Warnung: in dieser Reihe stelle ich schräge, drastische, extreme oder auf andere Weise merkwürdige Studien und Fallberichte vor, die die Forensischen Wissenschaften in ihrer ganzen Breite und Vielseitigkeit portraitieren sollen, die aber in ihrer Thematik und/oder den beigefügten Abbildungen nicht für alle LeserInnen geeignet sind und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte/bebilderte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
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Darüber, was ein autoerotischer Tod ist und über ein paar Fälle aus der forensischen Literatur hatte ich hier ja schon geschrieben. Neulich stieß ich aber bei meiner üblichen Literaturroutine auf den Bericht zweier Fälle, die so ungewöhnlich waren, daß ich mich, nachdem meine Augenbrauen von meinem Hinterkopf zurückgekehrt waren, entschloß, hier davon zu erzählen.
Fall 1
Das Wohnzimmer war von innen verschlossen und nachdem sie ihn 24 Stunden lang nicht gesehen hatte, ruft seine Frau die Feuerwehr, die die Tür aufbrechen und ihren Mann, den 49-jährigen Ingenieur, tot auf dem Boden liegend vorfinden. Bekleidet ist er mit Damenwäsche und selbstgemachte, künstliche Brüste hat er sich angelegt.
Die medizinische Vorgeschichte ergab keine Hinweise auf eine psychische Störung und weder waren suizidale Absichten des Verstorbenen bekannt, noch wurden Abschiedsbriefe gefunden. Nach der postmortalen CT-Untersuchung konnte das rektal eingeführte Objekt schließlich als mit schwarzem Klebefilm umwickelter Stift identifiziert werden.
Im Rahmen der Obduktion fielen neben einer erheblichen Muskelquetschung im rechten Halsbereich auch Stauungsblutungen der Gesichtshaut und der Bindehäute sowie oberflächliche Einblutungen im Zungengrund auf. Weitere Befunde waren eine Hirnschwellung und ein Lungenödem, die toxikologische Analyse erbrachte keine Hinweise auf die Einnahme von Alkohol oder Drogen. Als Todesursache wurde auf Strangulation durch Zuziehen der Schlinge um den Hals im Zuge eines autoerotischen Unfalls erkannt.Fall 2
Ein 52-jähriger Mann wird tot, mit Nikolausmütze auf dem Kopf und bereits deutlich fäulnisverändert in seiner Wohnung aufgefunden. Er trägt Damenunterwäsche, eine Frauenperücke unter der Mütze und befindet sich in einer knieenden Position, in der er durch zwei miteinander verknotete Damenstrümpfe gehalten wird, die mit einem Rohr an der Decke verbunden sind. Die Strümpfe sind an eine Metalkette geknotet, der sich der Verstorbene vom Hals abwärts so um den Leib gewickelt hat, daß sie sich über der Brust überkreuzt und im Hüftbereich mit einem Vorhängeschloss zusammengeschlossen ist.
Zur Vorbereitung der Obduktion mußten die Rechtsmedizin die Kette mit einem Bolzenschneider brechen, um sie entfernen zu können. Insgesamt mißt sie 250 cm.
