Ende Februar findet jedes Jahr der Spurenworkshop der Spurenkommission der DGRM statt.

Der historische und aktuelle Hauptzweck der Spurenworkshops ist dabei immer, die Ergebnisse der beiden jährlichen GEDNAP-Ringversuche für forensisch-molekularbiologische Labore vorzustellen und zu diskutieren. Inzwischen ist die Veranstaltung, die tatsächlich einmal als ganz kleiner Workshop ihren Anfang nahm, aber zu einer großen internationalen Tagung mit Hunderten Teilnehmern und zahlreichen Industrieausstellern geworden, auf der auch immer etliche wissenschaftliche Vorträge präsentiert werden.

Letztes Jahr waren wir in Essen, wo ich über die Auswirkungen von Schußdistanz und Waffentyp auf die simultane Analyse von DNA und RNA aus Backspatter sprach [1].

Dieses Mal ging es nach Gießen, einer schönen kleinen Stadt in Mittelhessen, die außer ehemals Wirkungsstätte von Justus von Liebig sowie Standort einer Universität zu sein, keine nennenswerten Eigenschaften zu haben scheint, wenn man der Selbstbeschreibung als „Universitätsstadt Gießen“ (als würde man das sonst nicht für möglich halten) und der Tatsache, daß jede zweite Strasse und jedes etwas prächtigere Gebäude Justus-Liebig-xy heißt. (Es stimmt also, was uns letztes Jahr angekündigt wurde ;-)).

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idyllisches Gießen, hier im Bild die Justus-Liebig-Schranke und der Fahrradunterstand zu Ehren von Justus-Liebig; die noch jungen und etwas kahlen Bäume sind der zögerliche Versuch, hier den Justus-Liebig-Forst zur Naherholung anzulegen

Zum bis zur Unspürbarkeit zurückhaltenden architektonischen und städtebaulichen Charme der Stadt gesellte sich dann auch eine passende grau-trist-schmuddelige Wetterkulisse und kaum, daß ich in Gießen angekommen war, begann es auch gleich zu, nun,

Gießen

Da ich schon am Donnerstag (die eigentliche Tagung beginnt immer freitags) im Rahmen einer Weiterbildung der deutschsprachigen Arbeitsgruppe der ISFG einen Vortrag zum Thema „miRNA-basierte Identifikation von Körperflüssigkeiten und Organgeweben“ zu halten hatte, nahm ich abends beim Get-together im Mathematikum teil, einem ulkigen, interaktiven Museum zur (im weitesten Sinne) Mathematik, in dem es allerlei zu sehen und Schabernack zu treiben gab:

pi

Opitimal! Mein Geburtsdatum kommt irgendwo so bei der 700.000 Stelle vor. Habe das überprüft.

cc golden

meine Körperproportionen entsprechen dem goldenen Schnitt (ich habe allerdings längere Arme als der Onkel hinter mir). Habe das überprüft.

 

Am Freitag ging es dann mit den Vorträgen los und den Beginn machte ein Jurist, der auf die aktuelle Debatte zur Notwendigkeit der Aktualisierung der StPO zu sprechen kam, die sich am impliziten Verbot von FDP in Deutschland entzündet hatte, das im Mordfall von Freiburg die Ermittlungen behindert hatte. Der Druck auf die Politik ist inzwischen so groß – in Deutschland muß ja für sinnvolle und zeitgemäße Gesetzesänderungen grundsätzlich immer erst etwas Schlimmes passieren -, daß es nun konkrete Bemühungen gibt, die StPO hinsichtlich des wissenschaftlichen Fortschritts zu aktualisieren und um die Möglichkeit für DNA-Untersuchungen zu erweitern, welche nun endlich auch die Feststellung äußerlich sichtbarer Merkmale gestatten.

Es folgten eine ganze Reihe von Vorträgen zu klassischen Spurenthemen. Etwa zur Nachweisbar- und Analysierbarkeit von DNA auf gewaschenen Textilien und auf Gegenständen, die den Bedingungen eines simulierten Wohnungsbrands mit Temperaturen von bis zu 1000°C ausgesetzt waren (geht beides noch erstaunlich gut und ironischerweise hat der Blut-Fleckenteufel genau Null Einfluß auf die Nachweisbarkeit von DNA aus Blutflecken nach einer Wäsche). Oder zur bisher eher wenig beachteten Spurenart „Präejakulat“, welches möglicherweise das Spurenmaterial in einem Fall von sexuellem Mißbrauch darstellte, der uns vorgestellt wurde, und beim Nachweis insofern problematisch ist, als es durch gängige Sperma-Vortests nicht nachweisbar ist und auch nur manchmal Spermien enthält.

pars pBesonders interessant fand ich einen Vortrag zur DNA-Untersuchung aus Schädelknochen, da ich damit selbst auch schon einmal Probleme hatte. Die Kollegin empfahl als Ergebnis einer Versuchsreihe mit alten Schädelfunden das Felsenbein als Struktur, aus der sich besonders häufig noch brauchbare DNA gewinnen läßt und konstatierte: „Pars petrosa is the new black“ 😉 Um dranzukommen, muß man allerdings leider den Schädel zersägen aber irgendwas ist ja immer.

