Manchmal schaff’ ich es einfach nicht, das Maul zu halten – selbst wenn ich lange mit mir darum ringe. Wie zum Beispiel beim Thema des “konzeptionellen Penis”, der sowohl bei Joseph Kuhns Gesundheits-Check als auch bei Cornelius Courts in BlooD’N’Acid lange Kommentarstränge produziert. Details mögt Ihr bitte dort nachlesen. Doch obwohl ich mich da raushalten wollte, platzt es nun aus mir raus: Ich habe mich selten so fremdgeschämt (tolles Wort, so etwas könnte man im Englischen auch gebrauchen) wie aus diesem Anlass. Aber nicht etwa für die dabei scheinbar “bloßgestellten” Gender-Studien; auch nicht für das dabei blamierte Bezahl-Journal Cogent Social Sciences, das sich zwar für diese Peinlichkeit entschuldigt/verteidigt, aber sowieso als Bezahl-Journal nicht allzu viel Ehre zu verlieren hat (das ist meine persönliche Ansicht, die ich hier schon mal umrissen hatte).
Nein, fremdgeschämt habe ich mich zuallererst (und tue es immer noch) für die Autoren dieses fingierten Papers, Peter Boghossian und James A. Lindsay, ersterer ein Philosophie-Assistenzprofessor an der Portland State University in Oregon, letzterer ein Autor mit (nach eigenen Angaben) einem wissenschaftlichen Hintergrund in Physik und einem Doktortitel in Mathematik. Beide sind aktive Atheisten (das erwähne ich deshalb, weil es sowohl Boghossian als auch Lindsay sehr wichtig zu sein scheint). Mit den Prinzipien des wissenschaftlichen Arbeitens sollten beide also sehr gut vertraut sein.
Und was gibt’s da zu schämen? Allerlei. Fangen wir damit an, dass sie aus irgend einem Grund den Drang verspürten, eine ihnen nicht unbedingt vertraute akademische Disziplin, in diesem Fall die “Gender Studies”, auf ihre Wissenschaftlichkeit zu testen. Und um dieses zu tun, statuieren sie ein Exempel, das eher offenlegt, wie wenig sie selbst von Wissenschaftlichkeit halten. Anstatt publizierte Aufsätze in dem Feld zu analysieren (kann man sicher machen – macht aber Mühe), verfassten sie einen absurden und ihrer Meinung nach völlig sinnleeren Text – dessen “Sinnleere” aber dadurch definiert wird, dass er das Vokabular und vermutlich auch logisch-argumentative Konstruktionen der Gender-Studien nachäfft. Das ist eine zirkuläre “Definition” und als solche schon peinlich genug.
Aber es geht weiter: Diesen Aufsatz reichen sie dann zur Veröffentlichung bei einem Fachjournal ein – wo er prompt abgelehnt wird. Übersetzen wir das mal ins Vokabular eines wissenschaftlichen Versuchs: Sie produzieren ein Experiment mit n = 1; es gibt allein im Zeitschriften-Katalog des Massachusetts Institute of Technology – einer primär technischen Hochschule!,wo ich arbeite und daher leichten Zugriff habe, runde 60 Publikationen mit dem Wort “Gender” im Titel. Ein größeres n wäre also ganz leicht realisierbar gewesen.
Doch die erkorene Publikation lehnt ab – das Experiment wäre daher bestenfalls als gescheitert zu bezeichnen, man könnte aber sogar sagen, die Hypothese, dass man in den Gender-Studien jeden Scheiß veröffentlichen kann, wurde zu 100 Prozent widerlegt. Dass Boghossian und Lindsay diese Studien dann mit einem zweiten Journal wiederholen, ist im Kern nichts anderes als “p-Hacking” – der Versuch wird so lange wiederholt, bis man das gewünschte Resultat hat. In diesem Fall ist es aber nicht mal das echte Resultat, sondern es wird durch den Umstand kontaminiert, dass dieser Test mit einem Bezahl-Journal durchgeführt wird.
