In der Wissenschaftsberichterstattung machen gerade wieder Geschichten über das Multiversum die Runde. Angeblich hätte man nun einen “Beweis” oder zumindest einen “Hinweis” darauf gefunden, dass unser Universum nicht allein ist sondern nur eines von vielen Universen (siehe zum Beispiel hier (WebCite) oder hier, WebCite). Wir würden in einem “Multiversum” leben und neue Beobachtungsdaten sollen das belegen.
Dabei geht es in der wissenschaftlichen Arbeit die all dem zugrunde liegt eigentlich um etwas ganz anderes. Es geht um die Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung und den sogenannten “kalten Fleck”. Die Bezeichnungen sind eigentlich selbsterklärend: Bei der kosmischen Hintergrundstrahlung handelt es sich um Strahlung die den gesamten Hintergrund des Kosmos erfüllt. Und der kalte Fleck ist ein Fleck im Universum an dem es kalt ist. Aber auch wenn das richtig ist hat man dadurch den eigentlichen Punkt noch lange nicht verstanden, weswegen ich doch ein wenig weiter ausholen möchte.
Die kosmische Hintergrundstrahlung ist das älteste Licht das im Universum existiert. 400.000 Jahre nach dem Urknall, vor 13,8 Milliarden Jahren, war das junge Universum weit genug abgekühlt so dass sich all die freien Elektronen an die Atomkerne binden konnten. Jetzt konnte sich erstmals das Licht im Kosmos ausbreiten; zuvor sind die Lichtteilchen immer von den freien Elektronen absorbiert und an ihnen gestreut wurden. Die Strahlung breitete sich aus und ein Teil davon schwirrt heute immer noch durchs All. Da es sich um das älteste Licht handelt ist es auch unsere beste Quelle um mehr über das junge Universum zu erfahren – ich habe hier sehr ausführlich erklärt wie und was man daraus lernen kann.
Das Licht der kosmischen Hintergrundstrahlung erreicht uns von jedem Punkt des Himmels; es hat aber nicht immer exakt die gleichen Eigenschaften. Es ist generell sehr kalt und hat eine Temperatur die nur minimal über dem absoluten Nullpunkt liegt. Aber manchmal ist die kosmische Hintergrundstrahlung ein wenig wärmer und manchmal ein wenig kälter als der Durchschnitt. Das liegt daran das die Materie im frühen Universum nicht absolut gleichmäßig verteilt war. In manchen Regionen gab es ein bisschen mehr; in manchen ein bisschen weniger. Diese “Klumpen” waren wichtig denn sie übten eine stärkere Gravitationskraft auf ihre Umgebung aus und das führte dazu dass sich die ersten Strukturen und daraus später die ersten Sterne und Galaxien im Universum bildeten. Gravitation beeinflusst aber auch das Licht und führt so zu der Variation der Hintergrundstrahlung.
Es ist also nicht überraschend, dass man in der Hintergrundstrahlung kalte (und warme) Flecken findet. Das war zu erwarten und als man sie in den 1990er Jahren das erste Mal entdeckte wurde diese Tatsache auch mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. Es war genau das was das Standardmodell der Urknall-Kosmologie vorhergesagt hat. Und bis heute stimmen die Vorhersagen der Theorie über die Variationen der Temperatur der kosmischen Hintergrundstrahlung fast exakt mit den Messungen überein.
Aber eben nur fast! 2004 entdeckte man eine Region die heute als “cold spot” (“kalter Fleck”) bekannt ist. Sie nimmt am Himmel ungefähr 5 Grad ein (ist also circa 10 mal so groß wie der Vollmond) und 0.00015 Grad kälter als ihre Umgebung. Das ist nicht viel aber mehr als zu erwarten wäre.
Die bis jetzt favorisierte Erklärung für die Existenz des kalten Flecks hatte mit sogenannten “Voids” zu tun. Das sind Regionen im Universum in denen sich nichts befindet. Beziehungsweise weniger als sonst irgendwo. Im Kosmos sind die Galaxien ja in Galaxienhaufen angeordnet und diese Haufen in langen “fadenartigen” Strukturen, den Filamenten. Zwischen den Filamenten ist nichts – das sind die Voids (siehe dazu hier und hier). Die Voids haben jetzt erst mal nichts mit der kosmischen Hintergrundstrahlung zu tun. Aber die Hintergrundstrahlung gibt es schon sehr, sehr lange. Wenn sie uns heute erreicht, dann war sie 13,8 Milliarden Jahre unterwegs und hat in der Zeit sehr viel erlebt. Sie ist durchs Universum gereist und dabei an Galaxien vorbeigeflogen – und hat vielleicht auch Voids durchquert.
