Dass Dinge nach unten fallen, ist uns ja ziemlich vertraut. Warum Dinge nach unten fallen, allerdings weniger. Meist sprechen wir von “Schwerkraft” – aber das ist die Sicht der klassischen Physik nach Newton.
In der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) betrachten wir ein fallendes Objekt als ein Objekt, auf das keine Kraft wirkt (so Dinge wie Luftwiderstand etc. vernachlässige ich natürlich), sondern das der “geradesten” Bahn in der Raumzeit folgt – genau das ist ja gemeint, wenn man sagt, dass die Raumzeit gekrümmt ist. Im normalen Raum ist die geradeste Bahn diejenige, bei der der Abstand zwischen zwei Punkten auf der Bahn minimal ist – in der Ebene ist das tatsächlich eine Gerade, auf einer Kugeloberfläche beispielsweise ein Großkreis wie der Äquator.
In der Raumzeit ist die Sache mit dem Abstand etwas anders: Zwei Punkte sind jetzt nicht einfach Punkte im Raum, sondern in der Raumzeit. Also beispielsweise “Jetzt und hier” oder “In einer Sekunde 5 Meter unter mir”. (Diese beiden Werte sind nicht ganz zufällig gewählt, wie ihr gleich sehen werdet.) Der kürzeste Weg zwischen diesen beiden Punkten (man sagt auch “Ereignisse”) ist jetzt ein Weg durch die Raumzeit, also beispielsweise der Weg, den ein Objekt in der Raumzeit zurücklegen könnte. Beispielsweise könnte ich einen Ball an eine Schnur binden und die gleichmäßig abrollen, so dass der Ball mit konstanter Geschwindigkeit (von 5 Meter pro Sekunde) vom ersten Ereignis zum zweiten kommt.
Die Größe des Raumzeitabstands zwischen zwei Ereignissen kann man berechnen. Eine Veranschaulichung dafür habe ich euch neulich schon erklärt, deshalb erkläre ich nicht im Detail wie das geht. Entscheidend ist hier nur Eins, nämlich dass in der ART die geradeste Verbindung zwischen zwei Ereignissen diejenige ist, bei der für ein Teilchen, das sich entlang dieser Verbindung bewegt, möglichst viel Zeit vergeht.
Wieso möglichst viel Zeit? Vergeht für den Ball, den ich da abwickle, nicht eine Sekunde, so wie für mich auch? Nein, in der Relativitätstheorie ist das nicht mehr so. Dafür gibt es gleich zwei Gründe: laut spezieller Relativitätstheorie vergeht die Zeit für den Ball um so langsamer, je schneller er sich bewegt. Der Effekt ist bei gewöhnlichen Geschwindigkeiten klein, aber er führt dazu, dass für den Ball beim Bewegen mit konstanter Geschwindigkeit von 5m/s etwas weniger als eine Sekunde vergeht, genau gesagt etwa 0,14 Femtosekunden weniger. Eine Femtosekunde ist eine Billiardstel Sekunde – sagte ich nicht, dass der Effekt klein ist?
Zusätzlich gibt es noch einen zweiten Effekt: Laut allgemeiner Relativitätstheorie vergeht die Zeit in größerer Höhe (weiter weg von der Erde) etwas schneller. Vergeht bei Null Meter Höhe eine Sekunde, dann sind es in 5 Metern Höhe ganze 0.55 Femtosekunden mehr.
Diese beiden Effekte zusammen sorgen jetzt dafür, dass ein fallender Ball mit zunehmender Geschwindigkeit fällt. Um zu sehen, wie das geht, nehmen wir vereinfachend an, dass der Ball die ersten 2,5 Meter mit konstanter Geschwindigkeit zurücklegt, ebenso die zweiten 2,5 Meter (mit einer anderen Geschwindigkeit). Wir haben jetzt ein Problem mit einer unbekannten Variablen: Nach welcher Zeit soll der Ball die Höhe von 2,5 Meter erreichen, um seine Eigenzeit zu maximieren? (Wenn der Ball nach z.B. 0.75 Sekunden die 2.5 Meter zurückgelegt hat, dann war seine Geschwindigkeit auf dem ersten Wegstück 3.33m/s, auf dem zweiten Wegstück muss er sich dann mit 10m/s – nämlich 2.5m in 0.25 s – aber ziemlich beeilen, um noch rechtzeitig unten anzukommen.)
