rilke

Rilke – Ausschnitt aus Gemälde von Leonid Ossipowitsch Pasternak

Übermorgen stirbt das Jahr 2021 aber heute vor 95 Jahren starb Rainer Maria Rilke.
Für mich der größte Lyriker deutscher Sprache.

Buddha

Als ob er horchte. Stille: eine Ferne…
Wir halten ein und hören sie nicht mehr.
Und er ist Stern. Und andre große Sterne,
die wir nicht sehen, stehen um ihn her.

O er ist alles. Wirklich, warten wir,
daß er uns sähe? Sollte er bedürfen?
Und wenn wir hier uns vor ihm niederwürfen,
er bliebe tief und träge wie ein Tier.

Denn das, was uns zu seinen Füßen reißt,
das kreist in ihm seit Millionen Jahren.
Er, der vergißt, was wir erfahren,
und der erfährt, was uns verweist.

–R.M. Rilke

__

und damit wünsche ich allen LeserInnen einen sanften und freudvollen Übergang ins neue Jahr, welches glücklicher sein möge, als das vergangene.

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Kommentare (23)

  1. #1 noch'n Flo
    Schoggiland
    29/12/2021

    Na, dann fange ich doch gleich mal mit einem Zitat an, welches aktueller nicht sein könnte:

    Was heißt hier siegen, überleben ist alles.

  2. #2 Joseph Kuhn
    29/12/2021

    Oder, für CC als Toleranzübung, in endlosen Variationen: “Gott, du bist groß” 😉

    Rilke muss man mögen. Mir ist sein Ästhetizismus zu schwülstig. Lieber Ringelnatz:

    “Aus meiner Kinderzeit

    Vaterglückchen, Mutterschößchen,
    Kinderstübchen, trautes Heim,
    Knusperhexlein, Tantchen Rös’chen,
    Kuchen schmeckt wie Fliegenleim.

    Wenn ich in die Stube speie,
    Lacht mein Bruder wie ein Schwein.
    Wenn er lacht, haut meine Schwester.
    Wenn sie haut, weint Mütterlein.

    Wenn die weint, muss Vater fluchen.
    Wenn er flucht, trinkt Tante Wein.
    Trinkt sie Wein, schenkt sie mir Kuchen:
    Wenn ich Kuchen kriege, muss ich spein.”

    Weniger schön war Rilkes Annäherung an den italienischen Faschismus. Demokrat war er nicht. Möge das neue Jahr Rilke zumindest nicht politisch folgen, damit es glücklicher als das vergangene werden kann.

  3. #3 hwied
    in Weihnachtslaune
    29/12/2021

    Rilke fügt der Realität den Zauber der Vorstellung hinzu und macht damit der Religion Konkurrenz, die bis dahin für sich allein in Anspruch nahm, den Menschen über die gewöhnliche Wirklichkeit hinauszuheben.

  4. #4 hwied
    schon etwas ernsthafter
    29/12/2021

    Passend zur Weihnachtszeit, dieses Gedicht über Eva.

    Eva
    Einfach steht sie an der Kathedrale
    großem Aufstieg, nah der Fensterrose,
    mit dem Apfel in der Apfelpose,
    schuldlos-schuldig ein für alle Male

    an dem Wachsenden, das sie gebar,
    seit sie aus dem Kreis der Ewigkeiten
    liebend fortging, um sich durchzustreiten
    durch die Erde, wie ein junges Jahr.

    Ach, sie hätte gern in jenem Land
    noch ein wenig weilen mögen, achtend
    auf der Tiere Eintracht und Verstand.

    Doch da sie den Mann entschlossen fand,
    ging sie mit ihm, nach dem Tode trachtend;
    und sie hatte Gott noch kaum gekannt.

  5. #5 hto
    Gemeinschaftseigentum
    29/12/2021

    @Kuhn: “Weniger schön war Rilkes Annäherung an den italienischen Faschismus.”

    Der italienische Faschismus war Nationalsozialismus, ein kleiner Unterschied, wenn man bedenkt, daß wir im zeitgeistlich-reformistischen Kreislauf des imperialistisch-faschistischen Erbensystems alle mehr und/oder weniger Faschisten sind, Faschisten die sich mit “Demokratie” im “gesunden” Konkurrenzdenken des nun “freiheitlichen” Wettbewerbs tarnen, rausreden und gegenseitig heuchlerisch-verlogen beschuldigen und ausgrenzen 😉 !?

