Ich bin wirklich entsetzt über diese Nachricht, sie ist ein ganz übles Signal! Und ich bin es leid, wirklich elend- und k*tzen-leid, daß an alles, egal wie wichtig und wie nützlich, ein Preisschild geklebt wird und was keinen Profit macht, kommt weg (außer der hier).
Seit 10 Jahren erzähle ich hier von der forensischen Genetik, ihren Möglichkeiten, Potentialen und ihrer Bedeutung für Recht und Sicherheit in einer freiheitlichen Demokratie. Ich bin zutiefst überzeugt, daß wir, als Gesellschaft und als Rechtsstaat, an den Universitäten (gern in der Rechtsmedizin) beheimatete, unabhängige Abteilungen für forensische Genetik brauchen, die neben der Routinearbeit auch Forschung und Lehre betreiben und die nachwachsenden Generationen forensischer Genetiker ausbilden. Ich selbst trage jeden Tag dazu bei und warum ich davon so überzeugt bin, ist, so hoffe ich, u.a. diesem Blog zu entnehmen, wo ich zu unserer Lage auch schon einen ganz konkreten Text geschrieben habe. Aber auch bei der Night of the Profs habe ich darüber gesprochen. 10 Jahre mag es auch her sein, ich weiß es nicht mehr so genau, daß einige KollegInnen und ich die UFG, die Arbeitsgemeinschaft für “Universitäre Forensische Genetik” gegründet haben, die heute eine offizielle Arbeitsgruppe der DGRM ist und die Position universitär eingebundener und akkreditierter forensisch – molekularbiologischer Laboratorien vertritt (vs. Priavatlabore und staatlicher Kriminalämter).
Der Vorstand der UFG, vertreten durch Prof. Sabine Lutz-Bonengel und der DGRM, vertreten durch ihre Präsidentin Prof. Stefanie Ritz-Timme, haben deshalb den folgenden offenen Brief anläßlich der Situation in Berlin verfasst:
Mit Bestürzung und Unverständnis haben wir zur Kenntnis genommen, dass erstmalig ein rechtsmedizinisches DNA-Labor in Deutschland – offenbar aus Kostengründen – geschlossen wird. Es trifft das international anerkannte Labor der Berliner Charité. Dabei ist für uns nicht nur unbegreiflich, wie man auf die verdienten Mitarbeiter und deren Expertise dort verzichten kann, auch der dahinterstehende Trend erfüllt uns mit tiefer Sorge.
Die Konkurrenz zu privaten Unternehmen, welche unter streng ökonomischen Maßgaben arbeiten und sind, hat dazu geführt, dass die Beauftragungen von Einrichtungen nicht der Lehre und Forschung verpflichtet der Rechtsmedizin in den letzten Jahren stark zurückgegangen sind. Diese Entwicklung führt zu einer erheblichen Schwächung der universitären forensischen Molekulargenetik mit weitreichenden Folgen.
Neben der Gefährdung der Facharztausbildung für Rechtsmedizin sowie der Qualifikation von Naturwissenschaftler*innen in der Forensischen Molekulargenetik steht die wissenschaftliche Entwicklung des Faches auf dem Spiel. Ein Beispiel dafür ist die unsichere Zukunft der Y-Chromosom-Haplotyp-Referenzdatenbank (YHRD), welche in den letzten 20 Jahren im rechtsmedizinischen DNA-Labor der Charité entwickelt und gepflegt wurde. Diese Datenbank ist einzigartig und wird von den meisten Institutionen weltweit, die mit Y-STRs und SNPs arbeiten, genutzt, um zuverlässige Häufigkeitsschätzungen für einzelne Y-STR- und -SNP-Haplotypen zu ermitteln und schließlich Juristen eine wissenschaftlich begründete Aussage zum “Beweiswert” einer Spuren-Personen-Übereinstimmung zu liefern.
