Im Rahmen meiner beiden Forschungsschwerpunkte „forensische RNA-Analyse“ und „molekulare Ballistik“ versuche auch ich, genau zu diesem forensischen Erkenntnismodus beizutragen:
Wie in inzwischen einer ganzen Reihe von Artikeln auch in diesem Blog beschrieben, sind gerade die Anwendungsmöglichkeiten der forensischen Analyse von RNA (mRNA und micro-RNA) besonders interessant bei der Spurenkontextualisierung. Besonders bekannt und inzwischen auch in akkreditieren Routineuntersuchungen im Einsatz ist natürlich die RNA-basierte Identifikation von Körperflüssigkeiten (BFI) und Organgeweben (OTI), wodurch sich wichtige Aspekte einer Tat nachweisen lassen, z.B. die Schwere einer Verletzung anhand der Spur selbst oder aus welchen Komponenten eine komplexe Mischspur besteht, die mittels DNA-Analyse nicht sinnvoll untersucht werden können. Aber auch die RNA-basierte Messung von Zeitpunkten und Zeitverläufen kann wesentliche Informationen zum Verständnis eines Tathergangs beitragen. Zum Beispiel die Abschätzung des Alters (also der Liegezeit) einer Spur und damit meist der Zeit, die seit einer Tat vergangen ist, oder im Sinne eines „molekularen Alibis“, die Tageszeit (nachts, morgens, mittags, nachmittags), zu der eine Spur gelegt wurde (Depositionszeit), oder das Alter einer Wunde und damit den ungefähren Zeitpunkt ihrer Beibringung etwa bei einer geschädigten Person, die nicht reden kann oder will oder das post-mortem-Intervall (PMI), also die Zeit, die seit dem Tod einer Person verstrichen ist oder das Alter einer von einer Leiche eingesammelten Puppe einer leichenbesiedelnden Insektenart und damit – zurückgerechnet – den frühesten möglichen Todeszeitpunkt. Forensische RNA-Analyse wurde auch schon eingesetzt, um bei der Unterscheidung morphologisch schwer abgrenzbarer Todesursachen zu helfen, z.B. zwischen Tod durch Hypoxie und mechanischer Asphyxie u.a., oder um diagnostische Hinweise auf das Vorliegen des Plötzlichen Kindstods zu erhalten.
Die oben schon genannte RNA-basierte OTI kann man übrigens auch mit der molekularen Ballistik (MB), meinem anderen Forschungsschwerpunkt, kombinieren, auch dazu gab es hier schon eine Menge zu lesen. Die Erkenntnisse der MB, also die molekularbiologische Analyse von Spuren, die bei Schüssen mit Feuerwaffen auf biologische Ziele entstehen, sollen ihrerseits helfen, diese Spuren zu kontextualisieren, also Rückschlüsse auf den Hergang einer Tat unter Einsatz von Feuerwaffen zu ermöglichen. Zum Beispiel, durch DNA-Analyse der Waffe und des Backspatters, daß eine bestimmte Person mit einer Waffe eine andere Person verletzt oder getötet hat. Und sogar, wenn man RNA-basierte OTI hinzunimmt, an welcher Stelle eine Person getroffen, also wie schwer sie verletzt wurde.
Mit dieser nicht vollständigen Aufzählung will ich es bewenden lassen, da ich denke, daß der Punkt, nämlich das Kontextualisierungspotential der forensischen RNA-Analyse, deutlich geworden ist. Neben der RNA und unter Zuhilfenahme von Techniken wie NGS kann man sich darüber hinaus inzwischen auch das Mikrobiom für forensische Analysen zunutze machen. Z.B. zur Bestimmung des post-mortem-Intervalls (PMI) oder zur Prüfung etwa einer Ortskongruenz: wenn beispielsweise das Mikrobiom in der Erde von den Schuhen einer getöteten Person nicht zum Mikrobiom im Waldboden, auf dem sie gefunden wurde passt, ist sie offenbar nachträglich dorthin verbracht worden.
Und selbst die gute alte DNA kann helfen, kontextuelle Information zu einer Spur zu erhalten. Und damit meine ich nicht nur Anhaltspunkte zum Aussehen und zur biogeographischen Herkunft einer tatbeteiligten Person, die sich, wie hier beschrieben, mittels forensischer DNA-Phänotypisierung (FDP) ermitteln lassen (was jetzt sogar im guten, alten, rückständigen Deutschland erlaubt ist). Mittels epigenetischer Analysen z.B. des Methylierungsmusters der DNA aus einer Spur kann man zudem das biologische Alter der Person, von dem sie stammt, und/oder die Körperflüssigkeit(en), aus denen sie besteht, bestimmen. Biogeographische und populationsgenetische Herkunftsanalysen lassen sich übrigens auch an nicht-menschlicher DNA durchführen, um etwa im Rahmen von „wildlife forensics“-Untersuchungen bei der Bekämpfung von „wildlife crime“ konfiszierten gewilderten Elefantenstoßzähnen nicht nur die genau Art des Elefanten, sondern mit Glück auch die grobe Gegend, wo er gewildert wurde, bestimmen zu können.
In letzter Zeit gab es sogar ein paar Ideen zur forensischen Proteinanalyse, darunter die Möglichkeit, aus der Aminosäureabfolge im Keratin in Haaren, die sich aufgrund genetischer Variabilität zwischen Menschen unterscheiden kann, eine Person zu identifizieren. Proteomische Analysen bieten sich generell auch an, wenn die DNA in Spuren schon zu degradiert oder zu wenig ist oder von vorneherein gar nicht vorhanden war.
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