Der April neigt sich dem Ende zu. Und bevor die Feierlichkeiten zum ersten Mai los gehen, kommen wie immer die monatlichen Buchempfehlungen. Und dieses Mal habe ich ein paar wirklich hervorragende Bücher gelesen. Bücher, die ab nun definitiv zu meinem Allzeit-Favoriten gehören.

Der Vorbote des Todes

Claire North ist ein absolutes Phänomen. Jedes ihrer Bücher (ich habe schon hier und hier darüber berichtet) erzählt eine absolut originelle Geschichte, die sonst nirgendwo erzählt wird. Das gilt ganz besonders für “The End of the Day” Claire North. Dieses Buch ist fantastisch. Lest dieses Buch! Wenn ihr sonst keine Bücher lest – lest dieses Buch! Es gibt wenig Romane, die mich so sehr beeindruckt haben wie dieser.

Wie üblich in Norths Bücher ist die Welt in der es spielt unsere ganz normale Welt – mit kleinen Variationen. In diesem Fall ist es eine Welt, in der Tod, Krankheit, Krieg und Hunger nicht nur Phänomene sind, sondern – wie in der Bibel in Form der apokalyptischen Reiter beschrieben – als reale Personifikation existieren. Diese Tatsache wird aber weder erklärt, noch beschäftigt sie die Menschen besonders. Es ist ganz normal und ebenso normal ist auch der “Vorbote des Todes”. Diese Funktion ist ein ganz normaler Job, für den sich ganz normale Menschen bewerben können. Einer dieser Menschen ist Charlie und das Buch erzählt davon, was er als Vorbote des Todes erlebt.

Diese Erklärung erweckt aber irgendwie einen falschen Eindruck der Geschichte. “The End of the Day” hat nichts mit ähnlichen Geschichten zu tun; zum Beispiel den Scheibenwelt-Romanen über den personifizierten Tod und seinen Lehrling von Terry Pratchett. Charlie hat keine mysteriösen Kräfte, Mystik, Magie oder Religion tauchen im Buch überhaupt nicht auf. Es geht auch nicht darum, irgendwelche “Todesurteile” zu vollstrecken. Charlie ist einfach nur derjenige, der vor dem Tod kommt. Manchmal kommt er als letzte Ehrung, manchmal als Warnung. Und es geht nicht nur um sterbende Menschen. Der Tod und sein Vorbote kommen auch für Ideen, die verschwinden. Charlies Besuch markiert das Verschwinden alter Ideologien und Vorstellungen ebenso, wie das Sterben von Menschen und Welten. Er reist in die Anden, um dort eine Frau zu besuchen, mit deren Tod eine alte Sprache endgültig verschwinden wird. Er reist in die Arktis um dem Verschwinden des ewigen Eises zuzusehen. Er reist durch die USA, durch Afrika, und durch den schrecklichen Krieg in Syrien und überall verschwindet eine Welt. Und zwischendurch lebt er ein ganz normales Leben, hat Beziehungsprobleme, muss sich mit Behörden rumärgern, und so weiter.

Das Buch hat keine Handlung im engeren Sinn. Da ist keine große Aufgabe, die Charlie erfüllen muss; kein Rätsel, das einer Aufklärung harrt. Es gibt keine Welt, die gerettet werden muss. Es gibt nur den Vorboten des Todes, der um die Welt reist. Aber es braucht auch keine große Aufgabe. Die Aneinanderreihung der vielen “Tode” ist auf diese Weise noch viel eindrücklicher. Vor allem aber gelingt es North so ein Bild des Todes zu zeichnen, das zwar oft traurig und deprimierend ist und oft auch schrecklich. Aber ebenso oft wird klar gemacht, dass der Tod ein untrennbarer Bestandteil des Lebens ist und das die Welt nur deswegen so lebendig, faszinierend und vielfältig sein kann, weil es den Tod gibt.

Es fällt mir schwer zu beschreiben, worin die Schönheit dieses Buchs liegt. Ich kann euch nur eindringlich empfehlen, es selbst zu lesen!

