Wenn ich sage, dass ich euch unbedingt von einer wissenschaftlichen Arbeit mit dem Titel “A sharper view of Pal 5’s tails: Discovery of stream perturbations with a novel non-parametric technique” erzählen will, dann reißt euch das wahrscheinlich nicht sofort vom Hocker. Und der Titel klingt auch tatsächlich ein wenig trocken und technisch. Aber diese Arbeit ist ein wunderbares Beispiel für die enorme Kreativität die in der astronomischen Forschung zu finden ist.
Kreativität, die unbedingt notwendig ist! Die Forschungsobjekte der Astronomen sind weit entfernt und den Wissenschaftlern direkt nicht zugänglich. Die Astronomie hat da einen massiven Nachteil gegenüber den anderen Naturwissenschaften. Uns Astronomen bleibt nur das Licht; nur ein paar Photonen aus dem fernen All die wir mit unseren Teleskopen registrieren können und daraus müssen wir all das ableiten, was wir herausfinden wollen. Ohne Kreativität kommt man hier nicht weiter – und das gilt umso mehr, wenn es um die Erforschung dunkler Materie geht.
Über dieses Phänomen habe ich schon sehr ausführlich berichtet: Dunkle Materie ist Materie, die sich von der normalen Materie massiv unterscheidet. Sie wechselwirkt so gut wie gar nicht mit elektromagnetischer Strahlung. Wir haben hier also nicht mal mehr Photonen, die wir untersuchen können! Aber zum Glück gibt es noch die Gravitation: Dunkle Materie hat eine Masse und übt dadurch eine Gravitationskraft auf ihre Umgebung aus. So macht sie sich bemerkbar und so kann man sie auch erforschen.
Der Großteil der Materie im Universum ist dunkle Materie. Die “normale” Materie aus der zum Beispiel die hell leuchtenden Sterne einer Galaxie bestehen, stellen nur einen kleinen Teil dessen dar, was wirklich vorhanden ist. Überall im Kosmos befinden sich riesige Wolken aus dunkler Materie die mit ihrer Gravitationskraft die normale Materie in ihre Zentren gezogen haben. Dort haben sich daraus Sterne und Galaxien gebildet. Auch unsere Milchstraße ist in so eine Wolke aus dunkler Materie eingebettet. Die kosmologischen Theorien mit denen die Entstehung des Universums und der Galaxien beschrieben werden sagen aber auch die Existenz kleinerer dunkler Materiewolken vorher. Dort haben sich keine Sterne gebildet; sie sind fast komplett dunkel und man nennt sie daher auch oft “dunkle Galaxien”.
Sie mögen zwar nicht leuchten, aber Masse haben sie! Eine dunkle Galaxie kann ein paar hunderttausend bis zu einer Million mal schwerer als unsere Sonne sein. Wie viele es von ihnen in unserer Umgebung gibt, wissen wir nicht – aber es wäre gut, das zu wissen! Denn wir wissen ja auch noch nicht genau, aus was die dunkle Materie eigentlich besteht. Man unterscheidet drei grundlegende Modelle: Kalte dunkle Materie, warme dunkle Materie und heiße dunkle Materie. Diese Bezeichnung hat nur bedingt etwas mit der klassischen Temperatur zu tun – auch Wärme ist ja nichts anderes als elektromagnetische Strahlung; also Licht und dunkle Materie wechselwirkt nicht mit Licht…
Heiße dunkle Materie würde aus Teilchen bestehen, die sich sehr schnell bewegen – zum Beispiel Neutrinos. Von denen gibt es aber nicht genug und auch weil sie sich so schnell bewegen, bilden sie schwer größere Strukturen und wir wissen heute, dass heiße dunkle Materie als alleinige Erklärung nicht funktionieren kann. Kalte dunkle Materie besteht aus schwereren Teilchen die sich langsamer bewegen und dieses Modell ist momentan der Favorit der meisten Forscher. Die warme dunkle Materie liegt – wenig überraschend – dazwischen. Je nachdem ob die dunkle Materie nur kalt oder warm ist, müssten sich mehr oder weniger dunkle Galaxien in der Umgebung der Milchstraße gebildet haben. Nur: Wie soll man das überprüfen, wenn man die Dinger nicht sehen kann!
Genau da kommt jetzt die Arbeit mit dem komplizierten Titel ins Spiel, von der ich zu Beginn geschrieben habe. Denis Erkal von der Universität Cambridge und seine Kollegen haben sich genau das überlegt und sind bei den Sternströmen gelandet. Über Sternströme habe ich hier schon mal ausführlich berichtet: Wie der Name schon sagt handelt es sich um langgezogene Ansammlungen von Sternen. Sie entstehen, wenn zum Beispiel kleine Zwerggalaxien einer großen Galaxie wie unserer Milchstraße zu nahe kommen und durch deren Gezeitenkräfte auseinander gerissen werden. Wir kennen einige solcher Ströme die sich kreuz und quer durch die Milchstraße ziehen und die Überbleibsel verschiedenster Mini-Galaxien darstellen, die unsere Galaxis in der Vergangenheit gefressen hat.
Ein solcher Sternstrom ist Palomar 5; ursprünglich ein Kugelsternhaufen der durch die Gravitationskraft der Milchstraße zu einem langgestreckten Sternstrom verformt worden ist. Erkal und seine Kollegen haben sich genau diesen Sternstrom angesehen und sehr detaillierte Beobachtungen gemacht. Sie haben vor allem bestimmt, wie sich die Dichte der Sterne in unterschiedlichen Bereichen des Sternstroms verändert.
Ihre Idee: Wenn es die dunklen Galaxien gibt, dann kann man sie zwar nicht sehen, aber die von ihnen ausgeübte Gravitationskraft muss das beeinflussen, was man sehen kann. Zum Beispiel die Sternströme und dort die Dichte der Sterne. Je nachdem wie oft ein Sternstrom einer dunklen Galaxie begegnet muss er mehr oder weniger Bereiche mit verringerter Sterndichte aufweisen. Die Interaktion mit den dunklen Galaxien macht den Sternstrom quasi “klumpig” und aus der Größe und Anzahl der Klumpen kann man auf die Masse und Anzahl der dunklen Galaxien schließen.
Genau solche Klumpen haben Erkal & Co bei Palomar 5 gefunden. Sie deuten auf zwei vergangene Begegnungen mit dunklen Galaxien hin: Eine mit einer Masse von einer Million Sonnenmassen; einer mit einer Masse von 100 Millionen Sonnenmassen. Die Ergebnisse sind allerdings (noch) nicht eindeutig; die Klumpen in Palomar 5 könnte man auch ohne dunkle Galaxien erklären; zum Beispiel durch die Wechselwirkung des Sternstroms mit großen interstellaren Gaswolken.
Aber es ist ein erster Schritt! Es ist eine weitere Möglichkeit, wie die Astronomen das Unsichtbare sichtbar machen können; eine weitere kreative Methoden um mehr Informationen aus den paar Photonen zu kitzeln die unsere irdischen Teleskope erreichen. Eine umfassende Analyse der galaktischen Sternströme liefert vielleicht in Zukunft eine bessere Statistik über die Anzahl dunkler Galaxien in unserer Umgebung und macht es möglich zu unterscheiden, ob die warme oder die kalte dunkle Materie ein besseres Modell der Realität darstellt. Und bis dahin fallen uns sicher noch ein paar neue kreative Methoden ein, um das Universum zu verstehen!
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