In meinen Vorlesungen und Seminaren werde ich eigentlich immer gefragt, ob man mittels STR-Profiling auch eineiige Zwillinge unterscheiden könne.

Immer sage ich dann, daß das nicht möglich sei, wie am Beispiel der dreisten Berliner Kaufhausdiebe ersichtlich, ABER daß man, sollte man von der Natur mit einem derartigen genetisch identischen Geschwister ausgestattet worden sein, dennoch nicht vorschnell ob der sich nun vermeintlich bietenden Möglichkeiten frohlocken und mit dem Planen von Raubzügen beginnen möge, denn es sei mittels NGS inzwischen bereits gelungen, eineiige Zwillinge voneinander zu unterscheiden [1]. Das Verfahren wurde in Boston, USA auch bereits eingesetzt, um einen von zwei eineiigen Zwillingen der Vergewaltigung zu überführen.

Diese Methode ist allerdings noch sehr zeit- und vor allem kostenaufwendig, die Bostoner Staatsanwaltschaft hat der Test immerhin ca. 100.000 $ gekostet. Das liegt daran, daß die Unterschiede zwischen eineiigen Zwillingen aus somatischen Mutationen erwachsen, also Mutationen, die nicht Teil der Keimbahn sind sondern erst später im Verlaufe der Entwicklung entstehen und daher auch nicht notwendigerweise in allen Zellen des ausgewachsenen Menschen vorhanden sind. Um diese Unterschiede zu finden, muß man daher eine sehr aufwendige Suche im gesamten Genom betreiben und das geht nur mit leistungsfähigen NGS-Geräten und bedarf dazu einer umfangreichen Datenanalyse. Solch einen Aufwand kann sich der Staat natürlich nur bei Kapitaldelikten leisten, weshalb es sehr praktisch wäre, ein schnelleres, einfacheres und vor allem günstigeres Verfahren zur Unterscheidung eineiiger Zwillinge zu haben.

Ein ebensolches wurde nun von der Gruppe um Graham Williams aus England vorgestellt. Das Verfahren beruht nicht auf der mühseligen Suche nach Sequenzunterschieden im Genom  sondern auf Unterschieden bei der DNA-Methylierung. Diese epigenetischen Veränderungen werden stark durch Umweltbedingungen beeinflusst und können sich demnach auch bei eineiigen Zwillingen unterscheiden. (Ich empfehle sehr,  den oben verlinkten Basics-Artikel zu Epigenetik zu lesen, falls erforderlich, um diesen Artikel besser verstehen zu können.)

Graham und seine Gruppe fanden heraus, daß bei eineiigen Zwillingen die Methylierungsmuster in den als Alu-SP und Alu-E2F3 bezeichneten DNA-Bereichen verschieden sein können. Dies machten sie sich zunutze, um die DNA eineiiger Zwillinge anhand von hochauflösender Schmelzkurven-Analyse (HRMA) zu unterscheiden. Die Methode basiert darauf, daß die Schmelztemperatur doppelsträngiger DNA-Abschnitte davon abhängt, durch wieviele Wasserstoffbrückenbindungen die Abschnitte zusammengehalten werden.

wir erinnern uns: die Basenpaarung A:T enthält zwei, die Paarung G:C jedoch drei Wasserstoffbrückenbindungen

 

Wenn man nun DNA mit Bisulfit reagieren lässt, werden nicht-methylierte Cytosinbasen (und nur diese) zu Uracilbasen umgewandelt.

Bisulfit-Konvertierung von Cytosin zu Uracil (mit Zwischenstufen); (c) www.methylogix.com

Bisulfit-Konvertierung von nicht-methyliertem Cytosin zu Uracil (mit Zwischenstufen)

Cytosin paart sich in der doppelsträngigen DNA mit Guanin, Uracil (das normalerweise in der DNA nicht vorkommt) jedoch mit Adenin. In komplementären Kopien von bisulfitbehandelten DNA-Strängen werden also an den Stellen, an denen nach der Behandlung Uracil sitzt, Adenine eingebaut, so daß im Doppelstrang an diesen Stellen eine Wasserstoffbrückenbindung weniger aufgebaut wird. Wenn nun die Zwillinge unterschiedliche Methylierungsmuster in einem bestimmten DNA-Bereich aufweisen (z.B. Alu-E2F3) und man diese DNA-Bereiche mit Bisulfit behandelt und danach mittels PCR Kopien davon herstellt, dann unterscheiden sich die Bereiche in der Anzahl ihrer insgesamt ausgebildeten Wasserstoffbrückenbindungen und damit in ihrer Schmelztemperatur nach der Regel: je mehr nicht-methylierte Cytosine vorhanden waren, desto weniger Wasserstoffbrücken enthält der Doppelstrang nach der Behandlung, desto niedriger ist seine Schmelztemperatur.

