Ich hatte hier ja schonmal erwähnt, daß ich “Harneval” im Allgemeinen und speziell die heimische rheinische Variante (heute isses ja wieder soweit) ziemlich arg verzichtbar finde. Einer der Gründe dafür ist auch, daß es immer wieder zu enthemmt-alkoholisierten Übergriffen und Sexualstraftaten kommt (mit denen nicht selten dann auch wir in der Rechtsmedizin zu tun bekommen). So auch in dem Fall [1], von dem ich heute berichten will, der sogar an meinem derzeitigen (aber noch nicht damaligen) Institut für Rechtsmedizin untersucht wurde. (Hinweis: für ein optimales Verständnis des folgenden Artikels empfehle ich die Lektüre der Serien zur forensischen Genetik, zu DNA-Transfer und zur forenischen RNA-Analyse.)
Zum Fall:
Das Opfer war eine 21-jährige Frau, die an Karneval mit geschwollenem, blutverschmiertem Gesicht aufgefunden worden war und angab, von einem verkleideten Mann mit der Faust mehrfach ins Gesicht geschlagen worden zu sein, außerdem habe er sie mit dem Finger vaginal penetriert und sie zu oralem Geschlechtsverkehr gezwungen. Sie konnte den Täter gut beschreiben, wobei behilflich war, daß er ein auffälliges Kuh-Kostüm getragen hatte:
Zufälligerweise war zuvor ein Mann in einem ebensolchen Kostüm von der Polizei kontrolliert worden, wobei auch seine Personalien erfasst worden waren. Dadurch konnte er kurz nach der Tat in seiner Wohnung angetroffen werden und mithin zeitnah eine Spurensicherung erfolgen, obgleich der Verdächtige die Tat zunächst abstritt.Spurensicherung und Befunde:
Das Verletzungsbild des Opfers passte zu dessen Schilderungen; der Verdächtige wies an den Knöcheln der rechten Hand Schwellungen und Schürfverletzungen auf, die mit der Beibringung wuchtigter Fausthiebe vereinbar waren. Vom Opfer wurden zudem gynäkologische Abstrichproben genommen, vom Verdächtigen wurden Abriebe des Penis gefertigt, sowie der Handflächen und Finger. Zudem wurden Fingernägelabschnitte genommen und das Kuhkostüm asserviert. Die gesammelten Asservate wurden am Institut für Rechtsmedizin molekulargenetisch untersucht.
Kleiner Einschub: das Opfer hätte sich auch entscheiden können, zunächst keine Anzeige zu erstatten, aber sich trotzdem und wichtigerweise rechtsmedizinisch untersuchen und fachgerecht Spuren sichern zu lassen, in dem es von der Möglichkeit der Vertraulichen Spurensicherung Gebrauch gemacht hätte (ich hatte über das Angebot in SH berichtet), die natürlich auch in NRW angeboten wird. (Bitte gerne überall erzählen und weiterverbreiten, daß dieses Angebot existiert!)
DNA-Analyse: Von den gynäkologischen Abstrichen wurden y-chromosomale DNA-Profile erstellt. Da es zu keiner penilen Penetration und damit Ejakulation gekommen war, war davon auszugehen, daß nur wenige Epithelzellen vom Finger des Täters an den Abstrichen vorhanden waren, so daß nicht zu erwarten war, daß vor dem starken Vordergrund weiblicher DNA des Opfers ein autosomales Profil des Täters zu rekonstruieren gewesen wäre. Da Frauen kein Y-Chromosom haben, kann das y-chromosomale Profil eines Mannes auch bei deutlichem Überschuß weiblicher Zellen noch gut darstellbar sein. Und in der Tat konnte ein vollständiges Y-chromosomales Profil an den Abstrichen dargestellt werden, daß identisch mit dem Profil des Verdächtigen (bzw. mit diesem in männlicher Linie verwandten Männern) war. Für die biostatistische Bewertung dieser Übereinstimmung wurde die YHRD (genau, diese superwichtige Datenbank, über die wie wir schon sprachen) genutzt und so gezeigt, daß eine zufällig Übereinstimmung überaus unwahrscheinlich war.
An dem Kostüm fanden sich Sekretspuren, die durch immunchromatographische Schnelltests als Speichel und Sperma identifiziert werden konnten. Eine DNA-Analyse ergab ein Mischprofil mit mindestens drei Beiträgern, darunter das Opfer und der Verdächtige. Die DNA-Analyse der Abriebe der Hand des Verdächtigen und der Fingernägel ergab abermals Mischprofile, zu denen das Opfer und der Verdächtige beigetragen hatten.
