Zusätzlich perfide daran ist, daß sich mittels Argumente und Evidenz und entgegen der Behauptung verschiedener Republikaner nicht belegen läßt, daß lege artis durchgeführte Abtreibungen unsicher, schädlich für die Gesundheit oder das berufliche Vorankommen von Frauen wären. Im Gegenteil. Korrekt und leitliniengerecht durchgeführt sind Abtreibungen sicher [2] und die Sterberate bei Geburten ist sogar 14 mal so hoch wie bei korrekt durchgeführten Abtreibungen [3]. Hinzukommt, daß Frauen, die Abtreibungen hatten, nicht häufiger von Depressionen oder Angststörungen betroffen waren, als Frauen, die eine Abtreibung durchführen lassen wollten, aber nicht konnten [4]. Frauen, auf die letzteres zutraf, gaben hingegen häufiger an, von chronischen Kopf- und Gelenkschmerzen betroffen zu sein, als Frauen, die eine Abtreibung durchführen lassen hatten [5]. Der generelle Tenor aus mehr als 40 Artikeln aus begutachteten Fachzeitschriften ist, daß im Durchschnitt die Durchführung einer Abtreibung nicht schädlich für die geistige und körperliche Gesundheit von Frauen ist, wohingegen die Versagung einer Abtreibung in negativen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen resultierte.
Daß Abtreibungsverbote sich darüber hinaus unverhältnismäßig negativ auf die körperliche und geistige Gesundheit sowie den sozioökonomischen Status schwarzer Frauen auswirkt (von 100.000 derer 44 bei der Geburt sterben, was 4 mal so hoch ist wie der Durchschnitt in Ländern mit hohen Durchschnittseinkommen) stimmt zwar, ist aber Republikanern vom Kaliber Trump sicher wurscht, wenn nicht als angenehmer Nebeneffekt willkommen (hat ja bei „C-Wort“ auch schon gut funktioniert). Weitere Links und Quellen dazu, insbesondere auch zu den Folgen unsicherer Abtreibungen (die unweigerlich dann auftreten, wenn es keine Möglichkeit zu legalen Abtreibungen gibt) finden sich im Anhang.
Da also alle verfügbare Evidenz belegt, daß es in jeder Hinsicht vorteilhaft ist, wenn Frauen, die Bedarf nach einer Abtreibung haben, diese auch durchführen lassen und zudem ein Angebot dafür in Wohnortnähe vorfinden können, muß ein Gericht wie der SCOTUS für ein Verbot bzw. eine Einschränkung von Roe v. Wade diese Evidenz „umgehen“ und statt dessen auf eine Revision des sog. „viability standards“ (also eben nicht mehr eventuelle Folgen einer Abtreibung) abstellen, wodurch Abtreibungen bislang bis zu einem Zeitpunkt erlaubt sind, ab dem ein Fötus außerhalb der Gebärmutter überleben könnte. Wenn also die Möglichkeit von Abtreibungen daran geknüpft wird, ab wann ein Fötus als Person gelten muß/kann, befindet man sich in einer definitorischen Grauzone, die religiöse Fundamentalisten (und im SCOTUS sitzen welche davon) wahrscheinlich so streng wie nur möglich auslegen würden. Und damit wäre man wieder bei der Frage: „Ab wann ist es ein Mensch?“ bei der Beantwortung derer sich eine säkulare Gesellschaft gegen religiös motivierte Griffe nach der Interpretationshoheit entschieden und unerbittlich zur Wehr setzen muß. In den USA kann man sich dafür auf den ersten Verfassungszusatz berufen – ob das einen wie aktuell gegeben konfigurierten SCOTUS von einer eigentlich verfassungswidrigen Sichtweise abhalten wird, bleibt – ironischerweise – spannend, eine Entscheidung soll nicht vor Juni 2022 fallen.
Grundsätzlich sehe ich bei staatlichen Einschränkungen des Grundrechts von Frauen über ihren eigenen Körper zu entscheiden übrigens eine Parallele zur Drogenpolitik. Es ist völlig klar und offensichtlich, daß Menschen immer Drogen genommen haben, nehmen und nehmen werden. Überall, zu allen Zeiten und in jedem Land. Keine Prohibition, keine Strafen, keine Drohungen, keine Verfolgung und Stigmatisierung von Konsumenten hat das verhindert und wird es je verhindern. Es handelt sich beim Rausch ganz offenbar um ein menschliches Grundbedürfnis und dieses stillen zu dürfen (wie immer: ohne andere zu schädigen), muß ein Grundrecht sein bzw. Art.2 GG sollte es eigentlich ermöglichen, staatlichen Zugriff darauf abwehren: staatliches Handeln kann dieses Recht nicht streitig machen, es muß sich auf Regelungen beschränken, die lediglich Schaden von Dritten abwenden sollen (wie bei Alkoholkonsum, der ja auch nicht verboten ist).
So auch bei Abtreibungen: eine Frau, die auf keinen Fall ein Kind zur Welt bringen will, mit dem sie schwanger ist, wird einen Weg finden, die Schwangerschaft abzubrechen (oft unter erheblicher Gefährdung, s. Anhang), ob der Staat das erlaubt oder nicht. Wenn sie diese Entscheidung früh genug fällt (s.o.), entsteht Dritten kein Schaden und muß diese Entscheidung über ihren eigenen Körper ihr Grundrecht sein. Der Staat hat darin nicht nur nicht einzugreifen, er muß dafür Sorge tragen, daß die Frau ihr Recht sicher und ohne sich zu gefährden, in Anspruch nehmen kann.
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