Zu Beginn einige dringend notwendige Begriffserklärungen / -abgrenzungen:
Forensik/Forensische Wissenschaft/Forensiker: Forensik (von lat. „forum“ für Marktplatz) ist ein Sammelbegriff für alle wissenschaftlichen (Teil)-disziplinen, die sich mit Fragestellungen befassen, die mit der Untersuchung zum Zweck der Aufklärung und Rekonstruktion krimineller Handlungen oder Taten in Verbindung stehen. Darunter fallen also nicht nur jeweils die forensischen Aspekte von Biologie/Genetik, Medizin und Toxikologie, sondern auch Bereiche der Ballistik, Materialwissenschaft, Psychologie, Computerwissenschaft, Statistik, Dokumentenkunde, Daktyloskopie u.v.a.m. Ein Forensiker ist also jemand, der in einem dieser Bereiche arbeitet. Manchmal wird als „Forensik“ auch verkürzend eine Klinik für „Forensische Psychiatrie“ bezeichnet, wo psychisch gestörte Straftäter einsitzen und behandelt werden.
Rechtsmedizin/Rechtsmediziner: Der Rechtsmediziner oder Arzt für Rechtsmedizin ist derjenige, der die gerichtlichen Leichenöffnungen oder „Obduktionen“ durchführt, auch wenn es in den Medien immer noch und wieder falsch gesagt bzw. übersetzt wird, und nur in der Rechtsmedizin werden Leichen untersucht, die bei ungeklärter oder unnatürlicher Todesart von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt werden. Die gerichtliche Leichenöffnung umfasst immer all drei Körperhöhlen (Kopf, Brust, Bauch) und unterliegt strengen Regeln und Vorschriften. In Deutschland und der Schweiz heißt das Fach Rechtsmedizin und nicht (!) Gerichtsmedizin, so heißt es nur in Österreich. In Deutschland wurde die Bezeichnung Rechtsmedizin eingeführt, weil sie Umfang, Aufgaben und Auftraggeber besser beschreibt, als Gerichtsmedizin. Die Rechtsmedizin ist eben nicht nur für und durch das Gericht tätig und schon gar nicht abhängig oder untergeordnet.
Pathologie/Pathologe: Der Pathologe oder Arzt für Pathologie hat erstmal überhaupt nichts mit der Rechtsmedizin zu tun. Er untersucht vor allem und hauptsächlich Proben lebender Patienten, z.B. Biopsate, auf krankhafte Veränderungen wie Krebs, z.B. durch feingewebliche oder histologische Methoden. Nur sehr selten führen Pathologen auch Obduktionen durch, dann aber immer unter klinischen Aspekten und Fragestellungen und nicht im Auftrag von Ermittlungsbehörden. Die penetrante Falschbezeichnung von Rechtsmedizinern als Pathologen rührt vermutlich von einem Übersetzungsverlust her, da der Rechtsmediziner in englischsprachigen Ländern auch als „forensic pathologist“ bezeichnet wird.
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Lister der Fragen
- Wie realistisch ist CSI & Co?
- (Was) muß man studieren, um als Forensiker arbeiten zu können?
- Wie sicher sind Vaterschaftstests und darf man sie heimlich (z.B. ohne Wissen der Mutter) machen?
- Kann man mit forensischen DNA-Tests eineiige Zwillinge auseinanderhalten?
- Gibt es den perfekten Mord, also einen Mord, den man nicht nachweisen kann?
- Wer besucht in Deutschland die Tatorte von Verbrechen?
- Wie hält man diesen Beruf aus? Wie erträgt man das, was man dort erlebt? Stumpft man ab?
- Kann man DNA-Spuren auch fälschen?
- War der Gentest, der Osama bin Laden identifiziert hat, gefälscht?
- Wie lange dauert eine DNA-Analyse und zwar a) schnellstmöglich und b) üblicherweise in Alltagsbetrieb
- Wie sind Ergebnisse (oder wohl besser Versprechen) der genetischen Genealogie zu berurteilen, die von verschiedenen privaten Instituten angeboten werden?