Wir bitten die Charité, ihre Entscheidung zu überdenken und appellieren an die Politik, die durch die Ökonomisierung der Spurenanalytik bedingte Problematik für die universitäre forensische DNA-Analyse zu erkennen, die erste Schließung eines universitären molekulargenetischen Labors in Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen als Warnsignal zu verstehen und ein Umdenken bezüglich der Auftragsvergabe von forensischen DNA-Analysen einzuleiten. (Hervorhebungen von CC)
Dem schließe ich mich natürlich rückhaltlos an! Lutz (Roewer) und Sascha (Willuweit) sind die geschätzten Kollegen, die die genannte, extrem wichtige und hilfreiche Datenbank YHRD aufgebaut und jahrelang gepflegt und kuratiert haben, die nun u.a. von der Schließung betroffen sind. Wenn der Betrieb dieser Datenbank nun eingestellt würde, wäre das ein enormes Problem für die routinemäßige forensische Y-chromosomale DNA-Analyse.
Viele besonders innovative, schwierige und validierungsintensive, also gerade nicht “profitoptimierte” und fließbandfähige Methoden, zu deren Durchführung das Personal nicht so einfach wegrationalisiert werden kann, darunter insbesondere die forensische RNA-Analyse, aber auch die epigenetische Altersbestimmung, werden in Deutschland derzeit ausschließlich von universitären forensisch-genetischen Laboren angeboten. Auch FDP bieten neben dem BKA vornehmlich wir UFG-Labore an. Eine zur YHRD analoge Datenbank von weltweiter Bedeutung zur Durchsuchung mitochondrialer Haplotypen (EMPOP) wird von der forensischen Genetik der Universität Innsbruck betrieben. All das ginge verloren, wenn sich dieser fatale Trend von Billigheimerei und Kaputtsparen fortsetzte. Da mit dem Schwinden von UFG-Laboren zudem die Ausbildung auf der Strecke bliebe, könnten sich die großen Privatlaborefabriken aber auch die LKÄ und das BKA dann inskünftig ihre neuen WissenschaftlerInnen im Ausland suchen. Und, liebe Politik, Forscher, die z.B. dem Bundestag als Gutachter zur Verfügung stehen, gäb’s dann auch nicht mehr.
Ich kann also nur hoffen, daß die Charité als schlechtes Beispiel einzigartig bleibt und das Land Berlin diesen schlimmen Fehler bald einsieht, wenn es die Konsequenzen zu spüren bekommt. Ein Beispiel nehmen könnte man sich hingegen an Schleswig-Holstein, das sich zu seiner Rechtsmedizin bekennt und ihren Bestand (und damit unseren in der forensischen Genetik) und zusätzlich unsere Dienstleistungen im Rahmen des Opferschutzes mit einer jährlichen Sockelfinanzierung gewährleistet.
Ich bitte meine LeserInnen, die von der Bedeutung der universitären forensischen Genetik überzeugt sind, diesen Beitrag intensiv zu teilen und zu verbreiten. Danke für Eure Hilfe und
Principiis obsta!
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Nachtrag am 02.03.2021: Die Spurenkommission ist über das Ereignis auch sehr besorgt und hat nun eine Stellungnahme dazu veröffentlicht.
Zusätzlich zur Weiterführung der von mir schon genannten YHRD-Datenbank sprechen für die Erhaltung der Abteilung aus Sicht der Kommission
neben der unbestreitbaren wissenschaftlichen Bedeutung für unser Fachgebiet auch einige sehr pragmatische Gründe.
Sie ist für die Sicherstellung der Rechtspflege in Berlin und Umgebung unverzichtbar, zum einen, da das DNA-analytische Untersuchungsaufkommen in Berlin trotz der Möglichkeit von Fremdvergaben im Rahmen von Ausschreibungen rein quantitativ nicht allein durch die Forensische DNA-Analytik des LKA bewältigt werden kann. Zum anderen erfordern komplexe forensische Fragestellungen immer häufiger ausführliche, detaillierte, biostatistisch valide und teilweise experimentell unterlegte gutachterliche Darstellungen, die nur in Zusammenarbeit mit einem erfahrenen wissenschaftlichen Institut in hoher Qualität zu gewährleisten sind.
