Im ersten Teil dieser Mini-Serie zur forensischen RNA-Analytik habe ich ein paar einführende Bemerkungen zur RNA und zu den vielen verschiedenen Erscheinungsformen, die RNA in der Zelle einnehmen kann, gemacht. Ich schrieb:
die Gesamtheit aller in einer Zelle zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen RNAs bezeichnet man als das Transkriptom und seine Zusammensetzung, die ja die unzähligen RNA-vermittelten Vorgänge in und damit den Zustand der Zelle extrem detailliert abbildet, ist eine ungemein reiche Informationsquelle
In diesem Teil werde ich erklären, warum der dem Transkriptom innewohnende Informationsgehalt so interessant für forensische Untersuchungen ist, auch und gerade in Abgrenzung zur Information, die mittels DNA-Analyse gewonnen werden kann.
Der wichtige Unterschied zwischen DNA- und RNA-basierten Aussagen beruht auf der Funktion des jeweiligen Moleküls in der Zelle. Die DNA ist in (fast) allen Zellen (fast) identisch, man kann also eine Person identifizieren, gleichgültig, ob man eine Blut-, Hirn- oder Leberzelle von ihr untersucht. Die DNA ist statisch, d.h. ihre Menge (ca. 6 pg pro diploide menschl. Zelle) verändert sich im normalen Zellalltag nicht und auch nicht infolge äußerer Einflüsse und sie ist permanent, d.h. ihre Zusammensetzung, ihre Sequenz verändert sich nicht (höchstens durch Mutation und nur, wenn die Zelle das nicht reparieren kann).
Die RNA hingegen, repräsentiert durch das Transkriptom, ist unterschiedlich in allen Zellen, Hirnzellen haben ein anderes Transkriptom als Leberzellen als Blutzellen etc. Transkriptome sind zudem hochdynamisch, ihre Zusammensetzung ändert sich die ganze Zeit und als Folge der verschiedensten inneren und äußeren Einflüsse und RNA ist plastisch, denn eine RNA kann während und nach ihrer Herstellung (Transkription) noch verändert, editiert, angepaßt, neu kombiniert werden, wodurch sich der Informationsgehalt des Transkriptom zusätzlich erhöht.
Wenn nun also, wie in der Abbildung angedeutet, die Unterscheidung von Zellarten (z.B. Hirn, Leber, Blut), Entwicklungsstadien (Puppenstadien bei der Fliegenentwicklung), Zeitverläufe oder bestimmte physiologische Zustände (z.B. Schwangerschaft) einer forensischen Fragestellung zugrunde liegen, dann kommt man mit der Untersuchung der DNA nicht weiter, weil diese in all diesen Instanzen, über alle Zellarten, Stadien, Zeiten und Zustände hinweg, gleich ist. Hier kann also die RNA-Analyse, die Untersuchung der Transkriptome weiterhelfen, da diese sich sowohl zwischen den Zellarten und –zuständen als auch zwischen Entwicklungsstadien, Zeitintervallen etc. erheblich unterscheiden.
Besonders gut erforscht ist bisher die forensische Analyse von mRNA und micro-RNA (worauf, wie die LeserInnen wissen werden, mein besonderes Interesse liegt). Die allererste wissenschaftliche Veröffentlichung, in der die Verwendung von RNA in einem forensischen Kontext beschrieben wurde, stammt von 1994 [1], die erste Arbeit über RNA-basierte Identifikation von Körperflüssigkeiten erschien 2002 in Bonn [2] (nein, nicht von mir, das war deutlich vor meiner Zeit ;-)). Nach 2011 gab es dann eine deutliche Zunahme der Zahl der Publikationen und zum heutigen Zeitpunkt gibt es ~294 Arbeiten zur forensischen RNA-Analyse, davon 20% sich explizit mit der Analyse von miRNA befassen. Inzwischen gibt es sogar erste Studien, die NGS und RNA- [3,4] bzw. miRNA-Analytik [5] zusammenbringen zu forensischem RNASeq, wodurch sich wieder ganz neue Möglichkeiten ergeben. Man kann also sagen, daß es ein durchaus reges Interesse in der forensisch-molekularbiologischen Community an RNA-analytischen Verfahren gibt.
Die forensisch-molekularbiologische Hauptuntersuchungsform ist und wird sicher bleiben die DNA-Analyse (basierend auf derzeit der kapillarelektrophoretischen, zukünftig wahrscheinlich der NGS-basierten Analyse von STRs) mit dem Zweck der eindeutigen Zuordnung biologischer Spuren zu ihrem Verursacher bzw. Hinterlasser, mit anderen Worten: die Individualisierung einer Spur. Doch die RNA-Analyse kann (und sollte) hier als parallel durchführbares Verfahren hinzutreten, welches die komplementäre Erkenntnisqualität der Spurenkontextualisierung beiträgt. So ermöglicht sie die Interpretation eines Spurenmusters in Hinsicht auf den Modus (nicht die Quelle) seiner Entstehung und sonstiger Umstände (z.B. durch Identifikation von Spurenkomponenten, Dekonvulsion von Mischungen, Bestimmung des Zeitpunkts der Entstehung der Spur etc.). So können entscheidende Erkenntnisse zur objektiven und etwa nicht auf notorisch unzuverlässige menschliche Zeugen angewiesenen Rekonstruktion eines Tatverlaufs gewonnen werden, die, integriert mit der durch DNA-Analyse zugänglichen Quelleninformation, ein recht detailliertes und einzig aus physikalischer Evidenz abgeleitetes Bild eines Tatgeschehens und der Identität seiner Beteiligten gestattet. Diese Integration ist auch möglich, weil dank simultaner Extraktionsverfahren DNA und RNA aus ein- und derselben Probe gewonnen werden können, selbst aus forensischen Probenmaterial [6]. Man muß sich also nicht für DNA oder RNA entscheiden, sondern kann stets beide Aussagequalitäten erhalten und für die Beurteilung nutzen.
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