersten beiden rechten Rippen festgestellt. Typisch und erheblich waren die Schäden an der Lunge: deren gesamte Oberfläche zeigte Anzeichen stumpfer Traumata, die Sektion des Organs ließ blutige Hohlräume erkennen. Ungewöhnlicher war der Befund für die Leber: dort fanden sich tiefe Einrisse auf der rechten Seite der Organoberfläche (s. Abbildung)

leber

Einrisse auf der Leberoberfläche, aus [1]

und auch hier Hohlräume im Inneren des Organs. Das Trommelfell und der Gehörgang waren hingegen nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Proben von der Haut, von Hirn-, Lungen- und Lebergewebe wurden schließlich für feingewebliche Untersuchungen, sowie Blut, Urin und Gallenflüssigkeit für toxikologische Analysen entnommen.

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Kommentare (16)

  1. #1 Florian Walter
    Halle (Saale)
    22/01/2015

    Was soll man dazu noch sagen? Vielleicht ein klassischer Fall für einen Darwin-Award :-I

    Nein mal im Ernst. Leider lassen sich solche und “schwächere” Unfälle nicht vermeiden. Pyrotechnik ist Jedem (ab einem bestimmten Alter) in einer gewissen Zeit des Jahres frei zugänglich. Und der Schritt vom “Silvesterböller” zum echten Sprengsatz ist sehr fließend, wie jeder weiß. Allein die Mengen bzw. Mengenverhältnisse entscheiden dabei häufig über Spaß und Krankenhaus. Leider greifen die EU-Verordnungen an dieser Stelle viel zu schwach…

    Hier in der Nähe zu Tschechien und Polen gibt es die sogenannten “Bombas”. Leuchtend grün kündigt sich das Unheil an und nicht selten gehen dabei nicht nur Scheiben zu Bruch. Und die sind mehr oder minder frei in der “Grenzregion” zu erwerben. Meiner Meinung nach handelt es sich hier um echte Sprengsätze und die haben nichts mehr mit Feuerwerk oder Unterhaltung zu tun..Schlimm schlimm…

    lg
    F. W.

  2. #2 rolak
    22/01/2015

    einfach etwas bedenklich

    Es gäbe da einige ‘gerade noch mal gutgegangen’-Geschichten aus der Teeniezeit-Clique…

    Angemessen drastischer Artikel, da paßt Händel zum Ausgleich ganz gut, bleibt unergänzt.

  3. #3 JaJoHa
    23/01/2015

    Wie sind eigentlich die Knochenbrüche entstanden? Durch die Druckwelle?

  4. #4 Cornelius Courts
    23/01/2015

    @JaJoHa: “Durch die Druckwelle?”

    Genau. Die muß ihn an seiner rechten Körperhälfte aus allernächster Nähe wirklich voll erwischt haben.

  5. #5 Cornelius Courts
    23/01/2015

    @Florian: “um echte Sprengsätze und die haben nichts mehr mit Feuerwerk oder Unterhaltung zu tun..Schlimm schlimm…”

    Ja, wirklich krass. Bei dem Zeug müßte man mal die Reaktionsgeschwindigkeit messen und schauen, ob das schon in den Bereich Detonation geht. Dann hätte das wirklich nichts in den Händen von Zivilisten zu suchen!

  6. #6 noch'n Flo
    Schoggiland
    23/01/2015

    Hier in der Schweiz hat ja das Böllern zu Silvester eher weniger Tradition, als vielmehr das Feuerwerk zum 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag (also ähnlich wie in den USA). Hierbei liegt der Unterschied zu Deutschland im Wesentlichen darin, dass viele Leute ihr Feuerwerk bereits deutlich vor 24 Uhr abbrennen, was zur Folge hat, dass auch der Alkoholpegel bei vielen Hobby-Feuerwerkern beim Abbrennen deutlich niedriger ist. Und so dürfte es kaum verwundern, dass es dabei auch deutlich weniger schwere Verletzungen gibt, als zu Silvester in Deutschland.

