Ausgehend von dem gefundenen Massengrab stellten nun Historiker des IPN eine Liste von 21 hingerichteten Opfern zusammen (drei blieben unbekannt), von denen sich in manchen Fällen noch nahe Verwandte (Eltern, Geschwister), die jedoch meist bereits verstorben waren, ermitteln ließen. Diese Arbeit war schwierig und mühselig, da man aus Gründen der Pietät auf die Einbeziehung von Massenmedien bei der Suche verzichtete. Während der Prozeß noch andauerte, meldete sich ein Mann beim IPN, dessen Großvater in den 40er-Jahren hingerichtet worden war. Es war nicht klar, ob diese Hinrichtung in einem Zusammenhang mit dem Massengrab stand, doch man entschloß sich, dennoch eine DNA-Probe des Mannes in die PBGOT einzuspeisen.
Und in der Tat: nachdem man mit der DNA-Analyse der gefundenen Überreste begonnen hatte, war die erste Übereinstimmung, die man fand, die der Y-chromosomalen DNA-Profile des Mannes und eines der Opfer. (Hinweis: im Gegensatz zu autosomalen STR-Systemen werden y-chromosomale STR-Systeme als Haplotyp ohne Rekombination, sozusagen en bloc in väterlicher Linie weitervererbt, so daß alle in väterlicher Linie verwandten Männer denselben y-chromosomalen Haplotypen besitzen.) Wegen der Entferntheit der Verwandtschaft und mangels weiterer historischer Anhaltspunkte konnte der Tote zwar noch nicht als identifiziert gelten, doch gab es nun einen Ausgangspunkt, weiteres Referenzmaterial für die anderen Opfer zu sammeln. Folgende Informationen zu den Opfern von 1942 konnten bislang zusammengetragen werden:
Nachdem durch den Mann, der sich gemeldet hatte und die Übereinstimmung seiner DNA mit der eines der Opfer sich der Verdacht erhärtete, daß es sich bei dem Fund nicht um Opfer des kommunistischen Regimes sondern stattdessen jener Hinrichtung der Nazis von 1942 handeln könnte, ergaben weitere Nachforschungen, daß sogar der Sohn jenes Opfers (BO) noch lebte, allerdings in den USA, die Familie in Polen jedoch keinen Kontakt zu ihm habe. Dennoch diente diese Erkenntnis als Ausgangspunkt, daß von den lebenden Verwandten zweier weiterer Opfer (unterstrichen in der Tabelle), deren DNA erfolgreich aus den Knochen extrahiert und profiliert worden war, Material gesammelt werden konnte. Und in der Tat ergab sich in beiden Fällen (auch bei sehr konservativ gesetzten a-priori-Wahrscheinlichkeiten ) eine sehr hohe Verwandtschaftswahrscheinlichkeit, konnten die Opfer also mit ausreichender Sicherheit als identifiziert gelten. Die Identifikation der übrigen Opfer dauert noch an.
Man kann also festhalten, daß nach diesen Funden und Befunden die existierenden historischen Aufzeichnungen hinsichtlich der Erschießungsopfer von 1942 revidiert werden müssen und daß 1944 offenbar andere Leichenteile als angenommen exhumiert und umgebettet worden sind. Dieser Erfolg unterstreicht wieder einmal die Bedeutung transdiziplinärer Zusammenarbeit bei solchen Operationen (zu denen im weiteren Sinne auch das Feld der “Disaster Victim Identification” zu zählen ist) denn diese Erkenntnisse wären ohne die Integration der hier beschriebenen forensisch-genetischen und -anthropologischen Untersuchungsergebnisse nicht möglich gewesen. Insbesondere die genetischen Untersuchungsmethoden haben überdies dank kontinuierlicher Forschung große Fortschritte gemacht und wären noch vor 10 Jahren wesentlich schwieriger gewesen und vergleichbare Projekte zu dieser Zeit waren deutlich weniger erfolgreich [3,4].
Ein Problem bei der Identifikation nach lange zurückliegenden Ereignissen aber ist und bleibt die geringe a-priori-Wahrscheinlichkeit für Verwandtschaft, die man ansetzen muß und die sich auf anthropolgische und/oder historische Daten und Befunde, z.B. Aussagen von Zeuge, stützen muß, denn häufig ist nicht einmal klar, so auch in Bialystock, ob die Fundstelle, z.B. ein Massengrab, nur einem oder doch mehreren Ereignissen zuzuordnen ist. Umso wichtiger ist es, daß, wie auch in diesem Fall geschehen, die Exhumierungen basierend auf Archivdaten durchgeführt werden und daß die am Projekt beteiligten Historiker kontinuierlich alle verfügbaren Daten zur Grabungsstätte und der Umgebung auswerten und diese Ergebnisse in die Analyse einfließen lassen, ggf. unter Hinzuziehung neuer Details, wie der Information durch lebende Verwandte, die sich von sich aus melden (s.o.). Zusammen mit in der Grabstelle entdeckten Gegenständen und anthropologischen Befunden können so die Werte für die anzunehmende a-priori-Wahrscheinlichkeit verbessert und schließlich die Identifikation der Verstorbenen erleichtert werden.
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