- Welche Rolle spielt die Magnetresonanz-Bildgebung (MRI) in der Rechtsmedizin, was muss man sich darunter vorstellen, wann kommt sie zur Anwendung?
- Was ist von der angeblichen Entlarvung Jack the Rippers im September 2014 zu halten?
- Wie lange kann man aus einer Blutprobe ein DNA-Profil erstellen?
- Welche Aufgaben haben Forensiker, wenn sie zur Unterstützung nach Ereignissen mit massenhaftem Versterben herbeigerufen werden?
- Welche Einsatzmöglickeiten gibt es für die forensische RNA Analytik?
- Kann man feststellen, ob eine DNA enthaltende Spur im Verlauf einer Tat entstanden ist oder nachträglich gelegt wurde?
- Kann man das Alter einer Spur, bzw. des Tatverdächtigen zum Zeitpunkt der Tat bestimmen?
- Kann man das Aussehen eines Tatverdächtigen anhand der DNA ermitteln und wird das in Deutschland gemacht?
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1. Frage: Wie realistisch ist CSI & Co?
Antwort: Das kann ich nicht pauschal beantworten, da diese Sendungen, von denen ich die allermeisten nicht aus erster Hand kenne, erstens wohl sehr zahlreich und zweitens sehr unterschiedlich in ihren Darstellungen forensisch-wissenschaftlicher Methoden und Arbeitsweisen sind. Klar dürfte sein, daß die Tatsache, daß in diesen Sendungen in ca. 45 Minuten die Ermittlungs- und Laborarbeiten, die sonst Tage und Wochen in Anspruch nehmen, zusammengedrängt sind, einer realistischen Darstellung nicht gerade zuträglich ist. Unrealistisch ist zudem, daß die Labors in den meisten dieser Sendungen die allermodernste und teuerste Ausstattung haben. Schön wär’s, kann ich da nur sagen. Die verzerrte und übertriebene Darstellung forensisch-wissenschaftlicher Arbeit hat jedenfalls inzwischen den CSI-Effekt hervorgebracht, was andeutet, daß die Darstellungen eher über- als untertrieben sind.
Daher mein Angebot: bitte beschreibt eine konkrete Szene aus einer Sendung, die Euch interessiert (so genau wie möglich) und dann kann ich dazu sagen, ob das gezeigte möglich/plausibel ist.
2. Frage: (Was) muß man studieren, um als Forensiker arbeiten zu können?
Antwort: Das kommt erheblich darauf an, in welchem Bereich der Forensik man arbeiten möchte. Für die Arbeit der Spurensicherung am Tatort ist z.B. und soweit ich weiß kein eigenes Studium erforderlich und man lernt sehr viel durch Erfahrung und von anderen.
Um Rechtsmediziner zu werden, muß man Humanmedizin studieren und danach an einem Institut für Rechtsmedizin arbeiten, für den Facharzt braucht man aber auch noch Erfahrung in Psychiatrie und Pathologie.
Für Forensische Genetik bieten sich Studiengänge an, die profunde Kenntnisse in Genetik vermitteln, also Biologie oder eins dieser neuen Life Science-Fächer jeweils mit entsprechender Spezialisierung, wenn möglich und um Erfahrung zu sammeln, sollte man seine Bachelor- oder Masterarbeit bereits in einer entsprechenden Abteilung anfertigen.
In der Forensischen Toxikologie findet man vor allem Pharmazeuten und Chemiker, die sich gut mit Analytik und Methoden wie HPLC, GC und Massenspektrometrie auskennen, entsprechenden Studiengänge sind dafür die Voraussetzung.
Es gibt inzwischen sogar einige Forensik-Studiengänge, in denen ein breiter aber nicht in die Tiefe gehender Überblick über die forensischen Wissenschaften vermittelt wird und mit dem Bachelor in diesem Studiengang lässt sich meiner Einschätzung nach noch nichts anfangen, eine Spezialisierung und damit Einengung in einem nachfolgenden Masterstudium ist daher extrem empfehlenswert. Z.B. der “Master of Forensic Genetics“, der im WiSe 2016/17 erstmals an der “Tor Vergata” Uni in Rom angeboten wurde.
