Zu meiner normalen „Literaurroutine“ gehört, daß ich die Titel aller Artikel, die in allen relevanten forensischen, begutachteten Fachzeitschriften und dazu noch einigen weiteren wie Science, Nature, Cell etc. und bei Interesse dann auch noch den Abstract lese. So verpasse ich nichts für mich wichtiges und bleibe auf dem Laufenden. Der Titel der Studie [1] in der eigentlich seriösen Fachzeitschrift Forensic Science International (FSI), in der ich selbst auch schon publiziert habe und der lautete „Individueller menschlicher Geruch als Mittel zur forensischen Identifikation unter Einsatz von Mantrailing“ (Ü: CC) hatte mich nicht interessiert, da er weder meine Forschungsinteressen noch generell forensisch-molekularbiologische Themen betrifft (unter „Mantrailing“ versteht man die Personensuche unter Einsatz von Gebrauchshunden, wofür der Geruchssinn der Hunde genutzt wird). Also las ich den Abstract nicht und vergaß die Studie rasch wieder.
Ein Jahr später las ich den Abstract dann doch, nachdem ich auf diese „merkwürdige“ Studie aufmerksam gemacht worden war und da wurde ich dann stutzig. Da stand wirklich:
„The results of the study suggest that the components contained in axillary sweat, saliva and DNA extracted from whole blood are sufficient, serving as a key stimulus for individualized searches.” (fett von mir)
Ü: Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, daß die Komponenten, die in Achselschweiß, Speichel und aus Blut extrahierter DNA enthalten sind, ausreichend sind, um als Schlüsselreiz für individualisierte Suchen zu dienen.
Mit anderen Worten: Hunde können DNA riechen? Jetzt wollte ich es genau wissen, lud die Studie aus dem Internet herunter, las sie und warf sie dann auch meinen (Master/PhD)-Studenten in unserem Journal Club zum Fraß vor. Auch diese beiden waren nicht beeindruckt. In der Diskussion der Studie heißt es dann noch deutlicher:
„To our knowledge, this is the first study demonstrating that saliva and DNA samples provides enough information for the dog to search for an individual.”
Ü: Unseres Wissens ist diese die erste Studie, die zeigt, daß Speichel und DNA-Proben ausreichende Information für einen Hund enthalten, um ein Individuum zu suchen.
Die Autoren behaupten hier also in der Tat, daß Hunde anhand des Geruchs von DNA Menschen mit dieser DNA finden und damit identifizieren zu können. Das wäre nicht weniger als eine Sensation und das fand auch die Pressestelle der Uni Leipzig, die den eigentlich eher kleinen Teilbefund der Studie, die sich vorrangig mit der systematischen Untersuchung von „normalem“ Mantrailing (also mit Proben von Schweiß und Speichel) befaßte, aufgriff und schrieb:
Ein Forschungsprojekt der Universität Leipzig geht der Frage nach, wie zuverlässig sogenannte Mantrailer-Hunde die individuelle Geruchsspur eines Menschen unter realen polizeilichen Einsatzbedingungen verfolgen können. […] Ergebnis: es konnte weltweit erstmalig nachgewiesen werden, dass neben Speichel auch isolierte DNA aus Blut als Schlüsselreiz für die Aufnahme einer Geruchsspur durch Hunde geeignet ist.
Das wiederum griffen andere Medien und Boulevardpresse auf und titelten etwa
oder gar
Die Studie hatte also bereits eine enorme Aufmerksamkeit erregt. Leider hielt sie nicht, was in den Medien versprochen wurde. Genau genommen lieferte die Studie keine Anhaltspunkte, daß Hunde tatsächlich DNA riechen können. Da in Sachsen allerdings bereits einige Gerichte Matrailing-Befunde als Beweismittel anerkennen, sahen wir es als Verpflichtung, unsere Kritik an der Studie und insbesondere eine Warnung davor, sich vor Gericht auf sie zu berufen, aufzuschreiben und unsererseits zu veröffentlichen. Und so geschah es.