RNA-Analyse: Bei den Abrieben der Hand und den Fingernägeln des Verdächtigen war jedoch der Kontext der Spurenentstehung entscheidend. Die DNA des Opfers allein hätte nicht bewiesen, daß der Verdächtige es wirklich mit den Fingern vaginal penetriert hatte, die DNA hätte ja auch auf andere Weise, etwa durch einen Händeschütteln dort hingelangen können. Aus diesem Grund war von diesen Abrieben eine DNA/RNA-Ko-Extraktion durchgeführt worden, so daß man DNA und RNA aus denselben Proben parallel analysieren und die Ergebnisse später integrieren konnte.
Die RNA-Analyseprozedur beruhte auf der Methode von Lindenbergh et al. [2], die jedoch noch etwas angepasst worden war. Die Methode ermöglicht es, aus einer RNA-Präparation gezielt in cDNA umgeschriebene, spezifische mRNA-Äquivalente für die Körperflüssigkeiten Blut, Speichel, Sperma, Vaginalsekret, Menstrualblut und Nasensekret zu detektieren (wenn sie denn vorhanden sind). Die folgende Tabelle zeigt, wieviele RNA-Transkripte welcher Gene für die einzelnen Körperflüssigkeiten hierfür betrachtet werden:
Es gibt in dieser Multiplex-Anreicherungs-PCR auch noch einen zusätzlichen Marker für Geschlecht (XIST), der eine Plausibilitätskontrolle darstellt. Die „Housekeeping“-Kontrollen dienen als Positivkontrollen, die anzeigen, ob die Methode grundsätzlich funktioniert hat.Und hier ist beispielhaft das Ergebnis der Analyse eines Abriebs vom rechten Mittelfinger des Verdächtigen:
Man sieht, neben sporadischen und damit inkonklusiven Ergebnissen für andere Körperflüssigkeiten wie Blut und Samenflüssigkeit, einen durchgängigen Nachweis zweier vaginalschleimhautspezifischer Marker in allen vier von vier Replikaten. Dies ist als positiver Befund zu werten, dem Finger haftete also Vaginalsekret an, das man aufgrund der DNA-Befunde dem Opfer zuordnen konnte. Somit konnte die Spur in ihren Enstehenskontext eingeordnet werden, der, wie das Opfer beschrieben hatte, darin bestand, daß der Verdächtige mit dem Finger vaginal in sie eingedrungen war.
Fazit: Durch eine schnelle Reaktion des Opfers und der Polizei, verbunden mit einer rasch erfolgten Spurensicherung, sowie der Rechtsmedizin konnte in diesem Fall ein umfangreiches, mehrdimensionales Spurenbild gesichert werden, anhand dessen sich die Tat und die davon umfassten Einzelstraftaten (schwere Körperverletzung, sexuelle Mißhandlung, orale Vergewaltigung) evidenzbasiert rekonstruieren ließen. Die Bearbeitung des Falles profitierte dabei natürlich erheblich von der transdiziplinären Vernetzung in der Rechtsmedizin (das Opfer wurde von Rechtsmedizinern untersucht, die von ihm sowie vom Verdächtigen und dessen Kleidung genommenen Proben analysierten die forensischen Molekularbiologen), die einer ihrer charakteristischen Vorteile ist.
Außerdem ist der Fall ein anschauliches und durchaus typisches Beispiel für den Nutzen und die Bedeutung von über die Standard-DNA-Analyse hinausweisende, kontextualisierende Untersuchungsformen wie die forensische RNA-Analyse. Hier wären zwar auch die DNA-Befunde allein schon sehr belastend für den Verdächtigen gewesen, es begegnen uns aber regelmäßig Fallkonstellationen, in denen für eine vollständige Tathergangsrekonstruktion die RNA-Analyse unabdingbar ist.
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Referenzen:
[1] Neis, M., Siegel, S., Banaschak, S., & Schneider, P. M. (2021). Schwere sexualisierte Gewalt–Aufklärung eines Falls durch Kombination aus DNA-und mRNA-Analyse. Rechtsmedizin, 1-6.
[2] Lindenbergh, A., de Pagter, M., Ramdayal, G., Visser, M., Zubakov, D., Kayser, M., & Sijen, T. (2012). A multiplex (m) RNA-profiling system for the forensic identification of body fluids and contact traces. Forensic Science International: Genetics, 6(5), 565-577.
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