Inzwischen habe ich eine kleine Berufsberatung geschrieben für Leute, die forensische Genetiker werden wollen.
3. Frage: Wie sicher sind Vaterschaftstests und darf man sie heimlich (z.B. ohne Wissen der Mutter) machen?
Antwort: Vaterschaftstests, die nach der DIN 17025 von akkreditierten Labors und Sachverständigen durchgeführt werden, sind in aller Regeln sehr sicher und werden gerichtlich anerkannt. Ausschlüsse von der Vaterschaft sind mit 100%iger Sicherheit möglich, bei Nichtausschließbarkeit muß die Vaterschaftswahrscheinlichkeit berechnet werden, die niemals 100% erreichen kann. Ab einer Vaterschaftswahrscheinlichkeit ab 99,9% wird jedoch bereits eine tatsächliche Vaterschaft angenommen. In seltenen Fällen, wenn nur das Kind und der mögliche Vater getestet worden sind, kann es vorkommen, daß man die 99,9% nicht erreicht. Dann muß der Untersuchungsumfang erweitert oder doch die Mutter mit einbezogen werden. Ebenfalls problematisch ist es, wenn neben dem getesteten Mann auch ein naher Verwandter desselben als Vater in Frage kommt.
Heimliche Vaterschaftstests sind, spätestens seit der Einführung des Gendiagnostik-Gesetzes, streng verboten und werden mit hohen Geldstrafen geahndet. Das bedeutet, daß bei minderjährigen Kindern immer beide Teile über den Test informiert sein und ihm zustimmen müssen. Weigert sich ein Elternteil, muß ein Gericht angerufen werden, welches dann den Test anordnen kann.
4. Frage: Kann man mit forensischen DNA-Tests eineiige Zwillinge auseinanderhalten?
Antwort: Nein. Mit der forensischen Standard-Methode, dem STR-Profiling, kann man eineiige Zwillinge nicht unterscheiden, was sich manche Zwillingspaare zunutze machen konnten, um einer Haftstrafe, oder auch nur einer Vaterschaftsfeststellung zu entgehen. ABER: mit der neuen Sequenzierungstechnologie NGS, die sich meiner Einschätzung nach sehr bald in der forensischen Genetik durchsetzen wird, ist es bereits gelungen, auch eineiige Zwillinge auseinander zu halten. Es gibt seit kurzem sogar noch eine andere Methode, die deutlich weniger aufwendig ist. Dieses Schlupfloch wird also in naher Zukunft geschlossen sein.
5. Frage: Gibt es den perfekten Mord, also einen Mord, den man nicht nachweisen kann?
Antwort: Damit kann zweierlei gemeint sein: ein Mord, der nicht als Mord erkannt wird, oder ein Mord, dessen Täter sich nicht ermitteln läßt. Natürlich ist es heute möglich, einen Mord zu begehen, ohne forensisch auswertbare Spuren zu hinterlassen, die letztlich zum Täter führen, wofür aber normalerweise gute Kenntnisse der forensischen Methoden und detaillierte Planung erforderlich sind. Viel einfacher allerdings, als die Forensiker zu täuschen, ist es und beschämenderweise vor allem in Deutschland, die Erkennung eines Mordes als solchen zu vereiteln, bevor also überhaupt ein Forensiker sich damit befaßt.
