Beobachtung 1: Seit ihrer Gründung hat sich die AfD in den inzwischen 10 Jahren ihrer Existenz immer weiter nach rechts bewegt, es gab Spendenskandale, unsägliche Sprüche ihrer (An)führer, die Berichte über (Ex-)Nazis in ihren Reihen häufen sich und inzwischen ist sie für den Verfassungsschutz ein rechtsextremer Verdachtsfall. Dennoch erhält die AfD bei der Sonntagsfrage (während ich das schreibe, ist der 4.2.23) 15%, 5% mehr als bei der letzten Bundestagswahl. Sie werden also immer extremer und zugleich immer beliebter. In Berlin sind kürzlich wohl sogar Tausende ehemalige Wähler der Linken direkt zur AfD übergegangen!
Wie ist das zu erklären? Natürlich weder dadurch, daß im September 2021 10% der Wähler rechtsextrem waren, noch daß in den letzten 1,5 Jahren zusätzlich 5 % der Wähler rechtsextrem geworden sind. Ich bin auch nicht überzeugt, daß die Krisen der letzten Jahre (v.a. “C-Wort” und der Ukraine-Krieg) die einzigen Erklärungen für diese Entwicklung sind.
Meine Erklärung (zumindest eines Teils dieser Entwicklung) konnte man in den USA, die uns in solchen kulturellen Phänomenen ja gerne 5-10 Jahre voraus sind, bereits 2016 in Gestalt der Wahl Trumps beobachten und meine Gedanken dazu habe ich damals auch schon aufgeschrieben: daß diese für ein politisches Amt – und erst recht das mächtigste der Welt – maximal ungeeignete menschliche Groteske gewählt wurde, lag auch (und in vermutlich nennenswertem Maße) an einer Gegenreaktion gegen die damals in den USA bereits grassierende und als übergriffig, bevormundend und in ihren Verfemungsreflexen als extrem anmaßend empfundene woke Ideologie, die von der Wählerschaft vor allem mit den Demokraten in Verbindung gebracht wurde, während sie gleichzeitig wahrnahm, wie deutlich sich Trump ostentativ und konträr dazu davon abgrenzte (und selbst nach seiner verheerenden ersten Amtszeit trug in meinen Augen dieser woke-Abstoßungseffekt zu seiner Fast-Wiederwahl bei). Hinzukommt, in den USA wie in Deutschland, daß sich Angehörige der „Arbeiterklasse“, eigentlich traditionelle Demokraten- bzw. SPD/Linke-Wähler, zusehends von diesen Parteien nicht mehr vertreten, wenn nicht gar vor den Kopf gestoßen und verraten fühlen, weil diese sich nicht mehr um „Klassen“ und „Klassismus“ kümmern und um die Stärkung von Arbeiterrechten und Rechten für Menschen mit geringem Einkommen bemühen, sondern nun in erster Linie die woke-konformen Identitätsgruppen („Rasse“, „Gender“, Sexualität) bedienen.
Inzwischen ist nämlich “woke” (präziser als Critical Social Justice-Aktivismus zu bezeichnen, hier mehr zum Hintergrund) auch in Deutschland voll angekommen, mit Cancel Culture und Twitter-Shitstorms, Identitätspolitik auf Steroiden, Gender-Unfug und -Nötigung (eine Spezialität des deutschsprachigen Raums, die interessanterweise im englischsprachigen Raum keine Rolle spielt), einem völlig hysterischen, regelrecht blindwütigen Transsexuellen-Aktivismus mit Boykott-Aufrufen von Videospielen (,die in einer fiktionalen Welt spielen, die auf Büchern basiert, deren Autorin mal was auf Twitter geschrieben hat, das jemandem nicht gefallen hat) und einer von vielen wahrgenommenen Einengung des Korridor des Sag- wenn nicht Denkbaren.
Wer zum Beispiel für eine gewisse Eingrenzung und Regelung von Einwanderung ist, wird sofort und ohne Bewährung als Rassist (,was natürlich schon konzeptionell unsinnig ist,) und Fremdenfeind verfemt, wer zwei (und nicht mehr) biologische Geschlechter des Menschen und überhaupt einen Unterschied zwischen Männern und Frauen wahrnimmt (und damit dem breiten Konsens der Wissenschaft folgt), ist “transphob” (was immer das sein soll), wer Übergewicht Übergewicht nennt und es für gesundheitlich bedenklich hält (und damit dem breiten Konsens der Medizin folgt), ist “fettphob” (was immer das sein soll), wer als Weißer gerne mal Jazz auf seinem Instrument spielt, Tamales in der Pfanne brät oder Dreadlocks trägt, macht sich der ” kulturellen Aneigung” schuldig, hat man als Weißer eine farbige Partnerin, exotisiert man sie bloß und ist deshalb Rassist oder mindestens Kolonialist, hat man aber eine weiße Partnerin, lehnt man wohl Farbige ab und ist sowieso Rassist (auch als ‘double bind’ oder ‘Kafka trap’ bezeichnet), besteht man in Diskussionen auf Regeln, Belege und Beweise und will “gelebte Erfahrung” und “gefühlte Wahrheiten” nicht als gleichwertige Belege anerkennen, begeht man “epistemologische Ungerechtigkeit” und sollte sich mal besser seiner “weißen Privilegien” und “alternativer Wissenssysteme” bewußt werden, ist man zufällig schwarz und besteht auf wissenschaftliche Belege für eine Behauptung, ist man ein “Onkel Tom” und hat Rassismus schon “internalisiert”. Und so immer weiter und so fort. Das geht bis hin zur in der Empfehlung des Berliner AStA an Frauen, nach sexuellen Übergriffen doch besser nicht die Polizei zu rufen, impliziten Täter-Opfer-Umkehr.
Kommentare (295)