Heute habe ich zwei Dinge zu berichten, die nicht viel miteinander zu tun haben, außer, daß sie sich im Hirn abspielen.
Daß man sich mit Koffein sogar umbringen kann, weiß nicht jeder (und habe ich schon anderswo erzählt), aber daß Koffein vor dem Schlafengehen auch keine so gute Idee ist, ist allgemein bekannt. Ausreichender und guter Schlaf ist für Gesundheit und Lebensqualität unerlässlich und die verbreitete Einnahme von Koffein zur falschen Zeit trägt wahrscheinlich zur wachsenden Inzidenz von Schlafproblemen in der Gesellschaft bei.
Aber warum eigentlich? Erst seit kurzem weiß man [1], daß die Menge Koffeins, die einem Doppelten Espresso entspricht, am Abend eingenommen die innere Uhr des Menschen, den sogenannten zirkadianen Rhythmus, stört und verlangsamt, indem Koffein als Gegenspieler (Antagonist) an den Rezeptoren im Hirn für den körpereigenen Schlaffaktor Adenosin fungiert.
Dazu muß man wissen, daß der Schlaf-Wach-Rhythmus durch fein abgestimmte Wechselwirkungen zwischen homöostatischen und zirkadianen Prozessen reguliert wird [2]. Homöostatischer Schlafdruck baut sich während der Wachphase auf und wird im Schlaf wieder abgetragen, wohingegen die zirkadiane Uhr bestimmt, wann der Schaf einsetzt. Am besten kann man Schlafbedarf durch die Messung von Deltawellen im Tiefschlaf nachweisen und weil Koffein die Deltaaktivität im Schlaf abschwächt und die Adenosinrezeptoren blockiert, wurde schon länger vermutet, daß Adenosin und seine Rezeptoren eine Rolle für die Schlafhomöostase spielen [3]. Daß Koffein wie erwähnt offenbar auch Auswirkungen auf die zirkadiane Uhr hat, ist ein wichtiger Befund, weil der Schlaf und die zirkadianen Systeme untrennbar auf genetischer, molekularer und das Verhalten betreffender Ebene verbunden sind:
In der streng kontrollierten Studie [1] fand man, daß Koffein stark und durchgängig den Melatoninrhythmus um ca. 40 Minuten verzögerte, was in etwa halb so stark ist, wie helles Licht zur Schlafenszeit (Licht ist ein wichtiger Taktgeber für die zirkadiane Uhr und Melatonin ist ein Hormon, dessen Spiegel rhythmisch steigt und fällt und das im Menschen den zirkadianen Rhythmus etlicher physiologische Prozesse steuert und markiert). Den biochemischen Signalweg, über den die Bindung des Koffeins an die Adenosinrezeptoren diese Wirkung entfaltet, konnte man anhand von Kulturen genetisch modifizierter Zellen aufklären, die über 10.000 verschiedene Proteine exprimierten, darunter Adenosinrezeptoren, mehrere Phosphodiesterasen und Ryanodin Rezeptoren.
Solche Zellkulturen, die man auch dazu bekommen kann, einen schlafartigen Zustand zu simulieren, indem ein neuronales Aktivitätsmuster erzeugt wird, das dem Schlafzustand ähnelt, eignen sich daher sehr, grundlegende Fragen zu elektrophysiologischen, genetischen und molekularen Merkmalen aber auch der Pharmakologie des Schlafes zu untersuchen. Zusammen mit physiologischen Ansätzen wird das spannende Möglichkeiten zur Erforschung der molekularen Grundlagen des menschlichen Schlafes und der Entwicklung evidenzbasierter Therapieansätze für seine Störungen eröffnen.
Na, schon müde von ein bißchen Forschung und zu wenig Koffein? Im Hirn gibt es aber keineswegs nur molekulare Schalter, die uns in Schlaf versetzen, sondern auch tödliche Schalter, „kill switches“, die die instinktive Aversion des Menschen gegen das Töten ausknipsen können, wofür besonders das 20 Jhdt. etliche monströse Beispiele gegeben hat und was in diesen Tagen immer wieder auf’s Neue durch die Grausamkeiten der ISIS unter Beweis gestellt wird.