Diese Einschätzung wird auch von der Stellungnahme des Präsidenten des Berliner Landgerichts widergespiegelt, die schon am 25.02. der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung zugegangen ist und derzufolge es
im Interesse der Berliner Strafgerichte und auch der Strafverfolgungsbehörden [liege], dass die getroffene Entscheidung zur Schließung im Lichte dieser Bedeutung kritisch hinterfragt und bestenfalls revidiert wird
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Nachtrag am 04.03.2021: Die Proteste werden massiver. Nun hat auch die deutschsprachige Arbeitsgruppe der ISFG einen offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister und Vorsitzenden des Aufsichtsrates der Charité geschickt, um gegen die unmittelbar bevorstehende Schließung der Abteilung für Forensische Genetik am Institut für Rechtsmedizin der Charité zu protestieren. Den Brief haben neben deutschen auch namhafte Wissenschaftler aus anderen Ländern unterzeichnet. Ich zitiere im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, Senator und Aufsichtsratsvorsitzender Müller,
Im Jahr 1985 erschien in der höchst-renommierten Wissenschaftszeitschrift NATURE der erste Fachartikel der Autoren Sir Alec Jeffreys und Peter Gill über den sogenannten genetischen Fingerabdruck, das revolutionäre molekular-genetische Verfahren zur individualen Identifizierung von Personen ausgehend von humanbiologischen Tatortspuren im Strafprozess. Seitdem ist die praktische Anwendung des genetischen Fingerabdrucks nach einigen Verbesserungen zu einem leistungsfähigen Beweismittel in weltweit ungezählten Strafverfahren zur Aufklärung von Kapitalverbrechen und zur Überführung der Straftäter, viel häufiger aber zum Ausschluss zu Unrecht Beschuldigter, geworden. Ebenso bedeutsam ist dessen Anwendung zur Identifizierung lebender und insbesondere toter vermisster Personen z.B. nach Kriegshandlungen, Völkermord, Naturkatastrophen und Massenunfällen.
Bereits zwei Jahre später gründete 1987 der weltweit angesehene Direktor des Institutes für Gerichtliche Medizin der Berliner CharitéProf. Dr. med. Dr. h.c. mult. Otto Prokop eine der ersten forensisch-genetischen Abteilungen in Deutschland, damals in der DDR, die unter ihrem Leiter Dr. Lutz Roewer rasch internationales Ansehen gewann. Lutz Roewer erhielt für seine wissenschaftlichen Erfolge auf dem Gebiet der forensischen DNA-Analyse 1990 und 1998 den Preis der Gesellschaft für Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM) und 1999 den Wissenschaftspreis der International Society for Forensic Genetics (ISFG). 1990 nach der deutschen Wiedervereinigung wurde das Institut für Gerichtliche Medizin Berliner Charité mit seiner Abt. für Forensische Genetik gründlich evaluiert und wegen ihres internationalen Ansehens und der politischen Nichtbetroffenheit aus DDR-Zeit in die neue Rechtsform der Charité übernommen. Seither führte die Abteilung mehrere Forschungsprojekte finanziert von der Europäischen Kommission und der Deutschen Forschungsgemeinschaft erfolgreich durch und schloss zehntausende von Spurenuntersuchungen für die Berliner Polizei und andere Auftraggeber erfolgreich ab. Ebenso erfolgreich wurde durch die Abteilung über viele Jahre hinweg die Transplantationsmedizin der Berliner Charité mittels molekulargenetischer Diagnostik unterstützt.
Diese Abteilung, sehr geehrter Herr Reg. Bürgermeister Müller, auf die das Land Berlin und ganz Deutschland stolz sein können, soll nun plötzlich geschlossen werden. Als Gründe für die bevorstehende Schließung werden der Verlust von Untersuchungsaufträgen der Berliner Polizei zur forensischen Spurenanalytik als Folge eines wettbewerbsrechtlichen Verfahrens und eine sich daraus ergebende „Unwirtschaftlichkeit“ der Abteilung, welche zum Institut für Rechtsmedizin der Charité gehört, angeführt.