    In den letzten Jahren hat jedoch – vor allem durch die stetig steigende Zahl deutscher Einwanderer – auch das Silvesterfeuerwerk in der Schweiz deutlich zugenommen. Ich habe zwar noch keine Statistik dazu gefunden, von in den Spitälern arbeitenden befreundeten Notärzten konnte ich jedoch schon öfters hören, dass zu Silvester deutlich mehr Verletzte infolge Feuerwerks in den Notfallambulatorien behandelt werden, als am 1. August, dass diese nicht selten auch deutlicher alkoholisiert seien. Und es handele sich auffallend oft um Deutsche.

    Nebenbei: bis 2013 konnte sogar jeder Über-18-Jährige in der Schweiz ganz legal Feuerwerk der Klasse IV erwerben (welches beispielsweise in Deutschland ausschliesslich professionellen Pyrotechnikern vorbehalten ist). Es musste lediglich eine genaue Einweisung in Gebrauch und Sicherheitsrichtlinien stattfinden, deren Durchführung dann von Käufer und Verkäufer jeweils mit ihren Unterschriften in einem Übergabeprotokoll, welches auch Name und Anschrift des Käufers enthielt, bestätigt wurde.

    2013 musste die Schweiz infolge der bilateralen Verträge eine EU-Verordnung übernehmen, aufgrund derer jetzt der Nachweis an einem speziellen Kurs sowie die Vorlage einer Abbrenngenehmigung der Gemeinde beim Erwerb von Klasse-IV-FW notwendig ist. Der Verkauf dieser grosskalibrigen Feuerwerkskörper ist seitdem deutlich zurückgegangen.

    Aber komischerweise hatte es in all den Jahren, in denen solches Profi-FW frei erhältlich war, erstaunlich wenig schwere Unfälle damit gegeben. Es kommt halt eben doch in erster Linie auf die Benutzer an, weniger auf das FW (sofern es sachgerecht hergestellt wurde).

  7. #7 Bullet
    23/01/2015

    Nun ja: Alkohol und gefährliche Gegenstände sind eine Kombination ähnlich der von Natrium und Wasser.
    Besoffene, die Spaß haben wollen, und sehr gefährliche Gegenstände sind eine Kombination ähnlich der von Landmine und Blinder.
    In der Tat:
    q.e.d

  8. #8 Andreas Wetzer
    Mittelholstein
    23/01/2015

    Hallo Cornelius, zunächst einmal vielen Dank für deinen Blog und noch einmal für den aktuellen Artikel. Ich bin begeistert von deiner lockeren fachlichen Art, diesen Fall fachlich sowohl aus der Sicht eines Forensikers wie auch Mediziner zu schreiben.Ich befasse mich seit Jahrzehnten mit den Auswirkungen von USBVs wie auch konventionellen Sprengmitteln auf Materialien und Körper. Das alles aus der Sicht eines fortgebildeten Laien und Praktiker. Zunächst war es die jugendliche Neugier(Unkraut Ex usw),dann die rein militärische Sicht, heute der berufliche Hintergrund. Dieses tun theoretischen Ansätze sind mir hierzu bekannt. Allerdings ist jeder Fall wie dieser, entschuldigt den Begriff angesichts des Todes faszinierend. Denn wir ķönnen noch so viel simulieren, die Praxis kehrt uns unglaubliche Vorgänge außerhalb der theoretischen Überlegung. Insbesondere eure ungeheuer akribische Arbeit kann für nicht hoch genug bewertet werden. Freue mich noch weiteres aus der Praxis zu hören. Weitere Anmerkungen zu deiner Arbeit und dem Thema sprengen den Rahmen hier. Ich habe mittlerweile einige Gigabyte Daten gesammelt und werde nicht müde Siege hier. Lieben Dank Andreas

  9. #9 noch'n Flo
    Schoggiland
    24/01/2015

    Ich finde ja, dieser Fall wäre auch etwas für die Serie “1000 Wege, ins Gras zu beissen” ( https://de.wikipedia.org/wiki/1000_Wege,_ins_Gras_zu_beissen ). Kennt die hier eigentlich jemand?

  10. #10 JaJoHa
    24/01/2015

    @noch’n Flo
    Dann gefallen dir sicher auch einige Sachen aus, die unter “How not to do it” laufen. Nicht immer tödlich, aber einige sehr “kreative” Zwischenfälle.