  6. #6 zimtspinne
    29/12/2021

    Heute hatte ich beim arg verstaubten Bücherregal putzen ein Schild in der Hand, das ich mal bei einer Verlosung gewonnen hatte, selbstgebastelt und gemalt und darauf prangt der Rilke-Katzenspruch:

    Das Leben und eine Katze, das ergibt eine unglaubliche Summe, ich schwör’s Euch

    Passend dazu hat, gerade als ich das tippte, meine Mezzomix erstmalig eigenständig die geschlossene Schlafzimmertür geöffnet, was sie schon seit einigen Tagen fleißig geübt, aber bisher noch nicht geschafft hatte. Ich war kurz davor, den Katzenspruch durch einen anderen zu ersetzen. Evtl sogar einen Hundespruch, da Hunde (in Katzengröße) sicher viel zu doof zum Türenöffnen sind.

    Das Zitat weiter oben ist übrigens nicht ganz richtig. Statt “Überleben” heißt es dort “Überstehen”.

    Habe ich eben gesehen, als ich nach weiteren Rilke-Zitaten sah, um nicht nur mit dem Katzenspruch anzukommen.
    Soweit ich weiß, ist CC ja gar kein Katzen- sondern Hundefan.
    Mit Hunden hatte Rilke jedoch nichts am Hut c:

  7. #7 zimtspinne
    29/12/2021

    Ansonsten bevorzuge ich sowieso Zitate über Lyrik/Gedichte, davon gibts von Rilke auch viele.

    Das gefällt mir gerade bei der Nachlese im alten Jahr als Pro-Tipp fürs Leben:

    Sei jedem Abschied voraus!

    Das ist was für die Aktualitätsbezogenen:

    Nichts legt die Menschen so sehr im Irrtum fest, wie die tägliche Wiederholung dieses Irrtums.

    Und das find ich einfach schön kringelig-phantasievoll und gleichzeitig sehr pragmatisch, nicht neurotisch-optimistisch, aber auch nicht zu pessimistisch-kafkaesk:

    Ich lebe mein Leben in wachsenenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich es.

  8. #8 zimtspinne
    29/12/2021

    Rilke und Kafka wurden übrigens beide fast zur gleichen Zeit in Prag geboren, nur wenige Jahre auseinander.

  9. #9 hto
    Gemeinschaftseigentum
    30/12/2021

    @Kuhn: “… als Toleranzübung, in endlosen Variationen: “Gott, du bist groß”

    Im Grunde hast Du da eine abscheuliche Respektlosigkeit abgesetzt, denn Gott (KEINE Person!) bedeutet ja Vernunft (in der sich CC zweifelsfrei übt), aber im Wahn des nun “freiheitlichen” Wettbewerbs gilt in “endlosen Variationen” leider immernoch: “denn sie wissen nicht was sie tun”!?

  10. #10 hto
    Gemeinschaftseigentum
    30/12/2021

    „Es wechseln immer drei Generationen. Eine findet Gott, die zweite wölbt den engen Tempel über ihn und die dritte verarmt und holt Stein und Stein aus dem Gottesbau, um damit notdürftig kärgliche Hütten zu bauen. Und dann kommt eine, die Gott wieder suchen muss.“

    Mir gefällt wie Rilke eine Annäherung an Gott versucht.

  11. #11 hto
    Gemeinschaftseigentum
    30/12/2021

    … gesucht hat. Muss es besser lauten 🙂

    Und wenn man dann die zeitgenössisch-einengenden Tabu’s, Pflichten, Zwänge und Rechte mit bedenkt, dann sollte man verstehen können, warum er in Richtung Nationalsozialismus tendierte – Wenn er noch leben würde, dann wäre er heute ziemlich sicher ein Diskussionsteilnehmer der unter (manipulativer) Moderation auch nur sehr beschränkt den Einlass in die Blogs besonders populistischer Zeitgenossen findet!? 😉

  12. #12 hwied
    30/12/2021

    Was man über Rilke noch wissen sollte:
    “Im Jahr 1897 lernten sich Lou Andreas-Salomé und Rainer Maria Rilke in München kennen. Sie war damals fast doppelt so alt wie er. Sie war damals 36 Jahre alt, er 21 Jahre. Eine leidenschaftliche Liebesbeziehung begann. Wunderschöne Liebesgedichte und Liebesbriefe sind durch diese Beziehung entstanden. Erfreulicherweise sind sie der Nachwelt erhalten geblieben. Rilke und Lou machten eine Russlandreise und besuchten Leo Tolstoi. Die Liebesbeziehung wurde zunehmend ambivalent. Rilke war zu schwach und wankelmütig, Lou zu selbstbewusst. Schließlich drängte Lou auf die Beendigung der Liebesbeziehung. Der Briefwechsel zwischen Lou und Rilke dauerte weiter an. Sie blieb seine „mütterliche Vertraute“ bis zu seinem Tod im Jahre 1926. Rilke war sein ganzes Leben umgeben von unterstützenden und gönnerhaften „Mutter-Figuren“. Als er an Leukämie erkrankte, schrieb er Lou bis kurz vor seinem Tod noch Briefe.”
    Zusatzwissen: Friedrich Nietzsche hatte 15 Jahre vorher Lou Salomé einen Heiratsantrag gemacht, den sie abgelehnt hatte.

