„Laß die Leute doch, wenn’s denen hilft“, „Es gibt mehr Dinge auf dieser Welt, als Deine Schulweisheit…“ uuuuund „Wer heilt, hat recht!“
Das sind wohl die Legitimations- bzw. Beschwichtigungsklassiker für Homöopathie (und nebenbei andere Phantasieheilverfahren), die mich am meisten auf die Palme bringen. Nicht nur, weil ich sie schon so oft gehört habe, sondern auch, weil sie – mit Verlaub – so dämlich sind.
Ein kurzer Abschweif zu „wer heilt hat recht“ (WHHR) sei mir gestattet, weil es mich mit seiner neologismusrechtfertigenden ‘Dummpenetranz‘ und bräsigen Selbstgefälligkeit, mit der es üblicherweise vorgetragen wird, einfach so rasend macht! WHHR ist ein interessantes Beispiel für gleich zwei verschränkte Fehlschlüsse. Der erste ist in „wer heilt“ enthalten, da „wer heilt“ einen kausalen Zusammenhang bei (meist n = ) einer Person zwischen der Einnahme einer Substanz (hier: Globuli) und einer von der Person wahrgenommenen Befindensbesserung impliziert (allgemein als „Heilung“ bezeichnet). Das ist ein Fehlschluß der Art „Post hoc, ergo propter hoc“. Bei diesem aufgrund unserer Wahrnehmungsgewohnheiten sehr verbreiteten Fehlschluß wird fälschlicherweise aus einer tatsächlich beobachtbaren Abfolge oder Anordnung von X und Y in der Zeit auf einen kausalen Zusammenhang zwischen X und Y geschlossen: „Bei mir sind die Kopfschmerzen von den Globuli aber weggegangen!“ (das einzige, was die Person hier wissen kann, ist, daß die Kopfschmerzen nach der Einnahme verschwunden sind (= zeitliche Abfolge), ein kausaler Zusammenhang („von“) kann jedoch mit einiger Sicherheit nur abstrakt aus klinischen Studien mit Tausenden Teilnehmern abgeleitet werden und da ist die Homöopathie bekanntlich notorisch miserabelst aufgestellt.) Somit ist der „wer heilt“-Teil hinfällig. Zweitens ist aber auch der „hat recht“-Teil fragwürdig, denn selbst wenn die Homöopathie tatsächlich kausal (und über Placebo hinaus) eine echte Genesung bedingt hätte, würde das über die Korrektheit der Aussagen ihrer Befürworter und auch ihres Begründers natürlich nicht das Mindeste aussagen (dieser Fehlschluß kommt aus der A. ad verecundiam-Ecke) /Abschweif
Da Homöopathie (H.) bedauerlicherweise 1. sehr verbreitet, 2. sehr mißverstanden (die allermeisten Nutzer kennen den hochesoterischen Hintergrund nicht und verstehen darunter so eine Art „sanfte, pflanzliche Medizin ohne ‚Schemieh‘“) und 3. häufig eine der ersten Begegnungen mit echter Esoterik im Leben einer Person ist, hat die H.-Kritik immer noch ihren Nutzen und Berechtigung und hat m.E. überdies das Potential, zu kritisch(er)em Denken anzuregen: ich selber habe oft erlebt, daß schon durch das Bewußtmachen/Erklären der ersten Stufe des Unsinns der H., also der Umkehr des Dosis-Wirkungsprinzips, Leute (nachdem sie sich bei Wikipedia versicherten, daß stimmte, was ich gesagt hatte) in Zweifel über deren logische Haltbarkeit gerieten. Einige konfrontierten mich dann noch mit der klassischen H.-Verteidigung und zweiten Stufe des Unsinns: dem Wassergedächtnis. Auch letzteres läßt sich leicht widerlegen, nicht zuletzt durch reductio ad absurdum. Wenn die in Zweifel geratenen (Ex-)H.-Befürworter dann, auch sich selbst gegenüber, einräumen müssen, daß etwas, was offensichtlich unrettbarer Schwachsinn ist, dennoch so verbreitet und beliebt sein kann, mithin die Verbreitung und Beliebtheit einer Sache nicht mit deren Wirksam- oder Nützlichkeit korreliert, kann man sie oft dazu anreizen, auch andere dumme und beliebte Dinge wie Astrologie, Akupunktur & TCM, Kabelklang etc. kritischer zu betrachten und somit vielleicht einem esoterischen „Bahnungseffekt“ der H. ein wenig entgegenwirken.
