In letzter Zeit erreichen mich immer häufiger Anfragen von Schülern, Studenten, Doktoranden (aus anderen Fächern) und Post-Doktoranden (die in anderen Fächern promoviert haben), sowohl per Mail aber auch persönlich bei Vorträgen oder auf unseren Fachtagungen, die von mir wissen wollen, wie man Forensischer Genetiker werden kann, bzw. seine Chancen darauf verbessern kann, bzw. auf diesen Beruf “umsatteln” kann (ich setze hier Forensische Genetiker, Forens. Molekularbiologen und Forens. Molekulargenetiker gleich). Viele der Anfragenden wollten nach Möglichkeit auch gleich in meiner Abteilung ein/e Praktikum, Masterarbeit, Doktorarbeit o.ä. machen. Einigen von ihnen ist erst vergleichsweise spät auf ihrem Ausbildungsweg ein- oder aufgefallen, daß sie die Forensische Genetik besonders interessant und vielleicht sogar interessanter als ihr eigenes Gebiet finden und daher sehr gerne in dieses Fach wechseln würden.
Ich habe mir deshalb gedacht, daß ich vielleicht einmal meine persönlichen Überlegungen, Erfahrungen, Empfehlungen und “Warnungen” hier aufschreiben sollte. Daß wir im Feld nichts mit Leuten anfangen können, die dem CSI-Effekt aufgesessen sind und eher sensationalistisches Interesse an statt realistische Vorstellungen von dem Fach haben, sage ich nur der Form halber dazu.
Kurz zum Überblick: Forensische Genetiker findet man in Deutschland vor allem an (meist aber nicht immer universitätsangebundenen) Instituten für Rechtsmedizin mit einer Abteilung für forensische Genetik, an allen Landeskriminalämtern, dem Bundeskriminalamt und in privat geführten Laboren für forensisch-genetische Dienstleistungen. Diese Standorte unterscheiden sich hinsichtlich des Aufgabenspektrums der dort tätigen Forensischen Genetiker v.a. in Bezug darauf, ob und in welchem Umfang zusätzlich zu Routine- und Verwaltungstätigkeiten auch Lehr- und Forschungsaufgaben zu bewältigen sind. Ich persönlich kenne mich v.a. im Bereich der universitären, rechtsmedizinassoziierten Forensischen Genetik aus. Kommentare von KollegInnen aus den anderen Zweigen sind hier daher herzlich willkommen.
Ich beginne mit meiner eigenen Geschichte, die ein besonders gutes Beispiel ist, wie man es nicht machen sollte:
Ich habe 2003 mein Biologie-Diplom gemacht mit einer Arbeit über adenovirusbasierte Gentransfervektoren zur Expression eines P. falciparum-Proteins (sollte ein Impfstoff werden, also absolut kein Bezug zur Forensik). Die Promotion ging über die molekulare Pathogenese primärer Lymphome des ZNS (spannend, aber absolut kein Bezug zur Forensik) und in meiner Doktorandenzeit habe ich aus Interesse nebenbei eine einschlägige Vorlesung an der Uni Köln für Biologen besucht, in der auch Forensische Genetik vorkam. Fand ich ganz interessant, mehr aber auch nicht. Als ich 2008 nach Ende der Promotion begann, mich etwas ziellos herumzubewerben (ich wollte eigentlich weg von der Uni, mehr Richtung Industrie), gab es eine Ausschreibung an der Uniklinik Bonn für eine Stelle am Institut für Rechtsmedizin in der Abteilung für “Hämogenetik” (wie es damals ungenauerweise noch hieß). Ich bewarb mich (mit so einer “kann man sich ja mal angucken”-Haltung), bekam tatsächlich die Stelle und begann dort als Molekularbiologe mit 0 Minuten Erfahrung in forensischer Genetik als Abteilungsleiter. Ich sage es nochmal: das war ein Ausreißer, ist völlig untypisch und absolut keine empfehlenswerte Strategie zur Maximierung der Chancen, wirklich eine Arbeit in diesem Bereich zu bekommen!