Im Hüftbereich ist die Kette durch ein nicht geschlossenes Vorhängeschloss mit zwei weiteren Ketten verbunden, welche die die Genitalien des Verstorbenen umschließen. Der Kettenabschnitt, der längs über den Rücken verläuft, verbindet den Hals mit dem Hüft- und Genitalbereich und ist mit geschlossenen Vorhängeschlössern gesichert. Der Kettenverlauf läßt sich gut anhand der CT-Aufnahmen nachvollziehen. Die medizinische Vorgeschichte liefert keine Anhaltspunkte für vorbestehende Erkrankungen, ein Abschiedbrief wird nicht gefunden. Schon bei der äußerlichen Untersuchung fällt die tiefe Einkerbung auf, die durch die Kette verursacht worden ist, eine Kurve beschreibt und oberhalb des Adamsapfels verläuft. Bei der Obduktion finden sich Einblutungen in den rechten Sternocleidomastoidmuskel, eine Fraktur des linken oberen Schildknorpelhorns, Einblutungen unter das vordere longitudinale Ligament der Brust- und Lendenwirbelsäule (sog. Simonsche Blutungen) und Einblutungen in die Testikel. Alle toxikologischen Untersuchungen waren ohne Befunden und als Todesursache wurde auf Tod nach Erhängen im Zuge eines autoerotischen Unfalls erkannt.__
Autoerotischer Tod ist sehr häufig eine unerwünschte Folge von Experimenten mit autoerotischer Asphyxie (s.a. Asphyxiophilie), also einer selbst herbeigeführten Sauerstoffunterversorgung des Gehirns im Rahmen autoerotischer Betätigungen, die meist durch Drosselung der Luftzufuhr durch den Hals bewirkt wird. Durch den so erzielten Sauerstoffentzug des zentralen Nervensystems kommt es schnell zu einer Störung zentraler Hemmungsmechanismen, welche die Sexualfunktion kontrollieren, was bei manchen Personen zu einer Erhöhung des sexuellen Empfindens bzw. der sexuellen Reizbarkeit führt.
Tödliche Verläufe solcher Experimente treten dann auf, wenn es zu Fehl- oder Überfunktionen der Apparaturen oder sonstigen Gerätschaften zur Herbeiführung der Asphyxie kommt oder das Ausmaß der herbeigeführten Sauerstoffunterversorgung unterschätzt wird. Tritt dann eine Bewußtlosigkeit ein, kann sich das Opfer nicht mehr selbst aus der die Strangulation bedingenden Lage befreien, woraufhin es erstickt.
Die hier berichteten Fälle enthalten neben der zentralen Asphyxiophilie noch andere paraphile Elemente wie Fetischismus und Masochismus, obgleich bei keinem der Verstorbenen sexuelle Störungen bekannt waren. Aus kriminalistischer Sicht ist es nun von Bedeutung, bei solchen Fällen von vermeintlichen autoerotischen Unfällen die Einwirkung Dritter, die auf ein mögliches Tötungsdelikt hinweisen könnten, auszuschließen, aber auch, von suizidalem Verfahren abzugrenzen. Dafür sollten verschiedene Kriterien bei der Beurteilung der Auffindesituation beachtet werden. So ist ein Kennzeichen eines autoerotischen Unfalls etwa das Vorhandensein mehr oder weniger durchdachter Selbsthilfemechanismen, mit denen sich das Opfer vor Schaden bewahren wollte. Außerdem darf es keine Anzeichen für Suizidalität oder andere Risikofaktoren wie vorbestehende psychische Erkrankungen geben. Weitere Kennzeichen sind Abgeschiedenheit, einschlägige sexuelle Phantasien, autoerotische Aktivitäten und die Abwesenheit von Spuren, die auf Gewalt bzw. die Einwirkung durch Dritte hinweisen.
Problematisch wird die Beurteilung, wenn sich am Auffindeort zusätzlich ausgefallene Gegenstände und Paraphernalien finden, da dies die Mitwirkung Dritter am tödlichen Geschehen erwägen läßt. So könnten etwa der „ball gag“ und die komplexe Ketteneinschnürung mit Vorhängeschlössern in den Fällen, die hier beschrieben wurden, auf dritte Personen hinweisen, die den Verstorbenen bei ihren Aktivitäten assistiert haben. In Zusammenschau aller äußeren Umstände und den jeweiligen Auffindesituationen scheint jedoch in beiden Fällen die wahrscheinlichste Interpretation die des autoerotischen Unfalls zu sein.
Wie so oft bei ungewöhnlichen Fällen zeigt sich auch hier, daß zur korrekten Beurteilung eines Todesgeschehens die detaillierte, genaue und umfassende Untersuchung nicht nur der Leiche sondern auch der Auffindeumgebung essentiell ist.
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Referenz:
[1] Tattoli, L., Solarino, B., Tsokos, M., Buschmann, C., & Oesterhelweg, L. (2017). Two extraordinary autoerotic fatalities. Forensic science, medicine, and pathology, 13(1), 102-106.
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