Wie immer die Stellungnahmen der unmittelbar betroffenen Einrichtungen der Strafverfolgung –Polizeipräsident für das Landeskriminalamt, Generalstaatsanwaltschaft, Präsident des Landgerichts Berlin u.a. ausfallen, die den plötzlichen Ausfall der einzigen universitären, und damit unabhängigen Einrichtung für die kriminalistische Untersuchung biologischer Spuren in Berlin betreffen –geht es den Unterzeichnern vorrangig um die Erhaltung der DNA-Expertise im Fach Forensische Genetik innerhalb der Rechtsmedizin. Wir Unterzeichner haben von 1985 bis heute die wissenschaftlichen und technischen Voraussetzungen der heutigen DNA-Spurenuntersuchungen geschaffen, die seitdem in zahllosen Strafverfahren bis hin zu den sog. „cold cases“ zur Wahrheitsfindung entscheidend beigetragen haben, bzw. deren weitere wissenschaftliche und technischen Weiterentwicklung maßgeblich vorangetrieben.
Die Unterzeichner, sämtlich weltweit führende DNA-Fingerprint-Forscher der ersten und zweiten Generation, protestieren nachdrücklich gegen eine Schließung der international anerkannten Abteilung für Forensische Genetik der Berliner Charité und geben zusätzlich Folgendes zu bedenken:
Die Abteilung für Forensische Genetik der Berliner Charité ist, wie jedes forensisch-genetische Labor anderer universitärerrechtsmedizinischer Institute keine kommerziell ausgerichtete Institution, sondern folgt dem universitätsmedizinischen Auftrag von Forschung, Lehre und Patientenversorgung (hier DNA-Spurenuntersuchung für Polizei und Staatsanwaltschaft zur Einhaltung hoheitlicher Aufgaben im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Gewährleistung von Rechtstaatlichkeit). Darüber hinaus ist die Abteilung für Forensische Genetik der Berliner Charité kein beliebiges „DNA-Routine Labor“, sondern steht an der Weltspitze forensisch-genetischen Forschung. Zum Beispiel wurde durch die Abteilung über eine großangelegte internationale Vernetzung die größte Y-chromosomale Haplotypen-Referenzdatenbank der Welt aufgebaut mit mehr als 300.000 Datensätzen. Diese öffentlich zugängliche Referenzdatenbank dient Kriminalisten aus der ganzen Welt zur Schätzung der Häufigkeit und somit des Beweiswertes Y-chromosomaler Merkmale, insbesondere bei schweren Straftaten wie Gewaltdelikten und in Fällen sexuellen Missbrauchs. Auch möchten wir die akademische Lehre die durch die Abteilung geleistet wird hervorheben, die über viele Jahre zu einer Aus-und Weiterbildung von Studierenden der Medizin, Rechtswissenschaft und Kriminalistik/Polizei auf hohem wissenschaftlichem und didaktischem Niveaubeigetragen hat.
Diese derart wichtige und erfolgreiche Abteilung der Berliner Charité soll nun aus rein wirtschaftlichen Gründen ohne Verhandlungsspielraum mit sofortiger Wirkung geschlossen werden. Das nationale und internationale Ansehen Berlins, der Hauptstadt Deutschlands, lebt auch von den Erfolgen ihrer Forschungseinrichtungen und würde durch diese Schließung schwer beschädigt. Inwieweit das Landeskriminalamt Berlin in Zukunft ihren Dienstaufgaben zur DNA-Spurenuntersuchungen ohne die bisherige tatkräftige Unterstützung der Abteilung Forensische Genetik der Berliner Charité erfolgreich nachkommen kann, ist offen.
Zum Schluss bekunden wir unsere Zuversicht, dass es der Charité –Universitätsmedizin Berlin und der Berliner Senatsverwaltung gelingen möge, für die Abt. der Forensischen Genetik ein tragfähiges Konzept für deren international hochangesehene und gesellschaftlich hochrelevante forensische Forschung, Lehre und Serviceaufgaben dauerhaft zu finden.
Mit freundlichen Grüßen,
Die Unterzeichner:
Univ.-Prof.(em.) Dr.med. Dr.h.c.mult. Bernd Brinkmann, ehem. Direktor des Institutes für Rechtsmedizin der Universität Münster i.W.