  13. #13 Cornelius Courts
    30/12/2021

    @Joseph:
    “Oder, für CC als Toleranzübung, in endlosen Variationen: “Gott, du bist groß” ”

    Ach naja… das hier ist auch von einem (noch sehr jungen) Rilke:

    „Ihr lippenfrommen Christen
    Nennt mich den Atheisten
    Und flieht aus meiner Näh;
    Weil ich nicht wie ihr alle
    Betöret in die Falle
    Des Christentums geh.“

    🙂

    Abgesehen davon, daß Rilke kein Christ war, war sein Gott auch ein eher kleiner, abhängiger:

    „Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe?
    Ich bin dein Krug, wenn ich zerscherbe?
    Ich bin dein Trank (wenn ich verderbe?)
    Bin dein Gewand und dein Gewerbe
    mit mir verlierst du deinen Sinn.
    Was wirst du tun? Ich bin bange.“

    “Rilke muss man mögen.”

    Das gilt desgleichen für Ringelnatz. Mir ist er zu platt und infantil.

    “Weniger schön war Rilkes Annäherung an den italienischen Faschismus. Demokrat war er nicht. Möge das neue Jahr Rilke zumindest nicht politisch folgen, damit es glücklicher als das vergangene werden kann.”

    Mag sein. Ich bin jedoch (wie offenbar auch Menschen wie der Wagner-Fan Reich-Ranicki) ein Anhänger davon, Künstler und Werk getrennt zu betrachten. Es soll z.B. Leute geben, die den Tristan hören (und auch 2022 hören werden) und nicht an Antisemitismus denken…
    So wollen wir es mit Rilkes Werken auch halten 🙂

  14. #14 Joseph Kuhn
    30/12/2021

    @ CC:

    Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Dir gibt Rilke was, mir nicht, das ist doch o.k. so.

    Ob man Künstler und Werk getrennt betrachten soll, oder darf, wäre eigentlich ein schönes Blogthema (könnte man entlang konkreter Fälle diskutieren, Wagner, klar, auch Leni Riefenstahl, Veit Harlan, Sergei Eisenstein usw. – siehe z.B. https://www.fluter.de/trennung-k%C3%BCnstler-werk-pro-contra). Analoge Fragen stellen sich auch bei Wissenschaftler/innen mit heikler Biografie.

    Meiner Meinung nach dürfte man Rilkes Gedichte auch dann gut finden, wenn man zu dem Schluss käme, Künstler und Werk ließen sich nicht getrennt betrachten. Aber vielleicht gilt das nicht für alle Fälle?

  15. #15 hto
    Gemeinschaftseigentum
    31/12/2021

    Kuhn: “Möge das neue Jahr Rilke zumindest nicht politisch folgen, damit es glücklicher als das vergangene werden kann.”

    – Das nennt man klassisch ein ignorant-arrogantes Vorurteil. 😉

    Ich glaube, ein Mensch wie Rilke hätte erkannt welchem “anderen” / systematisch folgendem Wahnsinn er aufgesessen ist – vielleicht hätte er den Verstand verloren, vielleicht hätte er aber auch den einzig richtigen Ausweg als Alternative in seiner Kunst verpackt, denn damit wäre er seiner Zeit, bzw. dem nötigen Bewusstsein weit voraus gewesen, wie weit, das kann man an der heutigen Ablehnung von Kommunikation über diese einzig menschenwürdige Wahrheit mehr als nur ahnen!? 😉

  16. #16 hto
    Gemeinschaftseigentum
    31/12/2021

    @CC: “Infantil”

    – Dann wären also auch all die “gesellschaftskritischen” Kabarettisten (ich mag sie nicht, konnte über deren Populismus am/im Zeitgeist nie lachen) infantil!?