  11. #11 eh i
    27/01/2015

    kurz vor dem jahreswechsel gab es zwei zwischenfälle in Ö.
    der zweite fall ist unglaublich, die haben einen ganzen bauernhof in schutt und asche gelegt.

    Fußballer hielt Böller für bengalisches Feuer
    https://kurier.at/chronik/oesterreich/andreas-schicker-irrtum-fussballer-hielt-boeller-fuer-ein-bengalisches-feuer/98.870.363

    Stmk: Vater und Sohn bei Hausexplosion getötet
    https://www.krone.at/Oesterreich/Stmk_Vater_und_Sohn_bei_Hausexplosion_getoetet-Schwarzpulver-Unfall-Story-427804

  12. #12 Cornelius Courts
    27/01/2015

    @Flo: “Kennt die hier eigentlich jemand?”

    Bisher leider noch nicht. Und das als Forensiker. Das hat sich zu ändern!

  13. #13 noch'n Flo
    Schoggiland
    27/01/2015

    @ CC:

    Der Hirsch (“Du röhrst!” – a.k.a. “YouTube”) hat jede Menge Einzelvideos auf Lager, die kompletten Sendungen gibt es derzeit bei DMAX wochentags um 0:15 als Doppelfolge (ideal, wenn man mal nicht einschlafen kann).

    Meine Lieblingstodesart waren die zwei Deppen, die sich an Härte gegenseitig überbieten wollten, und deswegen rote Ameisen gesnieft haben (natürlich lebende).

    Und sehr schön Todesart #1000 – da stirbt jemand friedlich nach einem langen Leben ohne Dummheiten im Krankenhaus, während um ihn herum die ganzen Deppen aus den vorherigen Folgen in der Notaufnahme krepieren.

  14. #14 Cornelius Courts
    29/01/2015

    @Andreas Wetzer: danke für die interessante Rückmeldung 🙂

  15. #15 Dirk
    03/02/2016

    Hallo Cornelius,

    ein wirklich sehr interessanter Bericht. Ich bin selber Feuerwerks-Helfer und ich versuche anhand solcher Berichte anderen (vor allem Jugendlichen) die Gefahren illegal beschaffter (Profi) Feuerwerkskörper klar zu machen. Deinem Bericht nach muss es sich um eine 75mm Blitz-Bombe gehandelt werden, die bei Großfeuerwerken als Eröffnungs- oder Schluss Salut geschossen werden. Explodiert ein solcher Feuerwerkskörper am Boden, zerlegt es alles was im Umkreis von 5 bis 10 Metern steht. Oft wir hier die von Dir beschriebene Perchlorat Mischung eingesetzt, allerdings nicht in den von Dir angegebene Mengen. Ich würde mal auf 80-120 Gramm tippen, kann das aber gerne mal bei einem Hersteller genau nachfragen. Für 4 Kilo wäre schon eine 200mm bis 300mm Salut Bombe notwendig. Während man die 75 Variante bestimmt ohne Probleme im ost-europäischen Ausland relativ leicht “organisieren” kann, ist das bei den größeren Bomben nicht möglich, da sie nur sehr selten hergestellt werden. Der Grund dafür ist relativ einfach. bereits eine 75mm Bombe ist so laut, das auch mit größeren Kalibern kaum einen lauterer Knall erzeugt werden kann – von den Kosten und der Gefährdung beim Transport mal ganz abgesehen. Daher würde mich interessieren, ob der eingesetzte Feuerwerkskörper näher identifiziert wurde und wie Du auf die Menge vom 4 KG gekommen bist. Wie gesagt – , bei diesen Mengen reichen schon solche “kleine Menge” aus. Aus eigener Erfahrung kann ich Dir sagen, das selbst eine 75mm Bombe die nur eine Höhe von 20 Metern erreicht , Dich noch locker aus den “Angeln haut” und Dich ein paar Meter durch die Luft bewegt.

  16. #16 Cornelius Courts
    04/02/2016

    Hi Dirk
    und danke für den interessanten Kommentar. Schon krass, welche Zerstörungskraft diese Feuerwerkskörper entfalten können.
    Die Mengenangaben im Artikel stammen nicht von mir, sondern von den Autoren der Studie.