Andererseits halte ich es für ziemlich unwahrscheinlich, daß ein Meterstab, der kein Wegwerf-Instrument ist und offenbar einen extrem hohen Wiedererkennungswert besitzt, in einem strengen Standards unterworfenen LKA nicht gereinigt worden und dann ausgerechnet 5 Jahre später (aber nicht früher) wieder zum Einsatz gekommen sein soll. Wäre er vorher zum Einsatz gekommen, wäre ja womöglich vorher schon ein Phantom-Böhnhardt an einem völlig anderen Tatort aufgetaucht. Hinzukommt, daß der Meterstab vor dem Einsatz bei Böhnhardts Leiche sehr wohl gereinigt worden sein muß, sonst hätte man ja ein Mischprofil erhalten. Wurde das Reinigen also zufällig ausgerechnet nach dem Böhnhardt-Fund vergessen? Außerdem sind DNA-Profile nach einem Sekundärtransfer, wie er für das Kontaminationsszenario angenommen werden muß, notorisch schwach und häufig unvollständig, so daß es zumindest fragwürdig erscheint, daß Böhnhardt aus einer solchen Spur eindeutig identifiziert worden sein soll. Den letzten Punkt könnte ich, wie erwähnt, besser beurteilen, wenn ich das EPG sehen könnte.
Es gibt vielleicht noch eine vierte Erklärung: bei der DNA auf dem Stoffstück handelt es sich gar nicht um die DNA von Böhnhardt. Die Feststellung, daß es sich um Böhnhardts DNA handelt, kann nur auf Grundlage des Vergleichs zweier DNA-Profile und der Berechnung der Wahrscheinlichkeit für eine nichtzufällige Übereinstimmung erfolgt sein. Böhnhardts DNA-Profil ist wahrscheinlich in der DAD gespeichert und bei Einstellung des DNA-Profils von dem Stoffetzen in die DAD wird sich eine (teilweise) Übereinstimmung mit jenem Profil ergeben haben, die dann aufgefallen ist. Die Frage ist nun: wie groß war die Übereinstimmung, d.h. wieviele STR-Systeme stimmten tatsächlich überein? Es ist ja nicht unwahrscheinlich, daß das Profil vom Stoffetzen unvollständig war, außerdem muß bei Berechnung der Wahrscheinlichkeit von Datenbanktreffern die Datenbankgröße einbezogen werden. Wurde das gemacht? Und wie groß war laut Berechnung die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Übereinstimmung? Dies wurde im Bericht nicht erwähnt. Vielleicht ist sie ja sogar größer als die Wahrscheinlichkeit der anderen drei Erklärungsansätze…
Ich hoffe, es wird bald eine Aufklärung der Sache geben. Sicher war man zu voreilig mit der Verkündung derartiger Ermittlungsbefunde, die überaus erklärungsbedürftig und bekanntlich äußerst anfällig für vergröbernde sensationalistische Berichterstattung sind.
Abschließend möchte ich noch betonen, daß die ganze Angelegenheit, wie schon beim Phantom von Heilbronn, keineswegs die Gültigkeit oder Bedeutung von DNA-Profilen in Frage stellt. Außerdem hat der BGH 2012 auch noch einmal betont, daß DNA-Befunde niemals allein und als einziges Indiz zur Beurteilung einer Tat verwendet werden dürfen. Mittels DNA-Analytik wird nur nachgewiesen, was da ist, nicht, wie es dort hin gekommen ist. Und gerade weil das Verfahren so empfindlich ist, ist es so anfällig für Kontamination. Wie man diese vermeidet, sollte allerdings jedem, der sich in der Nähe eines Tatorts oder in einem forensischen Labor aufhalten darf, bekannt sein.
###Update am 09.03.2017: Laut Aussage der Staatsanwaltschaft Bayreuth sei inzwischen klar, daß das Textilfragment, an dem Böhnhardts DNA nachgewiesen wurde, von dessen Kopfhörer stammte, der an seinem Versterbeort sichergestellt worden war. An den Leichenfundort von Peggy sei das Stück versehentlich also kontaminant “durch Polizeigerät” (den Meterstab?) transportiert worden. Schuld an dieser Kontamination habe das LKA Thüringen, die damals am Versterbeort Böhnhardts ermittelt und Spuren gesichert hatten. Es muß also das zwar kleine (12 x 4 mm) aber doch mit bloßem Auge sichtbare Gewebefragment an einer dort eingesetzten Gerätschaft (dem Meterstab) haften geblieben sein und dann fünf Jahre später, am 3. Juli 2016 an den Fundort der sterblichen Überreste Peggys übertragen worden sein. Die meisten der unwahrscheinlichen oder aber besorgniserregenden Annahmen hinsichtlich von Maßnahmen zur Dekontamination von Spurensicherungs- bzw. vermessungsgerätschaften aus dem obigen Szenario 2 müßten also dennoch zutreffen.
Wenn es sich wirklich so zugetragen hat, spricht das für sehr bedenkliche Zustände im genannten LKA, da die Befolgung normkonformer (DIN/ISO 17025) Prozesse, Abläufe und Vorsichtsmaßnahmen insbesondere im forensischen Bereich einen derart groben Fehler ausschließen.
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