6. Frage: Wer besucht in Deutschland die Tatorte von Verbrechen?
Antwort: In Deutschland sind am Tatort vor allem Polizisten, zu denen auch die Spurensicherer und Erkennungsdienstler und Leute vom kriminaltechnischen Dienst gehören. Bei Tötungsdelikten wird nicht selten auch ein Rechtsmediziner, die dafür gewöhnlich eine Rufbereitschaft unterhalten, an den Tatort gerufen. Ab und zu läßt sich auch ein Staatsanwalt dort sehen. Andere Forensiker, z.B. forens. Genetiker und Toxikologen sind so gut wie nie dort. Wir erhalten das am Tatort gesicherte Spurenmaterial von der Polizei und bearbeiten es dann in unseren Laboren. Eine Ausnahme davon sind Spuren, die während der Obduktion an einer Leiche gesichert werden, da sich diese dann in aller Regel in einem rechtsmedizinischen Institut befindet.
7. Frage: Wie hält man diesen Beruf aus? Wie erträgt man das, was man dort erlebt? Stumpft man ab?
Antwort: Für diese Frage darf ich auf einen alten Text verweisen, der die ganz sicher vorhandene dunkle Seite des Berufs und meine persönliche Art, damit umzugehen, schildert.
8. Frage: Kann man DNA-Spuren auch fälschen?
Antwort: Jein. Wenn man sich gut auskennt und Zugang zu entsprechenden Materialien und Laborgeräten hat, kann man DNA-Profile fälschen oder nachmachen, die denen entsprechen, die mit den forensisch-genetischen Standardmethoden darstellbar sind, aber man kann nicht „lebensechte“ DNA mit allen normalerweise darin/daran vorkommenden Modifikationen z.B. epigenetischen Markierungen nachmachen.
9. Frage: War der Gentest, der Osama bin Laden identifiziert hat, gefälscht?
Antwort: Theoretisch kann schon stimmen, was die Amerikaner behauptet haben. Für eine ausführliche Antwort verweise ich aber auf einen alten Text zu diesem Thema.
10. Frage: Wie lange dauert eine DNA-Analyse und zwar a) schnellstmöglich und b) üblicherweise in Alltagsbetrieb
Antwort: Die Antwort auf a) und b) hängt vollständig davon ab, welche Geräte/Infrastruktur man zur Verfügung hat und welche Prozesse man zur DNA-Analyse zählt, also ob z.B. die Extraktion der DNA aus dem Spurenmaterial mit berücksichtigt wird oder nicht. Es gibt erste Ergebnisse zum Rapid-DNA-Profiling, für welches miniaturisierte Geräte mit extrem gestrafften Programmen eingesetzt werden, die belegen, daß das reine DNA-Profiling in 90 Minuten durchgeführt werden kann. Dafür muß das Probenmaterial natürlich entsprechend geeignet sein, zum Beispiel saubere Vergleichsspeichelproben. Im “typischen” Fall hat man aber eine komplizierte Spur, die erst genau untersucht werden muß, bevor die DNA extrahiert werden kann. Auch hier ist die Dauer abhängig davon, ob sie manuell oder von einem Roboter durchgeführt wird, kann aber durchaus 1-2 Stunden betragen. Oft ist dann eine Quantifizierung und Untersuchung auf Inhibitoren fällig, z.B. durch quantitative PCR, das dauert ebenfalls 1,5-2 Stunden. Dann folgt die STR-Multiplex-PCR, danach bei Bedarf ein Kontrollgel und dann erst die kapillarelektrophoretische Auftrennung und DNA-Profilerstellung. Bei allen Zwischenschritten hängt die Dauer u.a. vom verwendeten Material, dem Automatisierungsgrad und den eingesetzten Geräten ab. Wenn alles gut läuft, man auf die Extraktion verzichten kann (Direct-PCR) und schnelle Geräte verfügbar sind, kann man es von der Spur zum DNA-Profil in einem halben Tag schaffen. Wenn man aber eine schwierige Knochenprobe hat, bei der allein die Extraktion 2 Tage braucht und größtenteils manuell arbeitet, kann es auch locker 2-3 Tage dauern.
11. Frage: Wie sind Ergebnisse (oder wohl besser Versprechen) der genetischen Genealogie zu berurteilen, die von verschiedenen privaten Instituten angeboten werden?
