Kürzlich hatten wir einen interessanten Fall zu bearbeiten, von dem ich hier heute berichten will [1]:
Dazu zuerst folgende Hintergrundinformation:
Bei Herrn C. war im Jahr 1997 Akute lymphoblastische Leukämie (ALL) diagnostiziert worden, die u.a. mittels mehrerer Runden Chemotherapie behandelt wurde. Da eine der häufigen Nachwirkungen der aggressiven Behandlung Unfruchtbarkeit ist, entschloß sich der Patient, Proben von seinem Sperma cryoasservieren zu lassen, um sich auch später noch für die Zeugung von Nachkommen entscheiden zu können. So, wie uns der Patient es schilderte, verlief damals jedoch die Spermaspende und auch die Kommunikation mit dem Institut, das mit der Lagerung der Probe betraut worden war, mit Unregelmäßigkeiten und wirkte nicht vollständig seriös.
Herr C. wurde dann zuende behandelt, genas vollständig und ist seit mehr als 20 Jahren ohne Rezidiv, man kann sagen: geheilt.
Hinweis: Im Folgenden werden auch DNA-Profile gezeigt und diskutiert. Den technischen und biologischen Hintergrund dazu kann man sich in der Serie zur forensischen Genetik anlesen, insbesondere in diesen beiden Folgen.
Der Fall: 2018 hatten Herr C. und seine Partnerin sich entschlossen, zusammen Kinder zu zeugen, weshalb Herr C. sich einer Fruchtbarkeitsklinik anvertraute und auf seine Spende zurückgreifen wollte. Bei der Suche nach der, wie sich zeigte, unzureichend beschrifteten Probe kam es erneut zu Unregelmäßigkeiten, was Herrn C. zurecht mißtraurisch stimmte, so daß er sich schließlich und eben bevor die Proben zu einem nicht rückgängig machbaren Einsatz kamen über die Fruchtbarkeitsklinik an uns wandte, mit dem Auftrag, zu prüfen, ob die Spermaproben, die man ihm ausgehändigt hatte, auch wirklich seine eigenen waren und um somit eine Verwechslung auszuschließen. In der Klinik nahm man ihm Blut ab und schickte uns die Blut- und Spermaproben zu.
Wir untersuchten beide Proben und gelangten zu folgendem Befund:
Mit anderen Worten: die Profile stimmen nicht überein, es ist unmöglich, daß das Blut von der Person stammt, die das Sperma gespendet hatte! Hatte Herr C. also mit seiner Befürchtung recht? Im Formular, das wir alle Probanden, die uns Proben abgeben, ausfüllen lassen, wird auch abgefragt, ob der Proband an einer Erkrankung des Blutes oder der blutbildenden Organe leidet oder litt und ob er eine Knochenmarkstransplantation erhalten habe. Herr C. hatte das nicht bestätigt, doch weil ich angesichts der Tatsache, daß Herr C. überhaupt eine Spermaasservierung hatte vornehmen lassen, einen Verdacht hatte, schrieb ich in unser Gutachten, das den oben genannten Befund erläuterte, noch zusätzlich hinein, daß dies nicht gelte, falls der Patient eine Knochenmarks- bzw. Stammzellspende erhalten habe.
Zum Hintergrund: die Spende von Stammzellen, die dann transplantiert werden (SCT), kann zur Therapie von ALL eingesetzt werden. Zuvor wird jedoch durch Bestrahlung das gesamte eigene, kranke Knochenmark des Patienten und damit dessen Immunsystem zerstört. Da alle Blutzellen aus dem Knochenmark und damit den Zellen des Spenders hervorgehen, weisen, wenn das Transplantat im Patienten anwächst, die Blutzellen des Patienten (= Empfänger) von diesem Zeitpunkt an das genetische Muster des Spenders auf. Ihr Muster passt also nicht mehr zum genetischen Muster anderer Körperzellen, die noch das Muster des Empfängers besitzen. Man nennt das gemischten Chimärismus (gCh) und für die forensische Genetik ist das ein hochrelevantes Phänomen, denn wenn z.B. Tatverdächtige einen gCh aufweisen, kann man Spuren ihres Blutes nicht mehr sicher anderen ihrer Körperzellen zuordnen.