Diese Unterschiede lassen sich messen, indem man die DNA langsam und kontinuierlich erhitzt und dabei ein Fluoreszenzsignal beobachtet, das von einem Fluoreszenzfarbstoff abgegeben wird, wenn dieser an einen DNA-Doppelstrang gebunden ist. Die Temperatur, bei der das Fluoreszenzsignal plötzlich stark abnimmt, ist die Temperatur, bei der der Doppelstrang in zwei Einzelstänge auseinanderfällt, die Schmelztemperatur der DNA.

graphik

Schmelzkurvenanalyse von unterschiedlich methylierten DNA-Abschnitten eineiiger Zwillinge. X-Achse: Temperatur; Y-Achse: Fluoreszenzintensität

 

Das Bild zeigt die Schmelzkurven zweier unterschiedlicher DNA-Abschnitte, die von eineiigen Zwillingen stammen und wegen verschiedener Methylierungsmuster unterschiedliche Schmelztemperaturen aufweisen.  So kann man dann die Zwillinge auseinanderhalten.

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Kommentare (12)

  1. #1 Dr. Webbaer
    17/09/2015

    Laienhaft nachgefragt:
    Liegt “Gen-Material” von Personen vor, so kann dieses insbes. epigenetisch bearbeitet werden, so dass die Unterscheidung von eineiigen Zwillingen möglich wird, wobei dieses Verschieden-Sein-Können (siehe WebLog-Nachricht) wie genau stabil, sicher, unterschiedlich und forensisch nutzbar ist?

    MFG
    Dr. W

  2. #2 BreitSide
    Beim Deich
    17/09/2015

    Könnte diese Technik auf den KaDeWe-Überfall noch angewendet werden? Oder ist das schon ein “cold case”?

  3. #3 noch'n Flo
    Schoggiland
    18/09/2015

    Bin wieder einmal durch Deinen Blog extrem beeindruckt, CC. Wow! Wenn ich mich da an meinen Genetik-Unterricht im Studium (vor gerade mal 20 Jahren) erinnere, in dem uns noch felsenfest versprochen wurde, es werde niemals möglich sein, eineiige Zwillinge aufgrund ihres Genoms zweifelsfrei zu unterscheiden…

    Oha!

    Soeben ist etwas passiert, was uns die Esos hier bei SB immer wieder einreden wollen: mein naturwissenschaftliches Weltbild wurde heftigst erschüttert.

    (Und jetzt hoffe ich mal, dass ich als einfacher Landarzt die entsprechenden Veröffentlichungen in den nächsten Wochen auch gemeinfrei lesen kann, um meinen bescheidenen Horizont angemessen zu erweitern…)

  4. #4 noch'n Flo
    Schoggiland
    18/09/2015

    Kleiner, aber wichtiger Nachtrag:

    Der Umstand, dass CCs Blogeintrag gerade mein naturwissenschaftlisches Weltbild massiv gerockt hat, soll keineswegs zu der Fehldeutung verleiten, dass deswegen auch noch sämtlicher unwissenschaftlicher Eso-Krempel möglich wäre. Vielmehr werden Medizin und Biologie in den nächsten Jahren ein paar ihrer bisherigen Prämissen entscheidend überarbeiten müssen – was aber immer noch nichts an der weiterhin bestehenden Gültigkeit der wichtigsten Grundaussagen dieser Fächer ändert!

    (Nur mal so für den Fall, dass mich irgendein Honk auf meinen letzten Kommentar zu diesem Blogeintrag irgendwann festzunageln gedenken sollte…)

    • #5 BreitSide
      Beim Deich
      18/09/2015

      “Siehste”, würde jetzt das Naßhorn sagen 🙂

  5. #6 BreitSide
    Beim Deich
    18/09/2015

    Soll aber nicht heißen, dass Du gestolpert wärst!