Antwort: Das kommt auf die verwendeten Methoden und auf die versprochene Aussagegenauigkeit an. Man kann schon, z.B. durch Analyse des Y-Chromosoms und/oder der mitochondrialen DNA bestimmte, begrenzte Aussagen zur biogeographischen Genealogie und zu möglichen ethnischen Ursprüngen erhalten, indem man diese Befunde mit entspr. genealogischen Datenbanken/Haplotypensammlungen und dgl. vergleicht. Hier kann jeder, der seinen Y-Haplotypen kennt, z.B. auch selbst einmal nachschauen, zu welcher Population er passt. Noch genauere Ergebnisse erhält man natürlich, wenn Teile des oder gleich das gesamte Genom NGS-sequenziert wird.
Tests, die ausschließlich auf autosomalen (also nicht geschlechtsspezifischen) Markern beruhen, die angeblich “ancestry informative markers” (AIM) sind, sind hingegen mit Vorsicht zu genießen.
12. Frage: Welche Rolle spielt die Magnetresonanz-Bildgebung (MRI) in der Rechtsmedizin, was muss man sich darunter vorstellen, wann kommt sie zur Anwendung?
Antwort: MRI ist kein rechtsmedizinisches Standardverfahren. Jedes akkreditierte Institut sollte zwar in der Lage sein, einen Leichnam zu röntgen, um z.B. innere Verletzungen, Knochebrüche und dgl. schon vor der Obduktion erkennen zu können. Reiche Institute haben sogar ein eigenes CT – aber das ist es dann auch. Derartige bildgebende Verfahren können indes sehr nützlich sein und bei ganz bestimmten Fragestellungen sogar besser als die klassische Obduktion, die aber derzeit noch nicht zu ersetzen ist. Seit einiger Zeit gibt es jedoch das Verfahren der “Virtopsy“, die in der Tat auch mit MRI durchgeführt wird und genauso lange gibt es den Streit, ob die klassische Obduktion irgendwann durch ein solches virtuelles Verfahren ersetzt werden kann/sollte. Bei der Virtopsy wird der gesamte Leichnam einer computergesteuerten Untersuchung mittels CT, MRI, sowie einer optischen 3D-Oberflächenuntersuchung unterzogen. Als Vorteil der Virtopsy kann dabei gesehen werden, daß die Datenerfassung unabhängig von einer bestimmten Person und damit objektiver erfolgen kann und sich die erhobenen Befunde auch vollständiger und besser dokumentieren und speichern und damit vor Gericht darstellen lassen.
13. Frage: Was ist von der angeblichen Entlarvung Jack the Rippers im September 2014 zu halten?
Antwort: Vermutlich nicht viel. Für Details verweise ich auf einen eigenen Artikel dazu.
14. Frage: Wie lange kann man aus einer Blutprobe ein DNA-Profil erstellen?
Antwort: Das hängt wesentlich davon ab, wie die Blutprobe behandelt und gelagert worden ist. Aus getrocknetem Blut, z.B. Blutflecken auf Watte, das dunkel und nicht wärmer als bei Raumtemperatur (RT) gelagert wird, kann man auch nach Jahren und Jahrzehnten noch gute DNA-Profile gewinnen. Werden flüssige Blutproben gelagert, kommt es auf die Lagerungsbedingungen an. Hier gilt, je kälter, desto besser (RT < Kühlschrank < Tiefkühlschrank < -80°C- Tiefkühlschrank < flüssiger Stickstoff (-196°C)). Zusätze, wie EDTA, verhindern, daß das Blut gerinnt und haben einen geringen günstigen Einfluss auf die DNA-Qualität, indem die Aktivität von DNA-zerstörenden Enzymen reduziert wird. Dennoch nimmt die DNA-Qualität in flüssigem Blut bei RT recht schnell ab. Es gibt andere Substanzen (z.B. in PAXgene-Tubes), die speziell zur DNA-Stabilisation zugegeben werden können, womit sich auch bei RT die DNA bis zu 14 Tage lang hält.
