Solange Menschen an forensischen Ermittlungen beteiligt sind, wird es in diesen Ermittlungen zu Fehlern kommen. Solange es theoretisch zu Fehlern kommen kann, die nachträglich entdeckt und korrigiert werden können, darf kein Urteil mit endgültigen Folgen darauf gegründet werden. Dieses einfache (wenngleich nicht einzige) Argument sollte für jeden vernünftigen und nicht völlig verrohten Menschen ausreichen, um die sofortige und weltweite Abschaffung der Todesstrafe zu befürworten.
Nicht einmal die DNA-Analyse, die eigentlich als forensischer „Goldstandard“ gilt, ist immun gegen Fehler: beispielsweise eröffnet die Analyse von Mischspuren (eines der kompliziertesten Probleme in der DNA-Analytik) größeren Spielraum bei der Interpretation und Dror und Hampikian konnten zeigen, daß kognitive Verzerrung in Form des „contextual bias“, also die vorherige Kenntnis kontextueller Informationen, auf die Interpretation einer solchen Spur einen erheblichen Einfluss haben kann [10]. Als DNA-Analytiker muß ich mir dessen bewußt sein, bin ich aber dennoch froh, daß die forensische Untersuchung, die meine tägliche Arbeit darstellt, die am wenigsten fehlerbehaftete bzw. „elastische“ [11] ist und sogar herangezogen wird, um die Ergebnisse anderer Methoden zu überprüfen bzw. sogar nachträglich zu verwerfen (s. Innocence-Projekt). Im NAS-Bericht heißt es dazu:
Mit Ausnahme der Analyse nukleärer DNA konnte bisher für keine einzige forensische Untersuchungsmethode unter strengen Anforderungen nachgewiesen werden, daß sie konsistent und mit einem hohen Grad an Sicherheit eine Verbindung zwischen Beweismaterial und einem spezifischen Individuum bzw. einer Quelle belegen kann. […] Neue Zweifel an der Genauigkeit einiger forensischer Praktiken sind im Zuge der steigenden Anzahl DNA-basierter Entlastungen Unschuldiger (und der konkomitanten Erkenntnis, daß viele Schuldige noch frei sind) entstanden. Die Ansprüche an präzise forensisch-wissenschaftliche Beweisführung, die durch DNA-Untersuchungen stark erhöht wurden, erzwingen nun eine eingehende Prüfung anderer forensischer Techniken. (Übersetzung CC)
Wie bereits angedeutet, besteht ein grundsätzliches Problem darin, daß forensische Untersuchungsmethoden, die (in hohem Maß) auf der Interpretation eines Experten beruhen, besonders fehleranfällig sind (eben wie ein Mensch). Einzuräumen, daß der größte Schwachpunkt in einem Analyseverfahren sie selbst sind, kratzt jedoch an der Eitelkeit mancher Untersucher und die für wissenschaftliche Arbeit unerlässliche aber auch für die Routineforensik zu fordernde Bereitwilligkeit, eigene Annahmen und Hypothesen im Lichte neuer bzw. gegenläufiger Evidenz zu verwerfen, ist nicht bei allen Menschen gleich ausgeprägt. Erschwert wird das Problem noch durch einen verbreiteten Verleugnungsreflex: die Annahme, daß einem selbst keine Fehler unterlaufen und man gefeit vor kognitiver Verzerrung sei, ist selbst eine kognitive Verzerrung. Hier hilft nur, die Existenz und Auswirkungen kognitiver Verzerrung durch regelmäßige Schulungen und Fortbildungen bewußt zu machen und zu halten und auf technischer, personeller aber auch organisatorischer und institutioneller Ebene Maßnahmen zu ergreifen, die Fehler zwar vermeiden, aber auch entdecken können und dann eine Offenlegung und Diskussion ermutigen.
In meinen Augen ist es daher grundfalsch, wenn Forensiker diesen CSI-konformen, populär-medialen Nimbus der Unfehlbarkeit kultivieren und am Ende sogar selbst darauf hereinfallen [9]. Wie gefährlich das sein kann, zeigt (nicht nur) der aktuelle Skandal. Es ist aber auch überhaupt nicht nötig: ich finde nicht, daß das wichtige Vertrauen in die Forensik(er) erschüttert oder ihre Bedeutung für Strafverfolgung und Rechtsprechung geschmälert wird, wenn wir offen einräumen, daß wir genauso anfällig für Fehler sind, wie andere Menschen auch. Da unsere Gutachten aber von besonders großer Tragweite sein und besonders schwere Folgen für andere Menschen haben können, müssen wir in unseren Methoden die Einflussmöglichkeit menschlicher Fehler, deren neuronale und psychologische Grundlagen wir kennen sollten, so gering wie möglich halten, Systeme zur Aufspürung und Nachverfolgung von Fehlern einrichten und mit unseren Abläufen untrennbar verflechten und bei der Bericht- und Gutachtenerstattung immer und grundsätzlich auf die Grenzen der Aussagekraft sowie die Fehlerbereiche der jeweils angewandten Methoden verweisen. Und da Angst vor Fehlern nicht mit der Vermeidung von Fehlern korreliert, ist es entscheidend, eine Fehler-Kultur zu etablieren, in der Fehler konsequent und offen aber ohne Angst kommuniziert und nachverfolgt werden können und in der die Vertuschung eines Fehlers, die viel schlimmer ist, als der Fehler selbst, von niemandem als notwendig empfunden wird.
Irren ist menschlich, aber auf Irrtümern zu beharren ist teuflisch.
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