Daß H.-Kritik darüber hinaus aufgrund der sehr realen Gefahren und moralischen Probleme, die mit ihrem Einsatz als Therapeutikum einhergehen, leider immer noch wichtig ist, ist einzuräumen. Nicht nur mangelt es aufgrund der esoterischen und unwissenschaftlichen Natur der H. häufig am informierten Einverständnis der Patienten, denen H. verordnet wird (häufig wissen sie nicht und wird ihnen nicht gesagt, daß für die Mittel, die keinen Wirkstoff enthalten, bisher keinerlei Wirksamkeit nachgewiesen wurde, man also die von ihnen erbetene Hilfeleistung mitwillig – und gegen Bezahlung – unterläßt). Nicht selten konkurrieren homöopathische Therapieansätze aber auch mit medizinischen Therapieansätzen und verwässern oder verdrängen diese gar, so daß es zu Therapieverschleppungen und im schlimmsten Fall in deren Folge zu den immer wieder berichteten Todesfällen kommt. Das ist alles schlimm und es ist peinlich, rückständig und u.a. der Wehrlosigkeit deutscher Politik gegenüber Lobbyinteressen zuzuschreiben, daß auch im Jahr 2019 ein Arzt noch wirkungslose Zuckerkügelchen gegen echte Beschwerden verschreiben darf, ohne seine Zulassung zu verlieren.
Ich bin übrigens dafür, H. nicht weiter durch wissenschaftliche Befassung damit zu adeln und plädiere dafür, nicht weiter umfangreiche und teure klinische Studien zur Wirksamkeit der H. durchzuführen womit ich auf einer Linie mit Christian Weymayer und seinem Konzept der „Scientabilität“ bin: ich fordere als Mindestvoraussetzung für die Durchführung klinischer Studien sowohl die Nichtkollision des Wirkanspruchs der zu testenden Substanz bzw. des zu testenden Prinzips mit diversen Naturgesetzen als auch als Vorleistung einige positive Daten aus der Grundlagenforschung (mit peer-review-Veröffentlichung), die zeigen, daß nach randomisierten, verblindeten Experimenten an Tieren, Zellinien etc. tatsächlich eine Wirkung eingetreten ist. Andernfalls sind klinische Studien mit Tausenden Probanden nicht nur eine obszöne Geldverschwendung, sondern in meinen Augen auch unmoralisch, da den Probanden in der Verum- anderen Placebogruppe (also der, die H. bekommt) wider besseres Wissen eine Substanz verabreicht wird, die keinen Wirkstoff enthält und für deren Wirksamkeit es absolut keinen Anhaltspunkt gibt. Man untersucht ja auch nicht für viele Tausend Euro immer wieder, ob Schnittwunden bei Patienten nicht doch besser heilen, wenn man sie mit einem Teleskop auf ein Messer in 100 km Entfernung schauen läßt.
Man begreife endlich: die Homöopathie ist tot – man lasse sie in Frieden ruhen auf der gewaltigen Grablege dummer Ideen. Verschrottete Autos betanke man nicht.
In diesem Zusammenhang und am Ende noch eine kleine Kritik der H.-Kritik: H.-Kritik ist eigentlich etwas für Skeptizismus-Anfänger, weil H. ein so weiches Ziel darstellt. Sie ist hundertfach wiederlegt, ihre Nichtwirksamkeit und ihr Nichtwirkenkönnen sind so pornographisch offensichtlich, daß selbst Kaum- und Fehlsichtige (mit/ohne Krückstock und vom Mond aus) sie sehen können und alle, wirklich alle Argumente schon tausendfach ausgetauscht wurden und zum Nachlesen und in Foren c&p-en jeweils nur einen Mausklick entfernt sind. Um das Wort „Leichenschändung“ zu vermeiden, sage ich lieber, daß H.-Kritik damit so etwas wie das Golfen der Skeptiker ist, also etwas, das keinerlei Anstrengung und null innovatives Denken erfordert, evtl. nur etwas Beharrungsvermögen, ein heiterer kleiner Zeitvertreib eben, der womöglich ein klein wenig fit hält und den man „aus schierer Vernunft“ betreiben mag, damit man mal an die Luft kommt oder so zum Warmwerden am Skeptikerstammtisch, der aber doch inzwischen eher angestaubt und langweilig ist und junge ‘Action-Skeptiker‘ kaum noch hinter dem Ofen hervorlockt.
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Anm. CC: dieser Artikel wurde ursprünglich als Gastbeitrag für die Serie zur Homöopathiekritik meines Bloggerkollegen Onkel Michael geschrieben; eine direkte Antwort auf diesen Artikel findet sich hier.
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