  17. #17 hwied
    bei einer Tasse Kaffee
    31/12/2021

    Der Künstler und sein Werk,
    Das Werk muss sich an der Wirklichkeit beweisen. Karl Marx war nicht imstande seine Familie zu ernähren. Ohne die Unterstützung von F. Engels wäre er in Vergessenheit geraten.
    Wenn man weiß, was Richard Wagner für ein Judenhasser war, dann kann man seine Musik nicht genießen.
    Und die genannte Leni Riefenstahl, wenn man diese Kunst toll findet, dann ist man zu spät geboren.
    Und jetzt zu Rilke, dieser Mensch war religiös, nicht im Sinne des Christentums, aber das Christentum hat nicht das Monopol auf Religiosität.

  18. #18 Joseph Kuhn
    31/12/2021

    @ hwied:

    Ich glaube, Karl Marx hat sich, anders als Groucho, nicht als Künstler verstanden.

  19. #19 hto
    Holographische Konfusion
    31/12/2021

    @hwied: “Das Werk muss sich an der Wirklichkeit beweisen.”

    Wenn es NICHT bildender Kunst … – Und hat die Wirklichkeit ein Bewusstsein das jeglicher Zweifelhaftigkeit mit eindeutiger Wahrhaftigkeit …???

    Das müsste reichlich verbale Inspiration für den sonstwie gestalteten Denkapparat sein!? 😉

  20. #20 hto
    Holographische Konfusion
    31/12/2021

    @Kuhn

    Aber Wohlstands- und Gewohnheitsmenschen haben Marx und sein Werk zur “Künstlichkeit wider der Natur des Menschen” erklärt/abgewertet/tabuisiert.

  21. #21 hwied
    nach 7 Kartoffelpuffer mit Schmand
    31/12/2021

    Joseph Kuhn,
    richtig, ich wollte nur sparsam sein und habe den Sozialökonom Marx mal kurz zu einem Künstler erklärt.
    Und was ist denn der Unterschied.
    Der Künstler sucht nach der Wahrheit , der Sozialökonom auch. Und Karl Marx teilt sein Leben mit den meisten Künstlern. Ihre Bedeutung wächst erst nach ihrem Tode. Und so ein faux pas ruft unseren hto auf den Plan, der für mich auch ein Künstler ist .
    Ihre Meinung, dass das “Kapital” abgewertet wird , teile ich. Wenn wir nur noch einen Lebensmittelkonzern haben , einen Internetanbieter, eine Automobilfirma, dann wird man Marx wieder ausgraben. Wenn Sie mal Zeit haben, fahren sie nach Berlin zum Alexanderplatz und schauen sich die Büste von ihm an, sie ist beeindruckend.

  22. #22 hwied
    31/12/2021

    Korrektur,zu #21
    Die Meinung zum Kapital stammte von hto und nicht von Ihnen. Ich würde sie Ihnen auch zutrauen.

  23. #23 hto
    Imperialistisch-faschistisches Erbensystem
    01/01/2022

    Wegen Rilke und die Irrungen seiner Zeit – Nachtrag und Zitate von Goethe und Nietzsche, zum Nachdenken um Verständnis, warum es auch heute noch sehr oberflächlich-zweifelhaft ist, zu meinen die mehrheitliche Masse hätte sich nun für die richtige Seite entschieden:

    “Nichts ist widerwärtiger als die Majorität; denn sie besteht aus wenigen kräftigen Vorgängern, aus Schelmen, die sich akkommodieren, aus Schwachen, die sich assimilieren, und der Masse, die nachtrollt, ohne nur im mindesten zu wissen, was sie will.” Goethe

    “In der Jugend, wo wir nichts besitzen oder doch den ruhigen Besitz nicht zu schätzen wissen, sind wir Demokraten. Sind wir aber in einem langen Leben zu Eigentum gekommen, so wünschen wir dieses nicht allein gesichert, sondern wir wünschen auch, daß unsere Kinder und Enkel das Erworbene ruhig genießen mögen. Daher sind wir im Alter immer Aristokraten.” Goethe

    “Sobald die Tyrannei aufgehoben ist, geht der Konflikt zwischen Aristokratie und Demokratie unmittelbar an.” Goethe

    “Mache zum Herrscher sich der, der seinen Vorteil verstehet: / Doch wir wählen uns den, der sich auf unsern versteht.” Goethe

    “Man nahm als ausgemacht an, daß unter guten Menschen die republikanische Form die beste sei.” Goethe

    “Demokratie ist die Verfallsform des Staates.” Nietzsche

    “Ich rede von der Demokratie als etwas Kommendem. Das, was schon jetzt so heißt, unterscheidet sich von den älteren Regierungsformen allein dadurch, daß es mit neuen Pferden fährt: Die Straßen sind noch die alten und die Räder sind auch noch die alten.” Nietzsche

    Viel Glück im neuen Jahr