Das evolutionäre Konzept des Parasitismus ist in der Biologie fundamental und ungemein erfolgreich und die Ko-Evolution von Wirten und deren Parasiten läßt sich anhand zahlreicher Beispiele belegen. Von der Ko-Evolution und den geschlagenen Schlachten zwischen dem Menschen und unseren viralen Parasiten kündet u.a. die Tatsache, daß ungefähr unser halbes Genom aus eigentlich inaktiven aber ab und zu doch ‘mal eine Runde drehenden parasitären Atavismen besteht, die möglicherweise gemeinsame Vorfahren mit den Viren hatten [1].

Kürzlich erst jedoch fand man heraus, daß die Spuren, die die Viren in uns hinterlassen haben, noch deutlich tiefer sind, als angenommen: die Gruppe um D. Petrov zeigte, daß Viren offenbar die wichtigsten Triebfedern für Adaption im menschlichen Genom sind/waren und daß 30% der adaptiven Aminosäureveränderungen in unserem Proteom als Reaktion auf Viren entstanden sein könnten [2]!

Daß es zwischen Viren und ihren Wirten ein evolutives Wettrüsten gibt, dergestalt, daß immer neue Abwehrstrategien gegen Viren entstehen und Viren diese ihrerseits durch Anpassung immer wieder überwinden, ist lange bekannt. Neue Techniken wie NGS und bessere Analysetools versetzen die Forscher aber jetzt erstmals in die Lage, die Virus-Wirt-Interaktionen in viel größerer Tiefe und mehr Detail zu untersuchen. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang einerseits die Proteine des Wirts, die Viren für ihre Produktion fremdnutzen und andererseits Proteine, die an die Viren angepaßt werden und z.B. zur angeborenen Immunantwort gehören.

Zunächst filterte die Gruppe nach Recherchen aus einer Liste von ca. 10.000 Proteinen, die in Genen codiert waren, welche in 24 Säuger-Genomen konserviert sind, eine Gruppe von ca. 1300 Proteinen heraus, die mit Viren interagieren. 80% dieser 1300 Proteine hatten keine offensichtliche antivirale oder immunrelevante Funktion.

So genannte virus-interagierende Proteine (VIPs) passen sich sehr viel schneller an Viren an, als andere Proteine mit ähnlichen Funktionen und bei den VIPs für die Virentypen, für die es die meisten VIPs gibt, darunter auch HIV, HPV und Influenza-Viren, fanden die Forscher dreimal mehr Adaptionen als in nicht-VIPs.

Bei Immunsystem-Proteinen ist die Anpassung an Viren natürlich sinnvoll und zu erwarten, neu und überraschend war der daher Befund, daß so viel Adaption in Proteinen festgestellt wurde, die keinen Bezug zum Immunsystem haben. Der Einfluß von Viren auf unser Proteom und mithin große Teile unseres Stoffwechsels war also viel größer als vermutet. In der Tat kennt man einige Beispiele von Viren, die grundlegende Haushaltsfunktionen der Zelle kapern, die nichts mit dem Immunsystem zu tun haben, zu nennen wären da der Transferrin-Rezeptor, der zur Eisenaufnahme dient [3] und das Niemann-Pick Typ C1 Protein, das am Transport von Cholesterin und anderen Lipiden beteiligt ist  [4].

Die neue Studie erfaßt Adaptionen seit dem Zeitpunkt vor ca. 7 Mio Jahren, als sich entwicklungsgeschichtlich Mensch und  Schimpansen voneinander abtrennten. D. Enard (aus derselben Gruppe) befaßt sich jetzt mit den Auswirkungen bestimmter Viren auf etwas rezentere (~50.000 Jahre) Proteinadaptionen. Eine Schwierigkeit dabei ist, die drastisch unterschiedlichen Evolutionsgeschwindigkeiten von Mensch und Virus in Einklang zu bringen, denn während eine Mensch mit einer Generationsdauer von einigen Jahrzehnten ungefähr 10.000 Jahre braucht, um sich an ein Virus anzupassen, evolvieren Viren so schnell, daß sie etwa innerhalb weniger Wochen immun gegen eine bestimmte Therapie werden können. Etwas verlangsamt wird die virale Adaption durch die Notwendigkeit, mit mehreren Wirtsproteinen zu interagieren. HIV und Influenzaviren beispielsweise benötigen hunderte Ko-Faktoren um sich zu vervielfältigen. Vielleicht ist es daher eine Möglichkeit, sich die langsamere Evolution der Wirtsorganismen zunutze zu machen und antivirale Wirkstoffe herzustellen, die die Wirtsproteine zum Ziel haben, statt das Virus.

Fest steht jedenfalls , daß VIPs ein guter potentieller Angriffspunkt sind, um gegen Viren vorzugehen und je mehr man kennt, desto größer wird die Auswahl. Fest steht auch, daß noch lange nicht alle bekannt sind.

__________

Referenzen:

[1] Witzany, Günther. “Natural genome-editing competences of viruses.” Acta Biotheoretica 2006; 54.4: 235-253.

[2] Enard D, Cai L, Gwennap C, Petrov DA. Viruses are a dominant driver of protein adaptation in mammals. Elife. 2016 May 17;5. pii: e12469.

[3]. Demogines A, Abraham J, Choe H, Farzan M, Sawyer SL. Dual host-virus arms races shape an essential housekeeping protein. PLoS Biol. 2013;11(5):e1001571.

