„Als Troll wird bezeichnet, wer absichtlich Gespräche innerhalb einer Online-Community stört. Sogenannte Trollbeiträge sind auf die Kommunikation im Internet beschränkt und finden sich vor allem in Diskussionsforen und Newsgroups, aber auch in Wikis und Chatrooms, auf Mailinglisten und in Blogs.” – wikipedia
Auch auf dieser Blog-Plattform sowie auf diesem Blog können wir regelmäßig Trolle bei ihrer ungustiösen Tätigkeit beobachten. Manche kann man tolerieren und sich, speziell bei diesem Blog, darauf verlassen, daß er/sie/es schon von der hiesigen durchaus wehrhaften und alerten Community virtuell verdroschen und vertrieben wird, gegen manche hilft indes nur die Verbannung.
Wissenschaftliche Forschung zu Trollen und Trollverhalten ist derzeit noch eher rar gesät. Das liegt unter anderem daran, daß schon die Definition eines Trolls schwierig ist, da sich existierende Formen von Trollverhalten nicht nur in verschiedenen Kulturen unterschiedlich manifestieren [2], sondern sich auch andauernd weiterentwickeln, um sich an die raschen Entwicklungen von Onlineumgebungen und –interaktionen anzupassen [3,4].
Kürzlich kam mir jedoch eine Studie unter, in der sich der Psychologe und Netnograph J. Synnott und Kollegen mit dem Trollverhalten einer als „anti-Mc-Canns“ bezeichneten Community auf Twitter zum Thema des mehr als 10 Jahre alten Vermisstenfalls Madelaine McCann befassten. Diese vornehmlich unter Pseudonymen operierende Gruppe verfaßt herabsetzende und beleidigende Tweets, die sich an die Eltern der Vermißten, Kate und Gerry McCann, richten.
In Ihrer Studie [1] legen die Autoren eine ethnographische Untersuchung sowohl des Verhaltens der „anti-McCann“-Trolle vor als auch der Art und Weise, wie diese Sprache verwenden, um ihre soziale Identität zu konstruieren, den Eigengruppenzusammenhalt (in-group-cohesion) zu festigen und die Absetzung und Disassoziation von der wahrgenommenen Fremdgruppe zu bewirken. Obwohl der Fall schon so alt ist, werden dazu immer noch ca. 100 Nachrichten pro Stunde verschickt, davon viele die traumatisierten Eltern beschuldigen und beleidigen, das Verschwinden der Tochter regelrecht abfeiern und sich an deren Elend weiden. Man hat es also wirklich mit der widerlichsten Sorte von Trollen zu tun.
Im Versuch, im Rahmen ihrer Studie mit eben diesen Trollen in Kontakt zu kommen, gerieten die Autoren auch selbst ins Fadenkreuz und wurden, als sie als Wissenschaftler erkannt wurden und Fragen stellten, beschimpft und beleidigt. Richtig hitzig wurde es, als die Autoren wissenschaftliche Fakten in die Debatte einbrachten. Beispielsweise gerieten die Eltern kurzzeitig in Verdacht, ihrer Tochter etwas angetan zu haben, weil ein portugiesischer Leichenspürhund, der auch Blut wittern kann, im Appartement der Eltern angeschlagen hatte. Als die Autoren der Studie nun gegenüber den Trollen darauf hinwiesen, daß solche Hunde bei warmem Wetter häufig Fehler machen, das auch mit Referenzen [5,6] belegten und eine Diskussion darüber anregten, reagierten die Trolle fast ausschließlich mit persönlichen Angriffen und der Infragestellung der Motive der Autoren, nannten sie „billige Anreißer“ (engl. „shill“) und blockierten sie, wenn sie weiter versuchten, die Konversation zurück zu den eigentlichen Befunden zu lenken.
Bei vorherigen Untersuchungen an Trollen waren bereits Schlüsselphrasen oder –formulierungen identifiziert worden, die als eine Art „Visitenkarte“ (engl. „calling card“) fungieren und Aktivität hervorrufen [7]. Hier etwa wirkte die Bezichtigung der Autoren als „shills“, mithin die Andeutung, daß sie von der McCann-Familie bezahlt worden seien, um deren Reputation zu schützen, wie ein rotes Tuch und zog mehr und mehr Trolle an, die einander in der Diskussion beisprangen.
Dabei handelt es sich bei den „anti-Mc-Canns“ nicht um Trolle im subkulturellen Sinn, wie sie etwa Phillips beschrieben hat [3], da sie sich selbst nicht als Trolle auffassen. Vielmehr haben sie ihre soziale Identität als eine Gruppe von Gerechtigskeitssuchern konstruiert, die entschlossen ist, diejenigen Individuen und Institutionen zu brandmarken, die in ihrer Wahrnehmung an einem Vertuschungskomplott in einem Fall von Kindesmißbrauch beteiligt waren. Ein weiterer Topos, den die Autoren in diesem Diskursfeld ausmachten, war „Mutterschaft“: viele Trolle bekräftigten immer wieder, daß sie sich an der Stelle der Eltern, sowohl vor als auch nach der Entführung, völlig anders verhalten hätten, man spricht hier von Disassoziation. Dem liegt womöglich der irrationale Glaube zugrunde, daß Eltern, die sich explizit von der Misere der McCanns distanzieren, irgendwie mehr Sicherheit für ihre eigenen Kinder bewirken können. Doch es fanden sich auch noch deutlich häßlicherer Motive: wie die Analyse der Sprache in den Diskursen, die sich v.a. mit der Gerechtigkeitssuche befaßten, zeigte, diente dies lediglich zur Maskierung der zugrundeliegende Absicht der Trolle, weiterhin die McCanns und ihre Unterstützer verbal und v.a. anonym beleidigen zu können.
Dabei fiel auf, daß die meisten der beleidigenden Tweets den Regeln des Social-Media-Betreibers zuwiderliefen, jedoch von deren Seite nichts dagegen unternommen wurde. Außerdem konstatierten die Autoren, daß es nichts bringe, die „Trolle nicht zu füttern“, da es sich bei ihnen häufig um Personen mit antisozialer Persönlichkeitsstörung handle, die sich, als „kulturelle Aasfresser“, so die Autoren, von alternativen Fakten und „fake news“ ernähren und durch die Verdammung anderer erst so richtig aufblühen.
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Referenzen:
[1] Synnott, J., Coulias, A., & Ioannou, M. (2017). Online trolling: The case of Madeleine McCann. Computers in Human Behavior, 71, 70-78.
[2] de Seta, G. (2013). FCJ-167 Spraying, fishing, looking for trouble: The Chinese Internet and a critical perspective on the concept of trolling. The Fibreculture Journal, (22 2013: Trolls and The Negative Space of the Internet).
[3] Phillips, W. (2013). The house that fox built: Anonymous, spectacle, and cycles of amplification. Television & New Media, 14(6), 494-509.
[4] Hardaker, C. (2013). “Uh…. not to be nitpicky, but… the past tense of drag is dragged, not drug.”: An overview of trolling strategies. Journal of Language Aggression and Conflict, 1(1), 58-86.
[5] Lasseter, A. E., Jacobi, K. P., Farley, R., & Hensel, L. (2003). Cadaver dog and handler team capabilities in the recovery of buried human remains in the Southeastern United States. Journal of forensic sciences, 48(3), 617-621.
[6] Warren, C. (2015). What the dog knows. New York: Touchstone a division of Simon & Schuster, Inc.
[7] Phillips, W. (2015). This is why we can’t have nice things: Mapping the relationship between online trolling and mainstream culture. Mit Press.
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