Die Erfindung der Natur

Das zweite Buch, das ich euch im April unbedingt empfehlen möchte, kann man als Gegenstück zu “The End of the Day” betrachten. Oder aber man sieht es als Erweiterung; als die andere Seite des gleichen Phänomens. Es geht darin nicht um den Tod und es ist auch kein Roman. Es geht um das Leben in all seiner Pracht, um die Faszination der Natur und um einen Wissenschaftler, der absolut einzigartig war. Es geht um “Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur” (im Original: “The Invention of Nature: The Adventures of Alexander von Humboldt, the Lost Hero of Science”) von Andrea Wulf.

humboldt

Vermutlich werden die meisten den Namen “Humboldt” schon mal gehört haben. Vielleicht von der Humboldt-Universität in Berlin, die ihren Namen aber von Wilhelm von Humboldt hat, dem Bruder von Alexander. Aber WIE enorm bedeutend Alexander von Humboldt war, lässt sich heute schwer ermessen. Kaum jemand weiß, was er alles getan und geleistet hat. Und was für eine prominente und wichtige Persönlichkeit er zu seiner Zeit war.

Ich möchte kurz einen Abschnitt aus dem Buch zitieren:

“Am 14. September 1869 wurde weltweit Alexander von Humboldts hundertster Geburtstag gefeiert. In Melbourne und Adelaide wie in Buenos Aires und Mexico City ehrten viele Redner Humboldt vor zahllosen Zuhörern. Bei Festakten in Moskau wurde Humboldt als “Shakespeare der Wissenschaften” bezeichnet, und im ägyptischen Alexandria feierten die Teilnehmer unter einem von Feuerwerk erleuchteten Himmel. Die größten Veranstaltungen aber fanden in den Vereinigten Staaten statt. Von San Francisco bis Philadelphia und von Chicago bis Charleston gab es Straßenumzüge, opulente Festessen und Konzerte. In Cleveland gingen achttausend Menschen auf die Straße, in Syracuse schlossen sich fünfzehntausend einem Festzug an, der mehr als anderthalb Kilometer lang war. Präsident Ulysses Grant besuchte die Humboldt-Feier in Pittsburgh, wo zehntausend Besucher die Stadt lahmlegten.

In New York City säumten Flaggen die Kopfsteinpflasterstraßen. Das Rathaus war in Fahnen gehüllt, und ganze Häuser verschwanden hinter riesigen Plakaten, die Humboldts Gesicht zeigten. Sogar die Schiffe, die draußen auf dem Hudson River vorbeizogen, waren mit bunten Girlanden geschmückt. Am Morgen folgten Tausende zehn Musikkapellen, die von der Bowery über den Broadway zum Central Park marschierten, um einen Mann zu ehren, »dessen Ruhm keine Nation für sich beanspruchen kann«, wie die New York Times auf ihrer Titelseite verkündete. Am frühen Nachmittag hatten sich fünfundzwanzigtausend Zuschauer im Central Park eingefunden, wo eine große Humboldt-Büste aus Bronze feierlich enthüllt wurde. Am Abend, bei Einbruch der Dunkelheit, setzte sich ein Fackelzug mit 15000 Menschen in Bewegung, der unter bunten chinesischen Laternen durch die Straßen zog.

Stellen wir uns vor, sagte ein Redner, »er stünde auf den Anden« und ließe seinen Geist über allem schweben. In jeder Rede, wo auch immer auf der Welt, wurde betont, Humboldt habe einen »inneren Zusammenhang« zwischen allen Teilen der Natur gesehen. In Boston erläuterte Emerson den Würdenträgern der Stadt, dass Humboldt ein »Weltwunder« gewesen sei. Sein Ruhm, so die Daily News in London, sei »in gewisser Weise eng mit dem Universum selbst verbunden«. In Deutschland gab es Festveranstaltungen in Köln, Hamburg, Dresden, Frankfurt und vielen anderen Städten.

