Am Freitagnachmittag war ich selber dann auch dran (s. rechts) und präsentierte aktuelle Ergebnisse unseres inzwischen abgeschlossenen DFG-Projekts zur miRNA-basierten Identifikation forensisch relevanter Organgewebe (bei Interesse, s.[2], ich werde aber irgendwann auch noch ausführlicher darüber berichten). Nach der Diskussion der Ringversuchsergebnisse ging es dann auch gleich zur Abendveranstaltung in die schön dekorierte Gießener-Kongresshalle. Gutes Essen gab es vom Buffet und zur musikalischen Unterhaltung des Nachtischs sowie Befeuerung der allgemeinen Schwoofbereitschaft war die Orff-AG der Justus-Liebig-Gesamtschule eine Live-Band vor Ort, die unnötigerweise rezente Tanzmusikstücke elektronischer Art für mehrere Xylophone (!) transkribiert hatte und für ihren von einer wild entschlossenen Singmadame begleiteten Vortrag derselben einen mir unbegreiflichen Zuspruch erfuhr.
Am Samstagvormittag hörten wir gleich drei Vorträge zu Softwarelösungen mit kontinuierlichen bzw. semi-kontinuierlichen Verfahren zur Mischspurenanalyse. Diese Verfahren ersetzen die extrem konservative binäre Methode, die eine Berechnung der Mitverursacherwahrscheinlichkeit für eine Person bei einer Mischspur nicht gestattet, wenn auch nur ein einziges Allel aus technischen Gründen nicht nachweisbar ist (sog. „drop-out“). Da das aber, besonders bei Hautabriebspuren, die einen immer größeren Anteil der Spuren in Routinefällen darstellen, der Regelfall ist, müßte man, wenn man ausschließlich binäre Rechenmethoden nutzt, sehr häufig Information verwerfen, die ansonsten sehr viel zur Aufklärung eines Falles beitragen könnte. Die neuen, (semi-)kontinuierlichen Verfahren ermöglichen die rechnerische Einbeziehung der Möglichkeit (und Wahrscheinlichkeit) von drop-out-Ereignissen und, im Falle der kontinuierlichen Modelle, noch weiterer Rohdaten, z.B. der Höhe bzw. Fläche der EPG-Peaks (zum Hintergrund siehe hier und hier). Dies ermöglicht selbst bei schlechten/unvollständigen Mischprofilen noch eine Berechnung der Mitverursacherwahrscheinlichkeit, ohne dafür jedoch einen Tatverdächtigen über Gebühr belasten zu müssen, indem aus mehreren möglichen das jeweils für ihn günstigste Szenario ausgewählt werden kann.
Außerdem gab es, wie in den letzten Jahren schon, auch diesmal wieder mehrere Vorträge zu NGS und seinen forensischen Einsatzmöglichkeiten, z.B. zur gleichzeitigen Typisierung von 17 STR-Systemen, zur Bestimmung des chronologischen Alters einer Person durch Typisierung altersabhängiger DNA-Methylierungen und zur Profilierung und forensischen Analyse des Mikrobioms (über eine andere forensische Anwendung der Mikrobiomik habe ich schon berichtet). Diese Vorträge zeigen einmal wieder, wie viel Potential NGS für die forensische Genetik hat und machten mich wehmütig, daß ich all meine NGS-Ideen mit nach Kiel genommen habe, mein DiNGSi aber in Bonn lassen mußte 🙁
Also, insgesamt wieder ‘mal ein interessanter, anregender Spurenworkshop, der abermals die Breite und Vielseitigkeit unseres Fachs illustrierte und wie immer viel Gelegenheit bot, Neues zu lernen, Bekanntes zu vertiefen und viele nette Menschen (wieder) zu treffen. Nächstes Jahr sind wir nach 8 Jahren ‘mal wieder in der Schweiz und zwar in Basel, odrrr??
P.S.: Anwesend waren übrigens (wie zuvor schon in Hannover) auch zwei Gebärdendolmetscherinnen, die alle Vorträge simultan für eine gehörlose Zuschauerin übertragen haben. Die Geste für „postmortale Leichenzerstückelung“ in meinem Vortrag muß ziemlich eindeutig ausgesehen haben, wurde mir berichtet 😀
P.P.S.: Das interessanteste neue Wort, das ich auf der Tagung gelernt habe, war „Untotendatei“. Es entsprang dem Versprecher (hoffe ich doch ;-)) einer Kollegin, die wahrscheinlich zu viel The Walking Dead geguckt hatte und wurde schnell zum geflügelten Wort J
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Referenzen:
[1] M. Grabmuller, P. Cachee, B. Madea, C. Courts, How far does it get?: -The effect of shooting distance and type of firearm on the simultaneous analysis of DNA and RNA from backspatter recovered from inside and outside surfaces of firearms, Forensic Sci Int 258 (2016) 11–18.
[2] E. Sauer, A. Extra, P. Cachee, C. Courts, Identification of organ tissue types and skin from forensic samples by microRNA expression analysis, Forensic science international. Genetics 28 (2017) 99–110.
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