  6. #7 JW
    18/09/2015

    Als ich vor rund 15 Jahren auf die Epigenetik aufmerksam wurde, war ich schon extrem begeistert von den potentiellen Möglichkeiten. Allerdings habe ich als der Botanik zugewandter Mensch eher weniger an Zwillinge gedacht.
    Extrem coole Methode und ich denke auch für Laien ganz gut erklärt.
    Aber, wenn ich das richtig sehe, muss zuerst bekannt sein, von welchem Zellmaterial die Spuren stammen um vernünftige Vergleiche zu machen. Ist das nicht bei Mikrospuren recht unsicher? Oder sind die Marker dafür gut genug? Klar, Spermien und Erys (ja sind kernlos) sehe ich, aber ansonsten?

  7. #8 Cornelius Courts
    23/09/2015

    @Webbaer: “” wie genau stabil, sicher, unterschiedlich und forensisch nutzbar ist?”

    kommt immer drauf an, aber epigenetische i.e. Methylierungsanalysen sind in der Forensik angekommen und eignen sich auch zur Unterscheidung von Körperflüssigkeiten bzw. der Aufschlüsselung von Mischungen. Natürlich gibt es Einschränkungen und CAVEs aber grundsätzlich funktioniert es.

    @noch’n Flo:
    “Bin wieder einmal durch Deinen Blog extrem beeindruckt, CC. Wow!”

    Das freut 🙂

    “es werde niemals möglich sein”

    GANZ schwierige Behauptung, die, schätze ich jetzt mal, von einem Mediziner kam? Nichts gegen Mediziner, aber in meiner Erfahrung neigen da die Profs solchen ja ziemlich auskennerisch wirkenden Absolutheits-Statements gerne mal zu 🙂

    “mein naturwissenschaftliches Weltbild wurde heftigst erschüttert.”

    nehme ich als Kompliment und ist zugleich eins für Dich, denn nur erschütterbare Weltbilder schützen vor Fundamentalismus.

    “dass ich als einfacher Landarzt die entsprechenden Veröffentlichungen in den nächsten Wochen auch gemeinfrei lesen kann”

    😉

    @JW: “Aber, wenn ich das richtig sehe, muss zuerst bekannt sein, von welchem Zellmaterial die Spuren stammen um vernünftige Vergleiche zu machen. Ist das nicht bei Mikrospuren recht unsicher? Oder sind die Marker dafür gut genug? Klar, Spermien und Erys (ja sind kernlos) sehe ich, aber ansonsten?”

    Naja, solange ich von einem Verdächtigen dasselbe Spurenmaterial (bspw. Körperflüssigkeit) zum Vergleich nehme, geht es ja. Und welche KF es ist, kann man ja, u.a. dank miRNA 🙂 herausbekommen. Klar, Mikrospuren sind immer schwierig und es wird sich auch nicht jede Spur für epigenetische Analysen eignen, aber im Notfall hat man ja immer noch NGS.

  8. #9 Uwe
    25/09/2015

    Sehe ich das richtig, daß diese Methode nur bei Proben und Vergleichsproben etwa gleichen Alters anwendbar ist?

  9. #10 Cornelius Courts
    25/09/2015

    @Uwe: ich würde das sicherheitshalber so handhaben, ja. Ich denke nicht, daß einige Stunden oder Tage problematisch sind, aber Jahre vielleicht schon, daher die Einschränkung der cold cases.

  10. #11 Single Molecule
    Berlin
    25/10/2015

    Die Bisulfit-Methode ist doch schon recht antiquiert, zumal man seit einiger Zeit was Besseres hat. Stichwort Einzelmolekül-Sequenzierung mit kinetischer Datenauswertung.
    Nucleic Acids Research, 2012, 1–13 doi:10.1093/nar/gks891, The methylomes of six bacteria.

  11. #12 Cornelius Courts
    25/10/2015

    @Single Molecule: “doch schon recht antiquiert,”

    nein, ist sie nicht.

    “Stichwort Einzelmolekül-Sequenzierung ”

    Du hast aber schon verstanden, worum es in dem Artikel ging, oder? Um eine “Methode zur Unterscheidung eineiiger Zwillinge, die im Gegensatz zu NGS viel schneller und günstiger durchführbar ist und daher auch bei geringerfügigen Delikten im Budget der Ermittler sein dürfte.”
    Eineiige Zwillinge mittels NGS unterscheiden kann man schon länger und darüber habe ich auch schon berichtet…