II Atheismus und kognitiver Stil: Wie schon erwähnt, ist eine besonders gängige Erklärung für die inverse Korrelation zwischen Intelligenz und Religiosität, daß die intelligente Menschen es „besser wissen“ und keine Glaubensvorstellungen akzeptieren, die nicht auf empirischen Daten oder logisch-rationalem Denken beruhen. Diese Erklärung beruht auf der (nicht trivialen) Annahme, daß intelligentere Menschen eher analytisch denken und analytisches Denken zu verminderter Religiosität führt. Das ist exakt das, was Gervais in der von mir auch besprochenen Studie gezeigt hatte [2], was aber auch aus anderen Untersuchungen hervorging, die gute CRT-Ergebnisse (ein Test der Tendenz, analytisch zu denken) mit höherer Intelligenz assoziierten. Man kann sagen: intelligentere Menschen sind weniger religiös, weil sie eher zu analytischem Prozessieren neigen.
Darüber hinaus gibt es Evidenz für eine Korrelation von Intelligenz und der Fähigkeit, kognitiver Verzerrung zu widerstehen. Dabei ist es nicht so, daß Intelligentere deshalb besser in Lage sind, kognitive Verzerrungen zu überwinden, weil sie erkennen, daß die vermeintlich naheliegende intuitive Lösung falsch ist oder weil sie in der Lage wären, die zeitaufwendigere logisch-analytische Lösung zu finden, sondern weil sie fähig sind, die kognitive Anstrengung, derer es für gute Leistungen bei heuristischen Aufgaben bedarf, länger aufrecht zu erhalten.
Wenn ein Mensch in einer religiösen Umgebung aufwächst, erfordert die Ablehnung von und der Widerstand gegen religiöse Vorstellungen wahrscheinlich eine kontinuierliche kognitive Anstrengung und Intelligenz verleiht die Fähigkeit, dieser dauerhaft standzuhalten.
III Funktionale Äquivalenz: Einer Auffassung von Sedikides zufolge wird religiöser Glaube vor allem von einem bestimmten Motiv oder Bedürfnis angetrieben. Der Glaube und die zugehörigen religiösen Praktiken erfüllen demnach eine Reihe von Bedürfnissen, woraus ein möglicher Grund, religiöse Glaubensvorstellungen anzunehmen und aufrechtzuerhalten, ersichtlich wird.
Die Autoren der Metaanalyse argumentieren, daß diese Bedürfniserfüllung, diese Funktion der Religion aber auch anderweitig, z.B. durch höhere Intelligenz erfolgen kann, wonach Religion und Intelligenz in dieser Hinsicht funktional äquivalent wären. Sie beschreiben vier im folgenden vorgestellte Funktionen, die Religion erfüllen könnte und argumentieren, daß stattdessen auch höhere Intelligenz diese Funktionen tragen und damit das Bedürfnis, religiös zu sein, reduzieren kann:
i kompensatorische Kontrolle: Studien zeigten, daß Menschen, die die Kontrolle über etwas in ihrem Leben verloren hatten, sich mehr in ihrer Religion geborgen fühlten, da ihnen dies suggerierte, daß das Weltgeschehen immer noch unter Gottes Kontrolle stehe und mithin vorhersagbar und nicht-zufällig sei. Man kann sagen, daß Religiosität ein kompensatorisches Kontrollempfinden in einer Person erzeugt, wenn deren individuelle persönliche Kontrollvorstellungen unterminiert werden. Andererseits wurde in acht unabhängigen Studien gezeigt, daß auch Intelligenz ein Gefühl persönlichen Kontrollvermögens sowie der damit verwandten Selbsteffizienz vermittelt. Es folgt daher, daß wenn intelligentere Menschen über stärker ausgeprägtes persönliches Kontrollempfinden und Selbsteffizienz verfügen, sie ein geringeres Bedürfnis für das durch Religion vermittelte Kontrollempfinden verspüren.
ii Selbstregulation und -kontrolle: Es gibt Belege dafür, daß Religiosität sowohl die Selbstkontrolle, also die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub, als auch alle Komponenten der Selbstregulation fördert, darunter das Setzen von Zielen, die Wahrnehmung von Diskrepanzen zwischen dem eigenen gegenwärtigen Status und den gesetzten Zielen und der Anpassung des eigenen Verhaltens, um es besser auf das Erreichen des gesetzten Ziels auszurichten. Auch Intelligenz ist assoziiert mit besseren Selbstkontroll- und regulationsfähigkeiten, wie ein bekanntes Experiment zum Zusammenhang von Intelligenz und der Fähigkeit/Bereitschaft zum Belohnungsaufschub [5] sowie mehrere Studien zur negativen Korrelation von Intelligenz und Impulskontrolle gezeigt haben. Daraus folgt: wenn intelligentere Menschen besser ausgeprägte Fähigkeiten zu Selbstregulation und –kontrolle besitzen, haben sie ein weniger stark ausgeprägtes Bedürfnis nach der die Selbstregulation stärkenden Funktion der Religion.
iii Selbstwerterhöhung: Die meisten Menschen neigen dazu, sich selbst positiv einzuschätzen, tendieren also zu einer Erhöhung ihres Selbstwertgefühls. Metaanalysen zeigten, daß intrinsische Religiosität verbunden ist mit einer Erhöhung des Selbtwertgefühls, was intrinsische Religiosität und den daraus abgeleiteten gehobenen Status, den sich Gläubige auf Grundlage ihrer vermeintlichen persönlichen Beziehung zu einem Gott zumessen, zu einer möglichen Quelle von Selbstwert macht. Intelligenz wiederum kann, Studien zufolge, ebenfalls ein besseres Selbstwertempfinden vermitteln, wodurch intelligentere Menschen weniger bedürftig für die das Selbstwertempfinden stärkende Funktion der Religion sind.
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