Ich habe ja hier schon eine Menge über molekulare Ballistik, den einen meiner beiden Forschungsschwerpunkte, geschrieben. Mein anderer Schwerpunkt, die forensische RNA-Analytik, kam zwar auch, bisweilen im Zusammenhang bzw. in Überlappung mit der molekularen Ballistik oder mit Focus auf die Micro-RNA (miRNA) zur Sprache, doch ich habe hier bisher nie eine wirkliche Einführung dazu gegeben. Das fiel mir auf, als ich meinen Vortrag für unsere (übrigens sehr interessant und lehrreich gewesene) Lübecker Tagung vorbereitete, der den Titel trug „Zur Vielseitigkeit der forensischen RNA-Analytik“ und das möchte ich jetzt endlich einmal nachholen. Um die LeserInnen nicht mit einem Textmonolithen zu überrollen, werde ich das Thema in so viele Teile gliedern, wie es sich als geeignet erweisen wird.

Da vielen Menschen die Tatsache, daß RNA existiert bzw. inwiefern es sich dabei um etwas von der DNA verschiedenes handelt, nicht bekannt ist, die Natur, Funktion und Vielfalt der RNA-Moleküle aber zentral dafür ist, zu verstehen, warum sie für die forensische Molekularbiologie so interessant sind, beginne ich mit ein paar einführenden Bemerkungen zur RNA (ich empfehle zum Verständnis des Gesamtzusammenhangs auch sehr die Lektüre der Basics-Artikel zu micro-RNA und Genexpression).

sekstruk

RNA-Einzelstrang bildet eine Sekundärstruktur

Ribonukleinsäure (engl.: ribonucleic acid, RNA) unterscheidet sich chemisch von der DNA durch den Pentose-Zucker Ribose, der alternierend mit Phosphorsäureresten ihr Rückgrat bildet, sowie durch das Vorkommen der Pyrimidinbase Uracil anstelle von Thymin. Im Gegensatz zur doppelsträngigen DNA liegen RNAs meist einzelsträngig vor und können daher komplexe und für etliche zelluläre Prozesse wichtige funktionale Sekundärstrukturen annehmen (s. auch hier).

Einer gut belegten Hypothese zufolge ist die RNA entwicklungsgeschichtlich sogar älter als die DNA, man spricht hier von der „RNA-Welt-Hypothese“: RNA kann zwar durch die Abfolge, die Sequenz, der in ihr enthaltenen Stickstoffbasen Information speichern, so wie auch die DNA, doch durch ihre Einzelsträngigkeit ist sie viel flexibler und kann unzählige komplexe Sekundärstrukturen annehmen, die es ihr ermöglichen, katalytische Aktivitäten zu entfalten, die in grauer Vorzeit umfaßt haben könnten, Kopien von sich selbst anzufertigen. In „modernen“ Zellen werden die Aufgaben der Informationsspeicherung und der enzymatischen Katalyse wesentlich besser von DNA und Proteinen erledigt, doch nur die RNA konnte und kann noch immer beides und erfüllt darüber hinaus noch viele andere unersetzliche Funktionen:

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kleiner, nicht vollständiger Überblick über die Vielzahl nicht-codierender RNAs; aus [2]

RNAs sind zelluläre Informations- aber auch Funktionsträger von zentraler Bedeutung. Drei besonders wichtige und der einen oder dem anderen vielleicht doch noch aus dem Biologie-Unterricht vertraute Erscheinungsformen pro- und eukaryotischer RNA stellen messenger-RNA (mRNA), ribosomale RNA (rRNA) und transfer-RNA (tRNA) dar. Darüber hinaus sind inzwischen viele Varianten nicht-codierender RNAs mit verschiedenen Funktionen bekannt, darunter auch sogenannte „small RNAs“ wie snRNA (small nuclear RNA), snoRNA (small nucleolar RNA), tnRNA (tiny non-coding RNA) u.v.a.m., sowie die als Agenten der RNA-Interferenz (RNAi) für nahezu alle zellulären Vorgänge bedeutenden und auch bereits mit zahlreichen pathologischen Prozessen assoziierten miRNAs (s.o.), die LeserInnen dieses Blogs inzwischen bekannt sein dürften, und den sog. „small interfering RNA“ (siRNA). Letztere beiden interagieren spezifisch mit mRNA-Molekülen (s.u.).

Besonders wichtig und zentral für eine Zelle ist und bleibt jedoch die mRNA. Man könnte sie als „Wegwerf-Produkt“ bezeichnen, denn sie bildet eine dynamische und nur kurzlebige Zwischenstufe der Genexpression und in Eukaryoten ermöglicht sie als temporärer Träger den Übergang der in der DNA im Zellkern kodierten Information für die Herstellung von Genprodukten ins Zytoplasma zu den als  „Ribosomen“ bezeichneten Organellen, die in der Zelle der Herstellung von Proteinen dienen. Die Herstellung der mRNA wiederum, die Transkription, erfolgt hierbei im Zellkern durch ein Enzym, das „DNA-abhängige RNA-Polymerase“ genannt wird und das sich dafür der der Vorlage der DNA bedient.

Dabei wird eine zunächst unreife Vorläuferform produziert, die prä-mRNA. Diese durchläuft jedoch bereits während der noch laufenden Transkription einen komplexen Prozess der Informationseditierung, das „Spleißen“, im Verlaufe dessen nicht kodierende Sequenzen (Introns) aus der mRNA entfernt und – abhängig vom Bedarf der Zelle – die Anzahl und Kombination der verbleibenden kodierenden Sequenzen (Exons) modifiziert wird (dabei kann es auch zu Zirkelschlüssen kommen ;-)). Außerdem erfolgt noch eine zusätzliche Informationseditierung sowie weitere Reifungsprozesse, die die reife mRNA nach Beendigung der Transkription stabilisieren, ihren raschen und gezielten Transport aus dem Kern und  die korrekte Initiation der Proteinbiosynthese (Translation) ermöglichen. Mehr zur RNA, ihrer „Geschichte“, Erforschung und Funktion, gibt es für besonders Interessierte in einem sehr empfehlenswerten Buch [1].

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Kommentare (2)

  1. #1 dedicke Bom
    09/12/2017

    Auf Teil 2 bin ich gespannt.

  2. #2 Fliegenschubser
    15/12/2017

    Ein guter Einstieg in ein faszinierendes Thema. RNAs und ihre Vielfalt und Dynamik sind extrem interessant und wahnsinnig komplex. Gefühlt kommen jedes Jahr ein paar neu entdeckte “Sorten” RNA dazu.
    Allein die posttranskriptionale Regulation von mRNA ist krass kompliziert. Neben dem oben beschriebenen Spleißen wird so ziemlich jeder einzelne Vorgang oder Aspekt von der Zelle gesteuert. Sei Stabilität, subzelluläre Lokalisierung, Verpackung, Transport, Translation…etc.
    Es gibt sogar RNAs, welche neben der altbekannten proteinkodierenden Funktion weitere, nicht kodierende Funktionen besitzen und andere RNAs regulieren. Je mehr entdeckt wird, desto mehr ergibt ein Bild, welches um Größenordnungen komplexer ist, als man es noch vor 10 oder 20 Jahren gedacht hatte.