Um mangelnde intellektuelle und wissenschaftliche Standards in den Geistes- und Sozialwissenschaften einerseits zu demonstrieren und andererseits vorzuführen, schrieb vor knapp 20 Jahren der Physiker Alan Sokal einen sprachlich hochkomplexen, inhaltlich aber schwachsinnigen Aufsatz, in dem er die Quantengravitation als soziales Konstrukt deutete und in den er eigens grobe logische Schnitzer eingebaut hatte, und reichte ihn bei der begutachteten Fachzeitschrift Social Text ein. Dort wurde er tatsächlich veröffentlicht, was nicht nur Hohn und Spott vieler Wissenschaftler sondern auch eine Debatte über unzureichende intellektuelle Stringenz und wissenschaftliche Redlichkeit in den Geistes- und Sozialwissenschaften hervorbrachte.
Seit einiger Zeit wird die Genderforschung als neuere Blüte im Strauß der Geistes- und Sozialwissenschaften kontrovers in Hinsicht auf ihre wissenschaftliche Haltbarkeit und Berechtigung diskutiert. Leider hat diese Debatte häufig eine mehr oder weniger starke ideologische Schlagseite, da bestimmte Teilnehmer derselben in einen Interessenskonflikt zwischen dem, was sie für einen wünschenswerten (weil mit ihrer Ideologie konformen) Ausgang der Debatte halten und dem, was tatsächlich belegbar ist, geraten. Vor ein paar Monaten schrieb ich dazu:
“Ich befinde mich derzeit noch im labilen Zustand der Meinungsbildung hinsichtlich der Genderforschung, tendiere aber momentan zu der Einschätzung, daß zumindest einige der in diesem Feld vertretenen Thesen einer wissenschaftlich haltbaren Grundlage entbehren und eher einen ideologiekonformen post-hoc-angepassten Charakter besitzen.“
Ein sokalesker Streich, den kürzlich zwei Autoren, der Philosoph P. Boghossian (dessen Vorträge und Bücher ich empfehlen kann, hier im Gespräch mit D. Rubin) und der Mathematiker J. Lindsay der begutachteten soziologischen Fachzeitschrift „Cogent Social Sciences“ [1] im Speziellen und den Exponenten der Genderforschung im Allgemeinen gespielt haben, ist nicht dazu geeignet, meine Meinung von der Wissenschaftlichkeit der Genderforschung zu verbessern. (Alle Details zum Streich und die Erklärungen der beiden Autoren dazu finden sich hier und hier ist der Artikel.)
Die beiden verfassten unter den noms de plume Peter Boyle und Jamie Lindsay, mit denen sie sich als Wissenschaftler der frei erfundenen Southeast Independent Social Research Group ausgaben, einen völlig absurden, nachgerade albernen Artikel mit dem Titel „The conceptual penis as a social construct“ (Ü: Der konzeptionelle Penis als soziales Konstrukt) voller haarsträubender Formulierungen und Behauptungen, der nach seiner offenbar günstigen Begutachtung tatsächlich zur Veröffentlichung angenommen wurde und das, obwohl die Autoren ihn auf eine Weise verfaßt hatten, die geeignet war, eine Publikation als besonders unwahrscheinlich erscheinen zu lassen. Wie unwahrscheinlich, mag man gleich am ersten Satz von mehr als 3000 Worten ablesen, der so geht:
The androcentric scientific and meta-scientific evidence that the penis is the male reproductive organ is considered overwhelming and largely uncontroversial.
Ü: Die androzentrischen wissenschaftlichen und meta-wissenschaftlichen Belege dafür, daß der Penis das männliche Fortpflanzungsorgan ist, werden als überwältigend und größtenteils nonkontrovers angesehen.
Die Autoren erklären dazu, daß sie ihren Aufsatze im Stil der poststrukturalistisch-diskursiven Gendertheorie geschrieben haben, von der sie absolut keine Ahnung haben, und daß das Hauptargument des Artikels sei, daß
der Penis in Gegenüberstellung zu Männlichkeit ein inkohärentes Konstrukt sei. Wir argumentieren, daß der Penis als Konzept besser als gender-performatives, hochgradig fluides soziales Konstrukt denn als anatomisches Organ zu verstehen sei.
