Ich bin ja bekanntlich ein Fan der micro-RNA (miRNA), jener kurzen, erst in den 90ern entdeckten, ungeheuer vielseitigen und interessanten RNA-Moleküle, und habe ja hier auch schon öfters über sie berichtet.
So auch heute, denn gerade las ich, daß bestimmte miRNAs auch eine Rolle bei der Modulation der Schmerzwahrnehmung zu spielen scheinen [1].
Schmerz ist ein zweischneidiges Schwert. Die meisten mögen keinen Schmerz und meiden oder bekämpfen ihn, doch wir brauchen ihn auch und daß es ihn gibt, ergibt zudem aus evolutiver Sicht durchaus Sinn, indem er als Abschreckung vor Verhaltensweisen dient(e), die schädlich und potentiell tödlich sind/waren und in der Tat ist die Unfähigkeit, Schmerz zu empfinden, eine nicht ungefährliche Krankheit. Viel häufiger aber als zu geringes ist ein krankhaft erhöhtes Schmerzempfinden, wie es beim chronischen Schmerz durch Nervenschäden, auch als neuropathischer Schmerz bezeichnet, auftritt und das eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität hunderttausender Betroffener mit sich bringt.
Man unterscheidet zwei Sorten von Nervenenden in der Haut, die verschiedenen Formen der Wahrnehmung dienen, Mechanorezeptoren (MR) und Nozizeptoren (NZ). MRs reagieren schon auf leichte Berührung, vermittelt durch spezielle Fortsätze, die sich um die Haarfollikel wickeln [2], NZs hingegen sind Schmerzrezeptoren, die durch potentiell schädliche Signale wie Hitze oder bestimmte Chemikalien aktiviert werden, die aber eine hohe Aktivierungsschwelle für mechanische Reize haben. Man geht heute davon aus, daß eine Ursache chronischer neuropathischer Schmerzen in einer erhöhten Empfindlichkeit, also einer verringerten Aktivierungsschwelle der Mechanorezeptoren besteht, vermittelt u.a. durch Hinterwurzelganglien (HWG), neuronale Schaltstellen im Rückenmark, wo die Zellkörper von mechanorezeptorischen und nozizeptorischen Neuronen liegen und die die Signale dieser peripheren Nerven integrieren und ans zentrale Nervensystem weiterleiten.
Und genau dort, in den HWG, spielt ein Cluster von drei miRNAs, miR-183, miR-96 und miR-182, kurz der miR-183-Cluster offenbar eine wichtige Rolle bei der Schmerzmodulation, wie Peng und Kollegen herausfanden [1]. Es war vorher schon bekannt, daß der miR-183-Cluster in HWGs in verschiedenen Modellen für chronischen Schmerz herabreguliert ist. Peng et al. erzeugten für ihre Studie nun eine Maus, bei der sich der miR-183-Cluster selektiv aus dem Genom ausschneiden (Deletion) läßt, z.B. in allen HWG-Neuronen oder nur in Mechanorezeptoren.
In einem Modell für neuropathischen Schmerz, der durch eine Läsion eines peripheren Nervs hervorgerufen wird, konnten die Autoren zeigen, daß die Deletion des miR-183-Clusters in Mechanorezeptoren zu einem deutlichen Anstieg der Sensibilität für mechanische Reize führte, was, wie oben gesagt, wahrscheinlich die Ursache für neuropathischen Schmerz darstellt. Da miRNAs vor allem als Genexpressionsdämpfer fungieren, ist es natürlich von Interesse, herauszufinden, welche Gene stärker exprimiert werden, wenn deren miRNA-vermittelte Hemmung durch die miRNA-Cluster-Deletion entfällt. Um das herauszufinden, analysierten die Autoren das Transkriptom der von der Deletion betroffenen Mechanorezeptoren und konnten insgesamt 30 dysregulierte Gene, also Gene, deren Expressionsstatus direkt vom Fehlen der miRNAs beeinflusst wurde, identifizieren (eine miRNA kann immer an mehrere mRNAs binden, so daß es nicht verwunderlich ist, daß ein Cluster von nur drei miRNAs eine deutlich höhere Anzahl von Genen beeinflussen kann). Besonders relevant erschienen von diesen 30 Kandidaten diejenigen, die für die α2δ-Untereinheiten CACNA2D1 und CACNA2D2 des spannungsabhängigen Calciumkanalproteins kodieren. Solche Calciumkanäle spielen eine kritische Rolle bei der Weiterleitung von Schmerzreizen und die o.g. Untereinheiten sorgen dafür, daß diese Kanalproteine an die Zelloberfläche gelangen, wo sie in Aktion treten können.
Bemerkenswerterweise sind es auch genau diese Kanalproteine, die das pharmakologische Ziel des Medikaments Gabapentin darstellen, das man, siehe da, gegen neuropathischen Schmerz verabreicht, wodurch sich die Befunde von Peng et al. nahtlos in die vorbestehende Vorstellung von der Schmerzentstehung einfügen und sie um die Erkenntnis erweitern, daß das Expressionsniveau von entscheidend wichtigen Komponenten dieses Funktionswegs durch einen miRNA-Cluster in den HWG reguliert wird.
Sehr wahrscheinlich lassen sich diese Befunde auch auf den Menschen übertragen, denn die Analyse von RNA aus HWGs von über 200 menschlichen Probanden zeigte eine inverse Korrelation zwischen dem Expressionsniveau des miR-183-Clusters und des Kanalproteins und seinen Untereinheiten.
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