Univ.-Prof.(em.) Dr.med. Gunther Geserick, ehem. Direktor des Institutes für Rechtsmedizin der Charité Berlin
Univ.-Prof.(em.) Dr.med. Christian Rittner, ehem. Leiter des Institutes für Rechtsmedizin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Peter D. Gill, Forensic Genetics Research Group, Department of Forensic Sciences, Oslo University Hospital, Norway; Department ofClinical Medicine, University of Oslo, Norway
Professor Peter de Knijff, Head of the Forensic Laboratory for DNA Research, Department of Human Genetics, Leiden University Medical Center, Leiden, the Netherlands
Professor Manfred Kayser, Head of the Department of Genetic Identification, Erasmus MC University Medical Center Rotterdam, Rotterdam, the Netherlands
Professor Niels Morling, former Director of the Institute of Forensic Medicine, University of Copenhagen, Denmark
Professor Angel Carracedo, Forensic Genetics Unit, Institute of Forensic Sciences, University of Santiago de Compostela, Santiago de Compostela, Spain
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Nachtrag am 13.03.21: In der SZ ist gestern ein kritischer Kommentar zur Schließung der Forensischen Genetik erschienen. Einen Satz möchte ich besonders hervorheben, der eine der Folgen von Billig-Billig-Billig darstellt:
So lassen sich zum Beispiel mittlerweile aus Spuren mit extrem geringem DNA-Gehalt noch Schlüsse ziehen – aber nur, wenn man hohen Aufwand betreibt. Es ist zu befürchten, dass kommerzielle Anbieter, die im Unterschied zu einem Unilabor viel stärker auf den Preis achten müssen, sich diese Mühe nicht leisten können. Wer das billigste Angebot einhalten muss, könnte umso öfter zurückmelden, dass die Probe leider unauswertbar sei.
Obwohl ein Unilabor aus der Probe womöglich noch etwas hätte herausholen können. Mir selbst sind sogar schon Fälle bekannt, wo Proben, die laut Privatlabor angeblich unauswertbar waren, in einem Unilabor noch ein Ergebnis brachten.
Es deutet sich also eine Parallele zur Misere der Rechtsmedizin an, wo aus Kostengründen in Deutschland viel zu wenig obduziert wird und daher dann beunruhigend viele Tötungsdelikte unentedeckt bleiben: Man darf sich schon fragen, wieviele mit etwas Mühe und innovativen Methoden noch durchaus auswertbare Spuren – und damit Chancen zur Aufklärung von Straftaten – künftig weggeworfen werden, weil sie bei Billig & Co., deren Riesenlabor vielleicht auch in einem ganz anderen Bundesland sitzt, nur den Betrieb aufhalten würden.
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Nachtrag am 15.03.21: Auch die Initiative, der die hiesige Kommentatorin Veronika Lipphardt angehört (WIE-DNA), hat, Frau Lipphardts hier schon geäußerte Kritik an der Schließung der Forensischen Genetik an der Charité bestätigend, eine offizielle Stellungnahme auf Ihrer Website veröffentlicht. Darin wird, wie schon im oben erwähnten SZ-Kommentar, auch die vermeintliche Problematik der YHRD-Datenbank thematisiert, zu der man sich im Kommentarthread zu diesem Beitrag informieren kann, und einhergehend mit der Kritik an der Schließung argumentiert, daß diese Datenbank unbedingt nach wie vor in einer akademischen Infrastruktur unter wissenschaftlicher und ethischer Supervision verbleiben müsse.
Im Fazit, dem ich mich anschließe, heißt es:
Only if the position of forensic geneticists at German universities is strong can they fulfill their role of representing academic rigor and integrity. Shutting down their labs is very contra-productive and even dangerous.
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Nachtrag am 19.03.21: Der Tagesspiegel berichtete gestern über die in der Stellungnahme der Spurenkommission schon angesprochenen, vielen Tausenden Proben, die noch in der forensischen Genetik der Charité gelagert sind, von denen viele noch nicht untersucht worden sind.