Wenn das Blut hingegen noch flüssig/feucht ist und sich in einer faulenden Leiche befindet, können mikrobielle Zersetzungsprozesse die DNA in wenigen Tagen zerstören. Auch die DNA im Blut, das UV-Licht, z.B. von der Sonne, ausgesetzt ist, kann so stark zerstört sein, daß sie nicht mehr auswertbar ist.
15. Frage: Welche Aufgaben haben Forensiker, wenn sie zur Unterstützung nach Ereignissen mit massenhaftem Versterben herbeigerufen werden?
Antwort: Die Untersuchung sterblicher Überreste nach Katastrophen (z.B. Erdbeben, Tsunamis) und Massenmorden (wie z.B. in Srebrenica oder nach 9/11) fällt in den forensischen Spezialbereich, der als DVI (disaster victim identification) bezeichnet wird. Häufig sind die Verstorbenen nicht mehr visuell und manchmal nicht einmal mehr als menschlich zu erkennen, wenn eine erhebliche Zerstörungskraft freigesetzt wurde. Es werden dann abgetrennte Extremitäten, Gewebestücke, Teile innerer Organe, Knochen etc. gefunden, die, je nach Wetterlage und Art des Unglücks, bereits faulig oder verwest, insektenbesiedelt, skelettiert und/oder verbrannt oder verkohlt sind. Den DVI-Experten bieten sich regelmäßig wahrhaft alptraumhafte Szenarien. Aufgabe der DVIler ist es dann, alle zur Verfügung stehenden Methoden zur forensischen Identifizierung (Fingerabdrücke, Zahnstatus und natürlich DNA) einzusetzen, um nicht nur DNA-Profile der Verstorbenen zu erheben, sondern auch Leichenteile einander zuzuordnen, sowie die Abnahme und Bearbeitung von Vergleichsproben möglicher Angehöriger oder von diesen zur Verfügung gestellter persönlicher Gegenstände der Verstorbenen zu organisieren und koordinieren. Je nach Größe der Katastrophe und Anzahl der Opfer, die ja auch unterschiedlicher Nationalität sein können, ist eine enorme logistische und organisatorische Leistung erforderlich: Bergungs- und Rettungsarbeiten müssen abgeschlossen werden, es müssen nicht nur die Familien der Opfer benachrichtigt und deren Versorgung/Unterstützung gewährleistet, auch die DVI-Experten, die häufig aus mehreren Ländern herbeigeholt werden, müssen untergebracht, versorgt und die nötigen Arbeitsplätze und -materialien bereitgestellt werden. Dabei müssen internationale Standards und Vorschriften eingehalten und forensische Qualitätsansprüche erfüllt werden. Ein mögliche Sprachbarrieren überwindender Informationsaustausch muß ermöglicht und ggf. Unterstützung für das Land, in dem die Opfer gestorben sind organisiert werden, wenn dieses nicht über ausreichende Infrastruktur verfügt. Für einen DVI-Einsatz ist daher nicht nur eine geeignete und gefestigte charakterliche Konstitution sondern auch eine entsprechende Schulung sehr empfehlenswert.
16. Frage: Welche Einsatzmöglickeiten gibt es für die forensische RNA-Analytik?
Antwort: Sehr viele! Da sich die Messung differentiell exprimierter RNA, egal ob mRNA oder miRNA, grundsätzlich zur Erfassung von zellulären Zuständen und zur Verfolgung der Änderung von Zuständen eignet, lassen sich eine Menge ganz verschiedener forensisch bzw. rechtsmedizinisch relevanter Fragestellungen untersuchen. Ich nenne nur einige, über die ich bereits berichtet und/oder selbst geforscht habe, doch es gibt noch etliche andere: die Analyse von miRNA-Expression zur Identifikation von Spurenarten, die Bestimmung der Zeit seit der Deposition von Haaren, die Unterstützung der postmortalen Diagnostik des plötzlichen Kindstods und die Feststellung von Kopfschüssen durch Detektion hirnspezifischer miRNA im Backspatter im Inneren von Schußwaffen u.v.a.m. Wenn die DNA-Analyse die große Hauptklinge am Schweizer Armeemesser der forensischen Genetik ist, dann entspricht die RNA-Analyse vielen anderen sekundären Funktionen zusammen 🙂
17. Frage: Kann man feststellen, ob eine DNA enthaltende Spur im Verlauf einer Tat entstanden ist oder nachträglich gelegt wurde?