Daß es soziale und umgebungsbezogene Bedingungen gibt, die solche Taten mit anbahnen oder fördern können, ist unstrittig doch gibt es biologische Mechanismen, die unter solchen Bedingungen in normalen, nicht gewalttätigen Menschen diesen Schalter umlegen? Alles menschliche Verhalten beginnt im Gehirn, welches kognitive und emotionale Informationen verarbeitet und letztlich entscheidet, was man tut. Was also passiert in diesem Organ in genau dem Moment, in dem die natürliche Abscheu eines Menschen einem anderen weh oder ein Leid anzutun, aus der Berechnung herausfliegt? Wie können Veränderungen in den neuronalen Verschaltungen die ideologiegesteuerten kognitiven Teile des Gehirns von den emotionsgesteuerten Teilen, die normalerweise als Korrektiv für das Verhalten fungieren, loslösen und normale Menschen zu mehrfachen Mördern machen?
Mit dieser Frage hat sich eine Konferenz in Paris mit dem interessanten Titel „The Brains that pull the Trigger“ („Die Hirne, die den Abzug drücken“) befaßt und darüber Neurowissenschaftler, Psychologen, Historiker und Soziologen ins Gespräch gebracht. Als Illustration des komplexen und viele verschiedene Annäherungsweisen zulassenden Problems mag ein Ausschnitt aus einer Präsentation der Konferenz dienen: man zeigte die Dokumentation einer Befragung hunderter unausgebildeter deutscher Reservisten nach dem Zweiten Weltkrieg, die 1942 eingezogen worden waren und Zehntausende polnische Juden ermordeten. Die Transkripte der Befragungen belegten, daß der Kommandant den Reservisten freigestellt hatte, sich an den Tötungen nicht zu beteiligen, wovon lediglich einer von zehn Gebrauch machte.
Auch wenn sich viele der beteiligten Wissenschaftler schwer damit taten, dieses Phänomen aus der Sicht und mit den Werkzeugen ihrer Disziplin anzugehen und gut darin aufgehoben zu finden, finde ich doch eine solche multidisziplinäre Konferenz einen wichtigen und ermutigenden Ansatz, sich wissenschaftlich mit einem der größten Probleme der Menschheit zu befassen. Und indem man sich mit der politisch neutralen Neurowissenschaft von Schaltern im Hirn befaßt, kann man vielleicht Fortschritte machen, ohne sich in nutzloser Rhetorik zu verlieren. Und vielleicht lassen sich so auch Wege finden, Menschen auf eine Weise zu erziehen (oder zu bilden?), die sie besser davor feit, ideologischen Einflüsterungen oder gar Tötungsbefehlen zu gehorchen.
Wie sehen das die LeserInnen?
______
Referenzen:
[1] Burke, T. M., Markwald, R. R., McHill, A. W., Chinoy, E. D., Snider, J. A., Bessman, S. C., … & Wright, K. P. (2015). Effects of caffeine on the human circadian clock in vivo and in vitro. Science translational medicine, 7(305), 305ra146-305ra146.
[2] Ruggiero, J. S., & Redeker, N. S. (2013). Effects of napping on sleepiness and sleep-related performance deficits in night-shift workers: a systematic review. Biological research for nursing, 1099800413476571.
[3] Landolt, H. P., Rétey, J. V., Tonz, K., Gottselig, J. M., Khatami, R., Buckelmuller, I., & Achermann, P. (2004). Caffeine attenuates waking and sleep electroencephalographic markers of sleep homeostasis in humans. Neuropsychopharmacology, 29(10), 1933-1939.
___
Extra-Service: Soundtracks zur Lektüre 🙂
Kommentare (13)