Die 3D-Oberflächenscans wurden mit einer Software bearbeitet, die eine Übereinanderlagerung der Bilder ermöglicht (Superimposition) wodurch ersichtlich wurde, daß der Schnabel des Bussards in Form, Dicke und Länge sehr gut zu der Gesichtswunde des Verstorbenen paßte.
Die DNA-Analyse der Proben vom Vogelschnabel schließlich ergab eine sehr geringe DNA-Konzentration und erbrachte daher nur ein Teilmischprofil, das aber in bis zu 12 darstellbaren von 16 getesteten STR-Systemen dem Vergleichsprofil des Verstorbenen entsprach, womit er als Miturheber der Blutspur in Betracht kam. Zudem gab es zusätzliche Signale, die nicht vom Verstorbenen stammen konnten und auf drop-in-Artefakte oder Kontamination zurückgeführt wurden. In den Proben von den Klauen und der Schwanzfeder konnte hingegen keine menschliche DNA gemessen und daher daraus kein DNA-Profil erstellt werden.
Eine Anfrage bei der schweizerischen Vogelwarte in Sempach zum Verhalten von Bussarden ergab schließlich, daß diese Tiere nur extrem selten und dann meist zur Verteidigung ihrer Nester Menschen angreifen wobei es nur zu kleineren Verletzungen komme, daß allerdings schon mehrfach beobachtet worden sei, daß Mäusebussarde Scheinangriffe von hinten auf Jogger und Radfahrer durchgeführt hätten, ohne daß es allerdings zu Körperkontakt gekommen sei.
Wenn man nun diese Befunde, die aus verschiedenen forensisch-wissenschaftlichen Disziplinen stammen, zusammennimmt, ergibt sich ein anderes Bild des Unfallgeschehens als zunächst vermutet. Das wahrscheinlichste Szenario ist demnach, daß der Motorradfahrer während des Überholvorgangs mit dem von rechts kommenden Vogel zusammenstieß, woraufhin es zu einem kurzen „Kampf“ kam, wobei der Bussard dem Fahrer mit dem Schnabel ins Gesicht hackte und die festgestellte Wunde verursachte, wodurch der Fahrer die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und mit dem entgegenkommenden Auto kollidierte. Die Untersuchung des Helms erbrachte keine Hinweise, die dagegen sprachen, daß das Visier beim Zusammenprall mit dem Vogel offen war oder während des „Kampfes“ hochgeklappt wurde und die Tatsache, daß sich die Wunde auf der linken Gesichtsseite befand, wohingegen die Verletzungen des Vogels auf einen Anflug von rechts hindeuten, spricht dafür, daß es nicht nur einen kurzen Auf- und Abprall, sondern eine Art „Kampf“, im Rahmen dessen der Bussard mit dem Schnabel gehackt hatte, gegeben hatte.
Dafür sprechen auch die DNA-Befunde, die einen starken Hinweis auf DNA des Fahrers auf dem Schnabel des Vogels gaben. Die mindere Qualität des DNA-Profils rührt möglicherweise von der chemischen Degradierung der DNA durch das Benzin her, mit dem der Vogel durchtränkt war.
Nach Abschluß der forensischen Ermittlungen stellte sich bei der Polizei ein Augenzeuge vor, der das Unfallgeschehen beobachtet hatte und die forensische Rekonstruktion der Ereignisse vollständig bestätigte: er hatte gesehen, wie der Fahrer, der gerade das Auto vor ihm überholte, von rechts von einem Vogel in vollem Flug auf die Brust getroffen worden war, woraufhin sich ein kurzes „Gerangel“ entspann, bei dem der Fahrer nach links verriß und in das entgegenkommende Fahrzeug krachte.
Dieser erste Bericht in der forensischen Literatur über einen tödlichen Verkehrsunfall eines Motorradfahrers, der durch einen Vogel verursacht wurde, belegt anschaulich den Wert rechtsmedizinischer Institute (mit guter Ausstattung!) und der durch sie ermöglichten transdisziplinären forensisch-wissenschaftlichen Zusammenarbeit bei der Rekonstruktion komplexer Unfall- oder Tatgeschehen.
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Referenzen:
[1] Tschui, J., Feddern, N., Schwendener, N., Campana, L., Utz, S., Schweizer, M., … & Zech, W. D. (2015). When the prey gets too big: an uncommon road accident involving a motorcyclist, a car and a bird. International journal of legal medicine, 1-5.
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