Die größte deutsche Feier fand in Berlin statt, Humboldts Heimatstadt, wo trotz sintflutartiger Regengüsse achtzigtausend Menschen zusammenkamen. Alle Büros und Behörden blieben an diesem Tag geschlossen. Trotz des Regens und kalten Windes dauerten die Reden und Gesänge viele Stunden.”

Kann man sich etwas Ähnliches heute vorstellen? Welche Persönlichkeit wäre weltweit so bedeutend, dass ihr Tod bzw. ein runder Geburtstag so eine Reaktion hervorruft? Vielleicht noch der Papst, aber mit Sicherheit kein Wissenschaftler. Alexander von Humboldt hat diese Ehrungen aber definitiv verdient und es ist ziemlich deprimierend, das seine Leistungen heute so unbekannt sind. Wenn nächstes Jahr der 250. Geburtstag von Humboldt gefeiert wird, kann man höchstens auf ein paar spezielle Sendungen im Fernsehen hoffen, aber nicht mit weltweiten Feierlichkeiten und hunderttausenden Gästen.

Das liegt zum Teil auch daran, dass wir das, was Humboldts Arbeit ausgemacht hat, heute so sehr verinnerlicht haben, das uns gar nicht bewusst ist, das es erst mal jemand entdecken musste. Wie Andrea Wulf im Titel ihres Buches schreibt, war das nichts anderes als die “Erfindung der Natur” und das ist kaum übertrieben. Mir fehlt hier definitiv der Platz, all das zu erzählen, was in Humboldts Leben passiert ist. Sein Traum war es schon als Kind, die Welt zu sehen und zu erforschen. Den konnte er – nach einigen Schwierigkeiten – in die Tat umsetzen und 1799 machte er sich auf eine mehr als fünfjährige Reise durch Südamerika. Dieser Kontinent war damals aus wissenschaftlicher Sicht kaum erforscht und Humboldt änderte das dramatisch. Er katalogisierte Pflanzen und Tiere, er vermaß Berge und Vulkan, er kartografierte Flüsse und Wüsten. Er machte astronomische und archäologische Studien, zeichnete die Sprache und Kultur der eingeborenen Völker auf, analysierte Erdbeben, Gesteinsschichten, die Landwirtschaft und die politischen Systeme. Am wichtigsten aber war: Humboldt erkannte die Verbindung zwischen all diesen Dingen!

Er war ebenso in der Lage die Welt aus einem mikroskopischen Blick zu betrachten wie aus einem globalen. Und er erkannte, das man das eine nicht ohne das andere betrachten darf. Alles hängt zusammen; die kleinsten Organismen haben einen Einfluss globale Phänomene und umgekehrt. Er definierte Klimazone und erkannte, wie sie überall auf der Erde in unterschiedlichsten Regionen die gleichen Pflanzen hervorbrachten. Er erkannte die Auswirkungen, die die Abholzung von Wäldern auf einen gesamten Kontinent haben können. Kurz gesagt, er entwickelte das, was wir heute “Ökologie” nennen (dieser Begriff stammt von Ernst Haeckel, einem Naturforscher der maßgeblich von Humboldts Arbeit beeinflusst wurde). Darüber hinaus war Humboldt auch in der Lage, all das was er über die Welt gelernt hatte, auf eine Weise zu vermitteln, die für die damalige Zeit einzigartig war. Er verband Kunst und Wissenschaft auf einzigartige Weise, seine Beschreibungen der südamerikanischen Welt war ebenso wissenschaftlich wie literarisch-poetisch fesselnd. Seine Bücher waren weltweite Bestseller, seine Vorträge wurden regelrecht gestürmt und all die Menschen aufzulisten die er beeinflusst hat, wäre kaum möglich. Charles Darwin war ein Bewunderer von Humboldt und hat sich deswegen auf seine folgenreiche Reise um die Welt gemacht, weil er seinem Vorbild nacheifern wollte. Humboldts politische Ansichten (er war ein absoluter Gegner von Sklaverei und Kolonialismus) motivierten Simón Bolívar dazu, die südamerikanischen Unabhängigkeitskriege zu führen. Schriftsteller wie Henry David Thoreau oder Ralph Waldo Emerson waren ebenso durch ihn beeinflusst wie die Pioniere der ersten Umweltschutzbewegungen (George Marsh, John Muir, etc), die erkannten wie Recht Humboldt mit seinen Ansichten über die Verbindung zwischen allen Dingen hatte und mit seinen Warnungen, dass der menschliche Einfluss auf die Natur katastrophale Folgen haben kann.

