Ich habe in der Vergangenheit schon öfter über den EmDrive berichtet; ein Antriebssystem das von einigen Ingenieuren der NASA entwickelt worden ist. Es braucht keinen Treibstoff und scheint entgegen den bekannten Naturgesetzen zu funktionieren. Ich war in meinen früheren Berichten immer sehr skeptisch was die Aussagen der Raumfahrtwissenschaftler angeht bzw. war ich hauptsächlich skeptisch gegenüber den teilweise sehr gehypten Meldungen darüber in diversen Medien. Jetzt macht der EmDrive wieder Schlagzeilen.
“It is now official, the propellantless engine known as EmDrive seems to actually work.”
Das kann man zum Beispiel bei IFLScience lesen und auch anderswo – vor allem in den sozialen Medien – ist man begeistert. Der EmDrive funktioniert und zwar jetzt “offiziell”. Allerdings fliegt noch kein Raumschiff ohne Treibstoff durchs Sonnensystem; sind keine neuen Prototypen gebaut oder ist sonst etwas in der Art passiert. Was tatsächlich neu ist: Die beteiligten Wissenschaftler haben ihre Forschung in der Fachzeitschrift “Journal of Propulsion and Power” publiziert und zwar unter dem Titel “Measurement of Impulsive Thrust from a Closed Radio-Frequency Cavity in Vacuum”.
Ja, es ist wichtig und ein wichtiger Schritt dass die Forschung über den EmDrive nicht mehr nur in irgendwelchen Internetforen oder internen papers veröffentlicht wird sondern in einer echten wissenschaftlichen Zeitschrift. Und zwar in einer Zeitschrift, bei der jeder Beitrag vor der Publikation von Fachleuten begutachtet wird. Dieses “Peer-Review-Verfahren” ist einer der wichtigsten Schritte in der wissenschaftlichen Qualitätssicherung. Aber eine peer-reviewte Publikation in einer Fachzeitschrift bedeutet ganz explizit nicht, dass der Inhalt so einer Publikation über jeden Zweifel erhaben und definitiv richtig ist!
Nur weil Harold White und seine Kollegen ihre Forschungsarbeit über den EmDrive aufgeschrieben und veröffentlicht haben folgt daraus nicht, dass ein treibstoffloser und den bekannten Naturgesetzen widersprechenden Antrieb tatsächlich existiert. Aber es bedeutet, dass man nun ernsthaft und seriös über dieses Thema diskutieren kann! Der Peer-Review-Prozess hat in diesem Fall vorerst “nur” festgestellt, dass die Forscher sich bei den im Artikel beschriebenen Methoden an die Regeln der wissenschaftlichen Arbeit gehalten haben. Dass keine Rechenfehler gemacht worden sind; keine methodischen Mängel vorliegen, und so weiter. Zumindest war das die Meinung der Fachleute die während der Begutachtung zu diesem Urteil gekommen sind.
Der Peer-Review-Prozess ist wichtig, aber nicht unfehlbar. Es kann immer vorkommen, dass sich die Gutachter irren oder etwas übersehen. Sie sind keine allwissenden Gurus, sondern ganz normale Menschen (die für die Arbeit als Gutachter übrigens auch nicht bezahlt werden sondern sie neben ihrer normalen wissenschaftlichen Arbeit durchführen und sich mal mehr und mal weniger Mühe dabei geben). Und selbst wenn sie nach bestem Wissen und Gewissen begutachtet haben, haben sie nur festgestellt, dass die Forschung so seriös wie möglich dokumentiert und publiziert worden ist. Dass der Effekt, den Harold White und seine Kollegen gemessen haben, aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich vorhanden ist.
Aber über die Ursache dieses Effekts sagt auch ein positives Peer-Review-Verfahren nichts verbindliches aus! Die Ausgangssituation ist immer noch so kritisch wie zuvor. Der EmDrive ist ja nichts anderes als ein Hohlraum, in dem Mikrowellen hin und her reflektiert werden. Mit so einem System eine Schubkraft zu produzieren wäre ebenso unwahrscheinlich wie ein Auto zum Rollen zu kriegen, in dem man von Innen fest gegen das Lenkrad drückt… Natürlich kann man nicht ausschließen, dass hier irgendwelche noch unentdeckten (Quanten)Effekte am Werk sind. Aber ebensowenig kann man ausschließen, dass ein noch nicht berücksichtigter Fehler oder Effekt beim Versuchsaufbau für das Ergebnis verantwortlich ist und die scheinbare Schubkraft verschwindet, wenn dieser Fehler korrigiert wird.
Genau deswegen ist die Publikation des Fachartikels auch so wichtig. Denn jetzt können andere Forscher die Methoden, Daten und Ergebnisse zum EmDrive genau analysieren. Und dabei vielleicht Sachen entdecken, die den Ingenieuren entgangen sind. Zumindest theoretisch: Denn auch der neue Forschungsartikel scheint nicht so vollständig zu sein wie es dafür nötig wäre. Der Physiker Chris Lee ist beispielsweise nicht sehr begeistert und schreibt in einem Artikel darüber:
“In the end, we can’t conclude that this is a null result, nor can we excitedly say that it works. The sad truth is that this paper is not much better than the researchers’ last one, and it doesn’t actually have enough detail to let us fully evaluate the data. Nor does the paper have enough data to allow a conclusion in the absence of a model. And despite mention of a model in the paper, any model that exists is very well hidden.”
Am Ende bleibt uns nichts weiter übrig, als abzuwarten. Abgesehen davon, dass der Effekt – selbst wenn er existiert – nur sehr klein ist und schon allein deswegen so schnell nicht die existierenden Antriebssysteme ersetzen kann, ist es eben ein Effekt der allem widerspricht was wir bis jetzt über die Physik wissen. Das ist kein Grund, von seiner Nicht-Existenz auszugehen; immerhin existiert die Wissenschaft ja gerade, um wirklich neue Erkenntnisse zu gewinnen. Aber je außergewöhnlicher ein Ergebnis ist und je mehr es dem etablierten und bestätigten Wissen widerspricht, desto besser und stärker müssen die Belege für seine Existenz sein damit man es wirklich ernst nehmen kann. Das ist beim EmDrive momentan nicht der Fall. Aber zumindest ist die Sache interessant und seriös genug, um weiter darüber forschen zu können. Und das wird mit Sicherheit auch passieren.
Früher oder später werden wir Bescheid wissen. Wenn irgendwann einmal tatsächlich Satelliten oder Raumfahrzeuge mit dem treibstofflosen EmDrive durch die Gegend fliegen, ist immer noch Zeit “It is now official!” zu rufen. Die Publikation einer Forschungsarbeit reicht dafür allerdings nicht aus.
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