Antwort: Kommt drauf an. Um zum Beispiel eine arterielle Blutspritzspur so zu fälschen, daß ein Experte für “blood pattern analysis” (BPA) sie tatsächlich für echt und zum übrigen Spurenbild passend findet, muß man schon gewaltigen Aufwand treiben. Eine benutzte Zigarettenkippe nachträglich irgendwo zu deponieren, ist schon deutlich einfacher. Aber das gilt ja für jede Art von Indiz oder Beweis. Zeugenaussagen etwa sind notorisch unzuverlässig, Fingerabdrücke lassen sich leicht entfernen oder nachträglich anbringen, selbst Videoaufnahmen kann man fälschen und manipulieren.
Grundsätzlich kennt man in den forensischen Wissenschaften eine Interpretationshierarchie mit den drei Ebenen: Quellenebene, Aktivitätsebene, Schuldebene. Auf der Quellenebene wird beantwortet, von wem eine Spur stammt, es erfolgt also eine Quellenzuordnung, eine Individualisierung. Mehr als daß Spur X von Person Y stammt (oder eben nicht) wird in einem forensischen DNA-Gutachten selten drinstehen (Ausnahmen sind komplexe Gutachten zum Zustandekommen von Spuren nach/bei DNA-Transfer). Diese Behauptung läßt sich allerdings mit großer Sicherheit und Grundlage sehr solider wissenschaftlicher Erkenntnisse treffen. Zusammen mit anderen, etwa rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Erkenntnissen läßt sich manchmal bis zur Aktivitätsebene gelangen, indem eine Theorie zur Entstehung der Spur vorgelegt werden kann, die zwanglos mit allen verfügbaren Indizien vereinbar ist. Insbesondere die forensische RNA-Analytik, die, komplementär zur DNA-Analytik, die Kontextualisierung von Spuren ermöglichen kann, kann hier extrem hilfreich sein. Über die Schuld oder Unschuld eines Tatverdächtigen jedoch, also auf der Schuldebene, wird immer und ausschließlich ein Richter entscheiden, der sich dabei zu einem Teil (aber nicht vollständig und allein) auf forensisch-wissenschaftliche Beweise stützten darf.
18. Frage: Kann man das Alter einer Spur, bzw. des Tatverdächtigen zum Zeitpunkt der Tat bestimmen?
Antwort: Ja, beides. Die Verfahren werden noch nicht routinemäßig angewandt, aber möglich ist das allemal. Das Alter einer Spur läßt sich z.B. mittels RNA, durch die Messung differentieller RNA-Degradation bestimmen. Das Alter des Spurenlegers kann man epigenetisch über die Erfassung altersdifferentiell methylierter CpG-Inseln bestimmen. Hier ein paar Beispiele.
19. Frage: Kann man das Aussehen eines Tatverdächtigen anhand der DNA ermitteln und wird das in Deutschland gemacht?
Antwort: Ja, kann man (zumindest teilweise). Die Technik zur Ableitung äußerlich sichtbarer Merkmale aus der DNA wird als “forensische DNA-Phänotypisierung” (FDP) bezeichnet. Darüber gibt es hier einen eigenen Artikel und inzwischen darf FDP (eingeschränkt) sogar in Deutschland gemacht werden
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Seit Kurzem (Anfang 2017) gibt es eine sehr interessante, sehr gut gemachte Broschüre zur Forensischen Genetik (englischsprachig) des Euroforgen-Netzwerks: “Making Sense of Forensic Genetics – What can DNA tell you about a crime”
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