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Kommentare (9)

  1. #1 RPGNo1
    23/02/2017

    @CC
    Herrlich, was für ein erfrischend humorvoller, ironischer und zugleich lehrreicher Bericht. Das macht einen guten aufmunternden Tagesabschluss aus. Danke!

    Nächstes Jahr sind wir nach 8 Jahren mal wieder in der Schweiz und zwar in Basel, odrrr??

    Dann kannst du dir ja überlegen, nebenbei noch’n Flo zu besuchen. Oder er dich. 😉

    Die Geste für „postmortale Leichenzerstückelung“ in meinem Vortrag muß ziemlich eindeutig ausgesehen haben, wurde mir berichtet.

    Diese Geste würde ich auch gerne sehen. =D
    Vielleicht kannst du irgendwo ein Video auftreiben und in deinen Blog stellen?

  2. #2 Cornelius Courts
    23/02/2017

    @RPGNo1: “Herrlich, was für ein erfrischend humorvoller, ironischer und zugleich lehrreicher Bericht. Das macht einen guten aufmunternden Tagesabschluss aus. Danke! ”

    🙂 Danke Dir

    “Vielleicht kannst du irgendwo ein Video auftreiben und in deinen Blog stellen?”

    Ich hör mich mal um! Wenn ich eins finde, zeige ich es Euch 😀

  3. #3 Gießener
    Gießen
    24/02/2017

    “nach Gießen, einer schönen kleinen Stadt in Mittelhessen, die außer ehemals Wirkungsstätte von Justus von Liebig sowie Standort einer Universität zu sein, keine nennenswerten Eigenschaften zu haben scheint,”

    ja, man muss es zugeben, es stimmt. Ich musste sehr lachen über diesen Text, möchte aber sagen dass es in Gießen auch schöne Ecken gibt.
    Ich bin schon länger ein stiller Mitleser hier und nehme den Text und dass Sie über Gießen schreiben jetzt mal zum Anlass, danke zu sagen. Sie sind einer von den Guten!

  4. #4 Fliegenschubser
    24/02/2017

    Wunderbarer Bericht, danke dafür! Besonders mag ich die Justus-von-Liebig-Schranke 😀

    Wird bei den Abendveranstaltungen eigentlich Galgenraten oder Pantomime mit krassen forensischen Begriffen gespielt? Ich stelle mir das sehr lustig vor.

  5. #5 Cornelius Courts
    24/02/2017

    @Fliegenschubser: “Wird bei den Abendveranstaltungen eigentlich Galgenraten oder Pantomime mit krassen forensischen Begriffen gespielt? Ich stelle mir das sehr lustig vor.”

    Hehe, ist ne gute Idee, aber die Leute sind immer so mit Tanzen und Ausrasten beschäftigt, daß dafür keine Gelegenheit wäre. Wenn man das als Unbeteiligter sieht, würde man wahrsch. nicht glauben, daß da wirklich gerade eine Horde Forensiker so abgeht 😀
    Auch immer sehr lustig zu sehen: die vielen zerstörten Gestalten am Samstagmorgen, wenn um 9 Uhr die Vorträge weitergehen 😀

  6. #6 Cornelius Courts
    24/02/2017

    @Gießener: “Sie sind einer von den Guten!”

    Danke dafür 🙂

  7. #7 Joseph Kuhn
    24/02/2017

    “Untotendatei”: Ist bestimmt der Pathologen-Fachbegriff dafür, was bei uns Bevölkerungsstatistik heißt.

  8. #8 rolak
    25/02/2017

    Ist bestimmt

    Nach den Eindrücken vom Heimweg eben könnten es auch die gesammelten polizeilichen Spätmeldungen von Altweiber sein, Joseph

    genau Null Einfluß

    ‘Aus den Augen, aus dem Sinn’ funktioniert halt auch beim Spurenverwischen nicht, Cornelius, sondern weiterhin ausschließlich beim dran denken wollen.

    the new black

    Ist das evtl zusätzlich ein Spiel mit der s·nigra zwischen den Beinen? btw: letztens wurde aus gegebenem Anlaß offenbar, wieviele Beine so ein Fuß hat – verblüffend…

  9. #9 radix100
    Pulheim
    27/02/2017

    besonders schön: der vitrufsche Cornelius frei nach Leonardo…
    Immer wieder lehrreich und amüsant diese Reiseberichte.
    Danke.