[4]  Côté M, Misasi J, Ren T, Bruchez A, Lee K, Filone CM, Hensley L, Li Q, Ory D, Chandran K, Cunningham J. Small molecule inhibitors reveal Niemann-Pick C1 is essential for Ebola virus infection. Nature. 2011 Aug 24;477(7364):344-8.

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Kommentare (9)

  1. #1 RPGNo1
    02/09/2016

    Virus-interagierende Proteine (VIP) könnten somit in der Zukunft ein weiteres Mittel gegen Viruserkrankungen darstellen. Ein spannendes Thema, obwohl es sicherlich immer wieder Rückschläge bei der Erforschung dieser VIP geben wird.
    Ich hoffe nur, dass nicht die Zeitung mit den vier großen Buchstaben oder ein anderes Tabloid zu schnell auf den Trichter kommen wird. Diese Schlagzeilen möchte ich mir nicht vorstellen. 🙁

  2. […] die Viren doch einiges gemeinsam, vor allem wenn man mal genau unsere Proteine an schaut. Das hat Blood’n’Acid […]

  3. #3 michanya
    17/09/2016

    16 – 32 – 64 – das Virus geschaffen aus Raum und Zeit in der Quantenphysik 1,6 … – mit Entwicklung zum Kristall und 32 Kristallklassen – als leblose Zwischenstufe mit Übergang und Weiterentwicklung zum Leben mit der DNA – als Basenkombination 4x4x4 = 64.

    Die URSUPPE war heiss und es brodelte überall – bis sich das BROT des Lebens herauskristallieren konnte – mit Immunabwehr gegen den Klassenfeind das Virus …

    Die ZUKUNFT Gesundheit für ALLE – biotec4u

  4. #4 RPGNo1
    17/09/2016

    @michanya
    Und sonst geht es dir gut? Ich würde ein bisschen weniger von dem Zeug einwerfen, was du täglich so schluckst.

  5. #5 Cornelius Courts
    17/09/2016

    @RPGNo1: ” Ich würde ein bisschen weniger von dem Zeug einwerfen”

    und nicht immer alles durcheinander…
    Alter, hat der die Socken offen!

  6. #6 RPGNo1
    17/09/2016

    @CC
    ScienceBlogs hat sich anscheinend einen neuen persönlichen Trollvirus eingefangen. Drüben bei Florian ist er auch schon aufgeschlagen.
    https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/06/09/unloesbar-und-faszinierend-das-dreikoerperproblem/#comment-980604

  7. #7 michanya
    17/09/2016

    … bin TOP GESUND – Knoblauch mistel halt fit – Dusche nicht so oft – mein natürlicher ph wert heilt von aussen – mach am morgen tau Wanderung in fresh gras … im Sommer keine socken wegen guter Luft mit Jesus Latschen – und im Chaos liegt die Ordnung …

    alles was derMENSCH braucht – biotec4u

  8. #8 Cornelius Courts
    17/09/2016

    @RPGNo1: “einen neuen persönlichen Trollvirus ”

    werde mal kurz impfen…

  9. #9 ralf sommer
    Mönchengladbach
    10/12/2023

    “Daß es zwischen Viren und ihren Wirten ein evolutives Wettrüsten gibt, dergestalt, daß immer neue Abwehrstrategien gegen Viren entstehen und Viren diese ihrerseits durch Anpassung immer wieder überwinden, ist lange bekannt.”

    Könntest Du bitte an meine Mail Adresse die dazu einschlägige Publikation verlinken ?
    Meines Wissens und ich suche seit über 13 Jahren existiert kein einziger wissenschaftlicher Existenzbeweis für Influenza Viren, HIV Viren oder was auch immer für Viren ( Masern, Sars-CoV 2 ect. )
    Das Viren ja der Hypothese nach selbst keinen Stoffwechsel besitzen und selbst gar nicht aktiv sind, müssten sie vom Wirt aufgenommen, an die entsprechende Stelle transportiert und dort vom Wirt selbst vermehrt werden.
    Das “Wettrüsten” kann also nur der Wirt mit sich selbst veranstalten.
    Die von Dir beschriebene “Evolution” ich denke Du stellst dabei auf die sogenannten Virus Mutationen werden doch durch den Vergleich der Sequenzen bestimmt, die aber stets von einem Sequenzmodell zu anderen behauptet wird ohne jemals ein vollständiges “Virus Genom ” bestimmt zu haben. Es ist also stille Post.
    Schaut man sich an wie mittels cytopathischem Effekt und der anschließenden Konstruktion eines genom Modells aus kurzen Basen des Überstands ein Virus Modell am PC mit MegaHit oder Trinity errechnet wird, dann hat das doch nichts mit einem Existenzbeweis zu tun. Es ist mir auch keine Publikation bekannt die Kontrollversuche beschreibt, in der der Versuchsaufbau zum Erzeugen des CPE exakt nur ohne Zugabe der angeblichen Viren vollzogen wird. Hier müsste der CPE nicht festzustellen sein, wenn “Viren” ursächlich für die Zerstörung des Gewebes ( Vero 6 ) wäre.
    Mir ist im übrigen auch kein Ansteckungsexperiment bekannt in dem die “Infektion” mit Viren wissenschaftlich belegt ist.

    Die sogenannten Antikörper des Immunsystems sind bisher auch in keiner Weise als solche bewiesen.

    Vielen Dank im voraus.