Sie haben, offenbar berechtigterweise, angenommen, daß der Artikel schon veröffentlicht würde, solange er nur die Kernaussage vermittle, daß Männlichkeit intrinsisch böse ist auch, wenn er dabei völlig ohne Fakten und jeglichen Verweis auf anerkannte Experten im Feld auskommt:
Der Aufsatz sollte lächerlich sein, indem wir darin argumentieren, daß man sich Penisse nicht als männliche Geschlechtsorgane sondern vielmehr als schädliche soziale Konstrukte vorzustellen habe. Wir haben nicht ‘mal versucht, herauszufinden, was „poststrukturalistisch-diskursive Gendertheorie“ überhaupt ist. Wir nahmen einfach an, daß, wenn wir unsere moralische Implikation (= Männlichkeit ist intrinsisch böse und der Penis ist irgendwie die Wurzel dieses Bösen) nur deutlich genug machen, es gelingen würde, den Artikel in einem respektablen Journal zu veröffentlichen. […] Nachdem wir den Artikel fertiggestellt hatten, haben wir ihn noch mal sorgfältig gelesen, um sicher zu sein, daß auch wirklich nichts sinnvolles drinsteht und da am Ende keiner von uns beiden mehr sagen konnte, worum es darin eigentlich geht, sahen wir das ganze als Erfolg an. (Ü: CC)
Hier ein paar großartige Auszüge aus dem Paper, die belegen, wie lächerlich es ist und, davon bin ich überzeugt, wieviel Spaß die beiden dabei gehabt haben müssen, sich das auszudenken 🙂
Wir kommen zu dem Schluß, daß Penisse nicht als männliches Geschlechts- oder Fortpflanzungsorgan aufzufassen sind, sondern statt dessen als ein ausagiertes soziales Konstrukt, das schädlich und problematisch für die Gesellschaft und zukünftige Generationen ist. Der konzeptionelle Penis stellt ein bedeutendes Problem für die Genderidentität und die reproduktive Identität in der sozialen und familiären Dynamik dar, ist exklusorisch gegenüber entrechteten Gemeinschaften, die sich auf reproduktive Identität gründen, ist eine nie versiegende Quelle des Mißbrauchs von Frauen und anderen gendermarginalisierten Gruppen und Individuen und er ist der performative Ursprung der Vergewaltigung sowie die konzeptionelle Triebfeder für einen Großteil des Klimawandels. (Ü: CC)
Ja, sie haben tatsächlich den Klimawandel ins Spiel gebracht. Könnt Ihr noch?
Nirgends zeigen sich die Konsequenzen der hypermaskulinen machistisch-angeberischen isomorphen Identifikation (im Original: „hypermasculine machismo braggadocio isomorphic identification“ :D) mit dem konzeptionellen Penis auf problematischere Weise, als beim Thema Klimawandel. Der Klimawandel wird durch nichts stärker vorangetrieben als durch bestimmte schädliche Themata der Hypermaskulinität, die sich am besten vermittels der dominanten, raubgierigen Annäherung an den Klimawandel, die mit dem konzeptionellen Penis identifizierbar sind, verstehen lassen. Unser Planet strebt rapide der viel beschworenen 2°C-Grenze im Klimawandel zu und vor dem Hintergrund der patriarchalischen Machtdynamik, welche die gegenwärtigen kapitalistischen Strukturen bewahrt, besonders hinsichtlich der Fossile-Brennstoff-Industrie, wird die Verbindung zwischen hypermaskuliner Dominanz im wissenschaftlichen, politischen und ökonomischen Diskurs und dem irreparablen Schaden an unserem Ökosystem offensichtlich. (Ü: CC)
Und ja, es geht noch ’ne Schippe mehr:
Destruktive, unnachhaltige, hegemoniale männliche Ansätze bei dringlichen Strategien und Aktionen zum Umweltschutz sind die vorhersehbaren Ergebnisse der Vergewaltigernatur einer männlich dominierten Geisteshaltung. Diese Geisteshaltung läßt sich am besten einfangen, wenn man sich der Rolle des konzeptionellen Penis’ für die maskuline Psychologie vergegenwärtigt. Angewandt auf unsere natürliche Umgebung, speziell jungfräuliche Umgebungen, die, um an ihre materiellen Ressourcen zu gelangen, für billig ausgeplündert werden können und dann verwahrlost und verarmt zurückgelassen werden, wenn unser patriarchalischer Drang zu ökonomischer Bereicherung sie ihres inhärenten Werts beraubt hat, offenbart sich die Extrapolation der Vergewaltigungskultur, die im konzeptionellen Penis inhärent ist, ganz deutlich. Bestenfalls ist der Klimawandel ein genuines Beispiel der hyperpatriarchalischen Gesellschaft, ein metaphorisches Menspreading ins globale Ökosystem. (Ü: CC)
Daß dieser groteske Aufsatz tatsächlich in einer begutachteten Fachzeitschrift veröffentlicht wurde, ist natürlich verheerend und zugleich in höchstem Maße entlarvend. Nicht nur, daß entweder eine echte Kontrolle auf Wissenschaftlichkeit, innere Kohärenz und Logik und einen halbwegs nachvollziehbaren Bezug auf existierende Literatur unterblieben ist oder schlicht versagt hat, die Begebenheit zeigt auch, daß die von der Zeitschrift rekrutierten GutachterInnen, die ja in aller Regel im selben Feld arbeiten und es auf eine Weise auch repräsentieren sollten, offenbar kein Problem mit der offenkundig misandrischen Einfärbung des Artikels hatten.
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