Ich hatte also vermutet, daß der Patient zwar einen gCh aufweise, man es nur versehentlich und weil man sich in der Klinik der Problematik nicht ausreichend bewußt war, nicht angekreuzt hatte. Und in der Tat: Herr C. war mit dem Gutachten zum Reproduktionsmediziner gegangen, der mich anrief und berichtete, daß Herr C. sehr wohl eine SCT und zwar von seinem leiblichen Bruder erhalten habe. War die Probe also doch nicht verwechselt worden?
Daraufhin errechneten wir biostatistisch die Wahrscheinlichkeit, daß das Blut von einem leiblichen Bruder des Mannes, der das Sperma gespendet hatte, stammen konnte. Diese betrug jedoch gerade einmal 9,26%, was klar gegen eine Verwandtschaft von Spender und Empfänger und wiederum für die Befürchtung der Verwechslung sprach! Um sicher zu gehen, baten wir Herrn C., sich persönlich bei uns vorzustellen, bei welcher Gelegenheit wir ihm einige Haare auszupften und auch eine Wangenschleimhautprobe abnahmen. Man weiß nämlich, daß in Haaren der ursprüngliche Genotyp des Empfängers auch nach SCT erhalten bleibt [2].
Und nun klärte sich alles auf:
Die DNA-Profile von Sperma und Haarwurzeln stimmten vollständig überein, eine zufällige Übereinstimmung war so unwahrscheinlich (< 0,000000001%), daß sie praktisch auszuschließen war, so daß erwiesen war, daß die Spermaprobe wirklich von Herrn C. stammte. Am Profil der Mundschleimhautprobe (MSH), das aus Zellen von Spender und Empfänger entsteht, war dann auch wunderschön der gCh zu erkennen, der sich perfekt aus den Merkmalen von Spender und Empfänger (unterstrichen) zusammensetzte und belegte, daß auch die Blutprobe nicht verwechselt worden war.
Herr C. war auch absolut sicher, daß sein leiblicher Bruder die Stammzellen gespendet hatte und daß er und sein Bruder von denselben beiden Eltern abstammten. Aber warum war die Wahrscheinlichkeit für eine Verwandtschaft dann so gering? Zufall! Man hat gezeigt, daß in einigen wenigen Fällen (< 4%) auch bei Vollgeschwistern rein zufällig nur eine sehr niedrige Verwandtschaftswahrscheinlichkeit resultieren kann [3] und dieser Fall war ein solcher. Um sicher zu gehen, testeten wir noch die y-chromosomalen Merkmale der Blut- und Spermaproben. Wenn Spender (Blut) und Empfänger (Sperma) von demselben Mann, ihrem gemeinsamen Vater, abstammten, dann müßten die y-chromosomalen Merkmale, die in väterlicher Linie unverändert vererbt werden, identisch sein. Und so war es auch: die y-chromsomalen STR-Systeme stimmten bei Blut-, Sperma- und MSH-Probe vollständig überein, die Wahrscheinlichkeit für ein zufälliges Übereinstimmen war abermals vernachlässigbar gering.
Fazit: Herr C. konnte nun sicher sein, daß es sich wirklich um seine Proben handelte und war sehr erleichtert über dieses Ergebnis.
Wir haben gelernt, daß der gemischte Chimärismus nicht nur bei Abstammungs- und Spurenuntersuchungen relevant und wichtig ist, daß man auf den Punkt mit der SCT auf den Entnahmeformularen am besten auch noch einmal mündlich ausdrücklich hinweisen und im Verdachtsfall nachfragen sollte und daß man bei geringen Wahrscheinlichkeiten für Verwandtschaft keine voreiligen Schlüsse ziehen und lieber weiterfragen, -testen und ggf. seinen Untersuchungsumfang erweitern sollte.
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Referenzen:
[1] Courts, C., & Preuß-Wössner, J. (2019). All mixed up?—genotype change after stem cell transplantation impeded verification of 21-year-old semen sample—a case report. International Journal of Legal Medicine, 1-4.
[2] Berger, B., Parson, R., Clausen, J., Berger, C., Nachbaur, D., & Parson, W. (2013). Chimerism in DNA of buccal swabs from recipients after allogeneic hematopoietic stem cell transplantations: implications for forensic DNA testing. International journal of legal medicine, 127(1), 49-54.
[3] von Wurmb-Schwark, N., Podruks, E., Schwark, T., Göpel, W., Fimmers, R., & Poetsch, M. (2015). About the power of biostatistics in sibling analysis—comparison of empirical and simulated data. International journal of legal medicine, 129(6), 1201-1209.
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