Schauen wir erstmal auf den Effekt der Zeitdilatation in der SRT:
Aufegtragen habe ich, wie stark die Zeit, die für den Ball vergeht, von einer Sekunde abweicht, wen er die ersten 2,5 Meter in der Zeit zurücklegt, die auf der x-Achse steht. Nach diesem Effekt allein ist es am besten, wenn der Ball sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt – würde er ein Stück etwas langsamer zurücklegen, würde das zwar den Effekt der Zeitdilatation auf diesem Stück verringern, aber dafür müsste er sich dann auf dem anderen Stück um so mehr beeilen, was insgesamt ungünstiger ist. Ohne weitere Effekte ist die geradeste Verbindung zweier Ereignisse in der Raumzeit also eine Bahn mit konstanter Geschwindigkeit. Deswegen bewegen sich kräftefreie Objekte auch mit konstanter Geschwindigkeit, so wie das Newtonsche Gesetz Nummer I es sagt.
Es sei denn natürlich, dass die Raumzeit gekrümmt ist. Den Effekt der Zeitdilatation durch die Höhe seht ihr in diesem Bild:
Auch hier ist auf der x-Achse wieder aufgetragen wann der Ball die ersten 2,5 Meter passiert hat. Wenn es nur diesen Effekt gäbe, dann wäre es für den Ball natürlich am besten, auf dem ersten Stück möglichst langsam unterwegs zu sein, weil er da weiter oben ist, wo die Zeit schneller läuft.
Da es aber beide Effekte gibt, müssen wir die beiden Kurven addieren. Dabei kommt das hier heraus:
Das Maximum liegt bei 0.686 Sekunden. Der Ball sollte also auf dem ersten Stück etwas langsamer sein, auf dem zweiten etwas schneller, so dass sich ein Kompromiss aus den beiden Effekten ergibt.
Die Weltlinie, die unser Ball beschreibt (in der wir also Höhe gegen Zeit auftragen) sieht dann so aus:
Sieht nicht ganz so aus wie die wirkliche Bewegung eines Balles, oder? Der fällt ja nicht mit stückweise konstanter Geschwindigkeit.
Allerdings war unsere Annahme, dass wir zwei Stücke mit konstanter Geschwindigkeit haben, natürlich sehr grob. Vielleicht sollten wir besser drei Stücke mit jeweils konstanter Geschwindigkeit nehmen? Dann kommt das hier dabei heraus:
Oder wie wäre es mit 5 Stücken?
Und wenn wir gar 25 Stücke nehmen, dann bekommen wir eine Bahn, die der tatsächlichen (ebenfalls eingezeichnet) schon sehr nahe kommt:
Es ergibt sich also die parabelförmige Kurve, die ihr vermutlich mal im Physikunterricht kennengelernt habt. Damals hat man euch aber etwas von “Schwerkraft” und “Beschleunigung” erzählt – tatsächlich folgt der Ball aber einfach der Linie mit der maximalen Eigenzeit im Raum, weil das die geradeste Linie ist, die es gibt.
PS: Nebenbei zeigt diese Rechnung mal wieder, dass das von vielen so geliebte Gummituchmodell Quatsch ist: Dort ist ja der Raum gekrümmt – aber die Raumkrümmung ist für frei fallende Teilchen im “Schwerefeld” der Erde ziemlich irrelevant, die wird nur relevant, wenn sich Objekte mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegen oder wenn die Raumkrümmung sehr groß wird, wie z.B. bei schwarzen Löchern.
PPS: Die notwendigen Formeln zum Berechnen der Effekte findet ihr am Ende dieses Artikels; die Optimierung habe ich mit einem kleinen Pythonprogramm (mit einem Nelder-Mead-Simplex-Algorithmus, den hatte ich eh gerade bei der Arbeit gebraucht) gemacht. Falls jemand das (grueselig zusammengehackte) Programm haben will, schickt mir ne mail…
PPPS: Auf Wunsch habe ich das Ganze jetzt bei github hochgeladen:
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