Doch selbst wenn dieser “Versuch” mit größerem n und ohne die verzerrende Payola-Komponente gelaufen wäre – die Hypothese, dass Gender-Studien unwissenschaftlichen Unsinn produzieren, bewiese das dennoch nicht. Dazu müsste schon der Korpus dessen, was bereits veröffentlicht wurde, analysiert werden. Denn Unsinn wird in praktisch allen Disziplinen veröffentlicht (erinnert sich noch jemand an die überlichtschnellen Neutrinos?) Ein besonders schönes Beispiel hierfür wäre der Beitrag Get me off Your Fucking Mailing List, der praktisch nur aus diesen permanent wiederholten sieben Worten besteht – und dennoch, mit dem Reviewer-Prädikat “exzellent”, im International Journal of Advanced Computer Technology veröffentlicht wurde. Sind deswegen alle Paper zur Computertechnologie Unsinn? Ist diese Fragestellung selbst nicht offensichtlicher Unsinn?
Aber ich schäme mich nicht primär ob dieser groben Schnitzer in Design und Logik ihres “Experiments” für Boghossian und Lindsay – sondern dafür, dass sie trotz dieser offensichtlichen Peinlichkeiten offenbar stolz auf ihren “Streich” sind. Und ich schäme mich auch für all jene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ebenso wie wissenschaftlich Begeisterte, die diesem Streich Lob und Beifall zollen. Denn offensichtlich haben sie ihre eigenen Maßstäbe für wissenschaftliche und argumentative Stringenz allzu leichtgläubig und bereitwillig in den Dreck getreten, weil es – eine andere Erklärung fiele mir nicht ein – ihre Vorurteile gegen Gender-Studien speziell, oft aber auch gegen Sozial- und Geisteswissenschaften ganz generell bestätigt.
Denn das lese ich auch in Kommentaren hier immer wieder: dass nur die Naturwissenschaften “echte” Wissenschaften seien, während die Sozial- und Geistesdisziplinen als “weiche” oder kategorisch sogar als nicht-Wissenschaften abgeurteilt werden. Warum eigentlich? Weil (Natur-)Wissenschaften stringenter sind, weil ihre Resultate irgendwie “härter” sind? Wer das behauptet, begeht gleich zwei Fehler: Erstens redet er/sie von etwas, das er/sie offenbar gar nicht durchschaut – nur weil sie ihre Experimente und Beobachtungen nicht in einem Labor machen können, bedeutet das nicht, dass Politik- oder Sozialwissenschaftler keine “harten” Daten erheben können und keine Ahnung davon haben, wie man diese Daten korrekt auswertet und bearbeitet. Der Beweis müsste erst einmal erbracht werden. Aber, so höre ich manchmal, die naturwissenschaftlichen Experimente seien denen der Humanwissenschaftler eindeutig darin überlegen, dass sie kontrollierbar und jederzeit wiederholbar seien. Hmmm… wer so argumentiert, hat offenbar noch nichts von der Replication Crisis gehört: Wie nature vor einem Jahr offenlegte, haben 70 Prozent von 1500 befragten NaturwissenschaftlerInnen Probleme damit, die Resultate anderer ForscherInnen zu reproduzieren – und immerhin die Hälfte konnte noch nicht mal die eigenen Resultate wiederholen! Und das liegt, wie ein älterer Artikel von John Ioannidis schon offen legte, nicht daran, dass die Reproduzierenden nicht wissen, was sie tun – sondern daran, dass 70 Prozent der Resultate falsch sind!
Ehe wir also mit Fingern auf den vermeintlichen Unsinn in jungen Disziplinen zeigen, sollten wir vor den eigenen Türen der etablierten Fachrichtungen kehren – auch hier offenbar wird zu schnell zu Unausgereiftes produziert und publiziert. Von wegen “hart” oder “weich”.
Bleibt nur noch die Frage, warum es ausgerechnet selbsterklärte skeptische atheistische Männer nötig haben, sich an den Gender-Studien abzuarbeiten…
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