Seit Albert Einstein wissen wir, dass Licht von Gravitation beeinflusst wird: Es verliert Energie, wird also rötlicher, wenn es sich durch ein starkes Gravitationsfeld bewegt und kann diese Energie wieder zurück gewinnen, wenn es das Gravitationsfeld verlässt. In etwa so wie man Energie aufwenden muss wenn man mit dem Rad einen Hügel hinauf fährt, dann aber wieder Schwung und Energie gewinnt wenn man hinunter rollt. In einem statischen Universum gleicht sich das aus, unser Universum aber expandiert. Der “Hügel” wird in dem Fall also gestreckt während das Licht unterwegs ist und der Weg nach “oben” ist kürzer als der Weg nach “unten”. Und umgekehrt geht das ganze genau so, nur das es hier jetzt ein “Loch” ist bei dem der Weg hinein kürzer als der Weg hinaus ist. Die “Hügel” sind in der Kosmologie große Ansammlungen von Materie; die “Löcher” sind die Voids. Licht das Voids durchquert hat danach also ein bisschen weniger Energie als vorher – und die Temperatur ist geringer.
Das nennt man den “Sachs-Wolfe-Effekt” und ich habe das alles vor zwei Jahren schon mal ausführlich erklärt, denn damals haben Wissenschaftler eine Arbeit veröffentlicht um mit genau diesem Effekt die Existenz des kalten Flecks zu erklären. Sie gingen davon aus, dass der kalte Fleck uns eine Region am Himmel zeigt, in der sich weniger Materie befindet als anderswo weswegen die kosmische Hintergrundstrahlung dort kälter ist.
Und jetzt sind wir endlich wieder in der Gegenwart und beim Multiversum angelangt. Denn Ruari Mackenzie von der Universität Durham und seine Kollegen haben sich die Sache jetzt nochmal genauer angesehen (“Evidence against a supervoid causing the CMB Cold Spot”). Sie haben fast 7000 Galaxien vermessen die sich in Blickrichtung des kalten Flecks befinden und das mit Galaxien in einem anderen “normalen” Teil des Himmels verglichen. Ihr Resultat: Die Verteilung ist nicht sonderlich unterschiedlich. Das Licht aus Richtung des kalten Flecks hat zwar einige Voids durchquert aber wenn man diese Effekte aufsummiert, dann reicht es nicht um die niedrige Temperatur des kalten Flecks zu erklären.
Außerdem sind sie auch noch zu dem Schluss gekommen, dass der kalte Fleck höchstwahrscheinlich keine zufällige Schwankung in der Temperatur der Hintergrundstrahlung ist. Die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt nur 2 Prozent.
Mackenzie und seine Kollegen schließen daraus dass Voids und der Sachs-Wolfe-Effekt nicht als Erklärung für den kalten Fleck dienen können. Stattdessen muss seine Existenz tatsächlich etwas mit den Bedingungen in der Frühzeit des Universums zu tun haben. Der kalte Fleck ist kein Result dessen was das Licht seit damals auf seiner Reise zu uns erlebt hat. Es ist nicht erst unterwegs kalt geworden – sondern war es von Anfang an.
Aber was genau nun der Grund dafür ist, das wissen auch Mackenzie und seine Kollegen nicht. Und die Widerlegung der bisherigen Erklärung bedeutet auch ganz explizit nicht, dass der kalte Fleck ein Beweis für das Multiversum ist! Das könnte eine Erklärung sein: Wenn es mehr als ein Universum gibt, dann könnten sich unser Kosmos und ein anderer nach ihrer gemeinsamen Entstehung noch kurzfristig gegenseitig beeinflusst haben (zum Beispiel durch ihre Gravitationskraft) und dabei den kalten Fleck erzeugt haben. Aber wie gesagt: Das ist EINE von vielen Erklärungen und noch dazu eine der etwas exotischeren. Aber natürlich auch eine die maximal spektakulär wäre und auf jeden Fall für Schlagzeilen gut ist. Besonders dann, wenn die Astronomen sie auch noch extra in ihrer Pressemitteilung herausstellen.
In der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit sind die Astronomen deutlich zurückhaltender:
“Man darf nicht vergessen dass der kalte Fleck auch ohne eine Supervoid immer noch durch statistische Fluktuationen und das Standardmodell der Kosmologie erklärt werden kann.”
schreiben Mackenzie und seine Kollegen dort am Ende. Allerdings! Denn die 2% die ich auch oben erwähnt habe bedeuten ja: Würde man 50 Mal ein Universum so entstehen lassen wie es das Standardmodell der Kosmologie beschreibt, dann hätte eines davon einen kalten Fleck so wie wir ihn beobachten. Eine Chance von 1:50 ist jetzt nicht sooo enorm unwahrscheinlich.
Aber natürlich ist es auch richtig, dass man die Multiversums-Hypothesen als Erklärung heranziehen kann. Ich persönlich habe im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern kein prinzipielles Problem mit dem Multiversum (über das ich übrigens hier sehr viel mehr geschrieben habe). Aber aus der Widerlegung einer Hypothese zur Erklärung des kalten Flecks folgt eben nicht die Gültigkeit einer anderen und noch dazu enorm exotischen Hypothese. So spannend das auch wäre…
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