Außerdem hat rbb24 einen Beitrag über die Schließung gemacht, worin viele kritische Stimmen zu Wort kommen und verschiedene problematische Aspekte angesprochen werden, darunter eine mögliche Folge, wenn sich Gerichte statt auf profilierte Charité-Wissenschaftler auf wechselnde kommerzielle Gutachter verlassen müssen, erklärt von Peter Schuster, Vorsitzender Richter am Landgericht:
Wenn der Sachverständige etwa in der Hauptverhandlung es nicht versteht, Zweifel auszuräumen an seinem Gutachten, dann kann das Gericht kaum anders, als dem zu folgen und das kann dann also zu einem falschen Freispruch führen.
Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen, sagt dazu:
Die Charité ist ein Landesunternehmen. Die kann uns nicht so im Regen stehen lassen. Wenn sie nicht handelt, wird die Strafverfolgung um Jahrzehnte zurückgeworfen, das kann so nicht durchgehen, da muß der Wissenschaftsstaatssekretär, notfalls der regierende Bürgermeister intervenieren.
Abschließendes Fazit:
Schon jetzt hat Berlin bundesweit die schlechteste Aufklärungsquote.
Spitzen-Idee also, die Forensische Genetik zuzumachen!
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Nachtrag am 22.03.21: Die Berichterstattung setzt sich fort. Ein Artikel im Tagesspiegel thematisiert die für heute anstehende Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, in der es auch um die Forensische Genetik der Charité gehen soll.
Benedikt Lux von den Grünen (s.o.) soll dazu im Innenausschuss den SPD-Innensenator Andreas Geisel befragen. Lux findet:
Mittelfristig muss die forensische Genetik als gesetzliche Aufgabe der Charité abgesichert oder das Institut in das LKA eingegliedert werden.
Ein Rechtsexperte der Linken, Sebastian Schlüsselburg macht dazu einen interessanten Vorschlag:
Es kann nicht sein, dass der Staat in diesem Bereich aus kapitalistischen Wettbewerbsgründen zu Vergabeverfahren gezwungen wird. Wir müssen die Direktvergabe an die Charité ermöglichen und dafür im Zweifel die nötigen gesetzlichen Ausnahmen schaffen.
Das wäre genau der richtige Weg aus der Billig-Falle!
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Nachtrag am 29.03.2021: Am 27.03. hat die Initiative, der die hiesige Kommentatorin Veronika Lipphardt angehört (WIE-DNA), zusätzlich zur vorherigen Stellungnahme (s. Nachtrag vom 15.03.) einen offenen Brief an eine ganze Reihe von Adressaten, darunter Charité-Vorstandspersonen und Berliner Senatoren, geschrieben. Der Brief, der wie die Stellungnahme zuvor, auch die YHRD thematisiert (s.o.), ist lesenswert und ein Fazit daraus, dem ich mich anschließe, will ich hier zitieren:
Aus den hier dargelegten Gründen wenden wir uns mit Nachdruck an Sie, die Verantwortlichen der Charité und der Berliner Politik, und fordern Sie auf, die Entscheidung zur Schließung des Labors zurückzunehmen oder auf die Rücknahme hinzuwirken. Sorgen Sie für eine unabhängige, verlässliche und ausreichende Finanzierung der universitären Forensischen Genetik aus Mitteln des Wissenschaftsministeriums oder anderen Landeshaushaltsmitteln. Zudem sollte ein interdisziplinäres Board eingerichtet werden, um die Einhaltung methodischer und ethischer Standards zu gewährleisten und weiterzuentwickeln. (Fett im Original)
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Nachtrag am 07.07.2021: Kürzlich hat sogar die Fachzeitschrift Nature über das Thema berichtet. Der Aufhänger dieses Artikels war zwar das Problem mit den Datenbankeinträgen in der YHRD-Datenbank (s. auch Kommentarthread hier), aber im letzten Teil des Artikels kommt auch die Schließung der Genetik an der Charité zur Sprache. Der Autor hat auf jeden Fall gut recherchiert, denn es wird dort auch dieser Artikel hier verlinkt:
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