Im Gegenteil: Die beste Empfehlung, die ich habe, deren Befolgung am ehesten zum Erfolg füht, ist, so früh wie irgend möglich mit dem Feld und den Leuten darin in Kontakt zu kommen und forensische Erfahrung zu sammeln. Bemüht Euch frühzeitig um Praktika an einem Landeskriminalamt oder einem Institut für Rechtsmedizin und versucht, schon die Bachelorarbeit, spätestens die Masterarbeit an einer solchen Institution zu schreiben. Besorgt Euch die grundlegenden Lehrbücher, schaut nicht CSI, lest Paper und geht zu Kongressen wie dem Spurenworkshop. Auf letzterem treffen sich jährlich forensische Genetiker aus dem ganzen deutschsprachigen Bereich, ideal zum Kennenlernen und Netzwerken. Es ist übrigens nicht nötig, einen dedizierten Forensik-Studiengang (z.B. den hier) zu wählen. Man lernt darin zwar schon früh forensische Konzepte und verschiedene forensische Disziplinen kennen, in der Regel sind aber die Grundlagen für Molekularbiologie zu schwach, um damit wirklich später als forensischer Molekularbiologe arbeiten zu können. Es reicht, sich im Bachelorstudium gute Grundlage in Biologie und Genetik draufzuschaffen. Ein Masterstudium zur Vertiefung von Mol.Biologie und Genetik ist darüber hinaus immer extrem ratsam. Die forensische “Denkweise” und die Spezialitäten dieses Feldes kann man später genausogut bei Praktika in entsprechenden Instituten erlernen.
Hinweis: Ihr müßt auch örtlich flexibel sein und davon ausgehen, daß Ihr in Wohnortnähe keine Stelle finden werdet oder später in der Karriere den Ort wechseln müsst (mich hat es z.B. von Bonn nach Kiel verschlagen und demnächst wieder nach Köln).
Empfehlungen für Leute, die noch nicht mit einem Studium begonnen haben: Befasst Euch jetzt schon mit den theoretischen Grundlagen des Faches, lest dieses Blog, besorgt Euch Lehrbücher (die meisten sind auf Englisch, für Rechtsmedizin gibt es aber auch gute auf Deutsch), seid gut in Englisch, arbeitet auf einen NC hin, der es Euch erlaubt, ein Fach zu studieren, das Euch Grundlagen für den Beruf vermittelt (Biologie, Genetik, Molecular Life Science, Nat. wiss. Forensik o.ä.). Wenn Ihr schon eine Ausbildung habt, kann das sogar ein echter Vorteil sein. Wenn Ihr z.B. MTA, BTA, Laborant o.ä. seid, wird man Euch eher zutrauen, selbständig im Labor zu arbeiten und Euch schneller interessante Dinge zu tun geben.
Empfehlungen für Bachelor-Studenten (einschlägiges Studienfach): beginnt, Paper und Reviews aus dem Feld zu lesen (es ist hart am Anfang aber es muß sein und je früher Ihr damit anfangt, desto besser), bemüht Euch unbedingt um Praktika und um eine Bachelorarbeit in/über ein/er forens.-genetischen Arbeitsgruppe/Thema. Übt bei jeder Gelegenheit Pipettieren und sauberes Arbeiten.
Empfehlungen für Master-Studenten (einschlägiges Studienfach): vertieft Eure Kenntnisse in Genetik/Molekularbiologie, lest nebenher mehr Originalliteratur aus dem Feld, bemüht Euch unbedingt um Praktika und eine Masterarbeit in/über ein/er forens.-genetischen Arbeitsgruppe/Thema, vielleicht könnt Ihr in die Gruppe, in der Ihr die Bachelorarbeit gemacht habt, zurückkehren? Schaut Euch schon während der Masterarbeit nach einer Doktorandenstelle um. Und zwar in ganz Deutschland!