Unsere Hauptkritikpunkte waren:
- Das ganze Konzept, die Idee, daß DNA riechbar sein könnte, ist von vornherein extrem unplausibel. Um „riechbar“, d.h. ausreichend volatil zu sein, um als Aerosol durch die Luft zu schweben und auf diese Weise an das Riechepithel einer Nase zu gelangen, muß eine Komponente eine molare Masse von ≤ 450 g/mol aufweisen [2]. Menschliche DNA hingegen liegt in makromolekularen Strukturen mit Millionen von Basenpaaren vor, von denen ein einziges bereits 650 g/mol hat. Doch selbst wenn DNA-Moleküle die Hundenase erreichen könnten, müßten die Riechrezeptoren des Hundes die winzigen Unterschiede (weit unter 1%) zwischen den Genomen zweier unverwandter Menschen auflösen können, um tatsächlich auf Grundlage des „DNA-Geruchs“ zwischen zwei Personen unterschieden zu können und zwar rein anhand der Abfolge von Millionen und Milliarden Nukleotiden. Man kennt keine molekularen Strukturen in der Natur, die das können und daß solche – bisher unentdeckterweise – in der Hundenase existieren sollen, ist absurd unwahrscheinlich.
- Wenn also 1. gilt und hier eine überaus unwahrscheinliche, höchst unplausible Hypothese überprüft werden sollte, so wäre ein Prinzip von Laplace anzuwenden gewesen: „Die Beweiskraft der Evidenz für eine außerordentliche Behauptung sollte proportional zu deren „Seltsamkeit“ sein.“ (Quelle). Oder kürzer mit Carl Sagan: Extraordinary claims require extraordinary evidence. Und genau das ist hier nicht der Fall: die total veraltete Methode, die hier für die DNA-Extraktion eingesetzt wurde, war in einer nicht begutachteten Zeitschrift als eigentlich eine Methode für die DNA-Fällung aus wäßriger Lösung beschrieben worden. Wie ungeeignet sie für den eingesetzten Zweck war, sieht man nicht nur an den, angesichts der großen Blutmenge (100 ml) vergleichsweise geringen DNA-Konzentrationen, die erreicht wurden sondern auch an folgender Bemerkung der Autoren selbst (übersetzt von mir):
Dennoch kann aufgrund der Methode nicht ausgeschlossen werden, daß auch Proteine, Polysaccharide und RNA zusammen mit der DNA ausgefällt wurden und noch in der Probe enthalten waren.
Mit anderen Worten: es könnten durch die ungeeignete Methode noch Substanzen aus dem Blut in den vermeintlichen DNA-Proben enthalten sein, die tatsächlich einen Geruch haben und von Hunden wahrnehmbar sein könnten! Die Methode war also denkbar ungeeignet, um zu beweisen, daß reine, sauber extrahierte und hochmolekulare DNA tatsächlich einen individualspezifischen (d.h. sequenzabhängigen) Geruch hat.
Weitere Kritikpunkte, die eher technischer Natur sind und die man in unserem Original-Kommentar [3] ausführlicher nachlesen kann, betrafen die unzureichende Beschreibung der Probenbehandlung nach der Extraktion z.B. hinsichtlich der Frage, ob und welche Proben mit einem DNA-schneidenden Enzym versetzt worden waren und ob die Proben nun feucht oder getrocknet waren. Außerdem war auch die Auswahl und Anwendung der statistischen Verfahren sowie die Interpretation der damit errechneten Daten zu bemängeln, da nicht ausreichend berücksichtigt wurde, daß auch sehr kleine Effektstärken bei ausreichend geringen p-Werten als „hochsignifikant“ überrepräsentiert werden können (Unterschiede zwischen zwei Verteilungen können zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht-zufällig aber doch so gering ausgeprägt sein, daß sie praktisch bedeutungslos sind).
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