Empfehlungen für Doktoranden (forensisch-genetisches Thema): Nutzt die Zeit maximal aus! Publiziert, so gut es geht, helft mit in der Routine, so viel Ihr könnt und man Euch läßt (dokumentiert, was Ihr gemacht/gelernt habt: Methoden, Geräte, Gutachten, bei denen Ihr mitgearbeitet oder die Ihr alleine erstellt habt etc.), guckt Euch alle Ringversuche ganz genau an und lernt daraus, geht zu Tagungen (zur Not im Urlaub auf eigene Kosten!) und hört, seht, lernt, netzwerkt und sobald wie möglich: haltet selbst Vorträge oder stellt Poster aus. Feilt neben Eurem Englisch auch an Eurem Deutsch (mündlich und schriftlich): in Gutachten und bei Gericht wird Deutsch geschrieben und gesprochen. Befasst Euch mit dem Qualitätsmanagement (es ist zwischen tödlich langweilig und absolut nervig, aber es MUSS sein und Ihr MÜSST wissen, worum es dabei geht). Beteiligt Euch an der Lehre, betreut Praktikanten, Bacheloranden und Masteranden. Kurz: nehmt so viel mit und sammelt so viel Erfahrung wie nur irgend möglich. Werdet Euch klar, ob Ihr später eher forschen, lehren und daher an der Uni bleiben (mit all den Ungewissheiten, befristeten Stellen und sonstigen prekären Dingen, die das mit sich bringt) oder Euch lieber Richtung KA oder Privatlabor, wo Euch deutlich mehr Routinearbeit erwartet, orientieren wollt. Oder wollt Ihr ins Ausland? Dann informiert Euch erst recht ganz besonders gut, was da gefordert wird. So oder so: wenn Ihr nach der Arbeit die Gruppe verlassen müsst/wollt, bittet um ein Empfehlungsschreiben.
Empfehlungen für Studenten/Doktoranden (aus anderen Fächern): Solltet Ihr zuende studieren/promovieren oder (jetzt noch) das Fach wechseln? Ganz schwer zu sagen. Abbrechen/wechseln würde ich nur, wenn Ihr wirklich absolut sicher seid, daß Ihr in Eurem Fach nicht glücklich werdet und auf Grundlage gründlicher Recherche (dazu sollten (neben der Lektüre aller Artikel dieses Blogs ;)) auch Gespräche mit Leuten aus dem Feld zählen) unbedingt in die Forensische Genetik wollt und idealerweise bereits irgendwo ein Angebot für eine Arbeit/Promotion im Feld habt. Die Fallhöhe für diesen Schritt ist natürlich umso höher, je weiter Ihr schon in Eurer Ausbildung gekommen seid. Nach einem Jahr Bachelorstudium ist es sicher kein Problem, am Ende der Doktorarbeit schon eher.
Empfehlungen für Post-Doktoranden (ohne forensische Vorerfahrung): Ihr habt es tendentiell am schwersten, denn wenn Ihr nicht mit einem neuen Studium von vorn beginnen wollt, sind Eure Mitbewerber auf die eher raren Stellen im Feld (an einer Rechtsmedizin oder einem KA) sehr häufig Leute mit jahrelanger einschlägiger Erfahrung und Empfehlungsschreiben aus dem Feld. Sich ohne Erfahrung gegen die durchzusetzen, ist zwar nicht unmöglich aber überaus unwahrscheinlich. Am besten ist es wahrscheinlich, sich einen sicheren Job zu suchen und sich von diesem aus nebenher weiterzubilden (Paper lesen, Kongresse besuchen, Urlaub für Praktika nutzen etc.) und hartnäckig auf alle Stellen zu bewerben, die angeboten werden… bis es eben klappt oder man keine Lust mehr hat.
Das war der erste Teil meiner kleinen “Berufsberatung” für Menschen, die forensische Genetiker werden wollen. Im zweiten Teil frage ich Leute, die es schon oder aber auf dem Weg dahin sind, nach ihrem Werdegang.
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