Und selbst das ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was Humboldt geleistet und entdeckt hat. Im 19. Jahrhundert hat er die Welt geprägt wie kaum ein anderer vor oder nach ihm und wir haben seine Erkenntnisse heute so verinnerlicht, das wir den Entdecker fast vergessen haben. Bücher über das Leben von Humboldt gibt es jede Menge – das von Wulf möchte ich euch aber trotzdem sehr dringend ans Herz legen. Andrea Wulf ist bei ihrer Beschreibung von Humboldts Leben und Wirken fast so mitreißend wie es Humboldt in seinen Werken selbst gewesen war. Man spürt auf jeder Seite die tiefe Faszination die der deutsche Forscher für die gesamte Welt gehabt hat. Und die Zuneigung, die damals die gesamte Welt diesem außergewöhnlichen Wissenschaftler entgegen gebracht hat.

Mathematik für alle

Nach so einem Knaller wie dem Buch über Humboldt haben andere Bücher über Wissenschaft es natürlich schwer. Aber wenn ihr noch ein wenig Kapazitäten übrig habt, dann kann ich euch “How Not to Be Wrong: The Hidden Maths of Everyday Life” von Jordan Ellenberg empfehlen. Es beginnt mit der klassischen Frage, die sich in der Schulzeit sicher jeder schon mal gestellt hat: Wozu braucht man das alles im richtigen Leben?

ellenberg

Ellenberg findet darauf eine passende Antwort. In seinem Buch macht er mehr als deutlich, dass Mathematik vor allem dazu dienen kann, auf eine ganz besondere Art und Weise denken zu lernen. Es geht nicht so sehr ums Rechnen an sich, obwohl das natürlich auch relevant ist. Es geht, wie Ellenberg sagt, um eine Erweiterung des Denkens. Um eine Art “zusätzlichen Sinn”, der Dinge klarer sichtbar macht, die uns normalerweise schwer zu sehen fallen. Ellenberg bringt Beispiele aus Politik, Wirtschaft und anderen “normalen” Bereichen des Lebens, bei denen ein mathematischer Sinn dabei hilft, nicht falsch zu liegen. “How Not To Be Wrong” ist ein Buch, in dem man viel über die Mathematik selbst und die Geschichte der Mathematik lernt. Man versteht am Ende aber auch, dass es sich lohnt, Ahnung von Mathematik zu haben, auch wenn man selbst kein Wissenschaftler ist.

Das Buch “Things to Make and Do in the Fourth Dimension” (auf deutsch: “Auch Zahlen haben Gefühle: Warum sie romantisch, sozial oder selbstverliebt sein können und was sich sonst noch mit Mathematik anstellen lässt”) von Matt Parker ist ähnlich, aber dann doch auch wieder nicht. Parker, der nicht nur Mathematiker sondern auch Comedian ist, erzählt spannende Geschichten aus der Mathematik, die durchaus auch ab und zu lustig sind. Es ist eine eher klassische Präsentation des Themas: Es geht im Buch um die Frage, wie man Pizza mathematisch optimal aufteilen kann; wie man in der vierten Dimension leben würde, und so weiter. Wer sich gerne von der Mathematik faszinieren lässt, der wird dieses Buch gerne lesen. Wer mit Mathe bisher wenig anfangen konnte, wird aber vermutlich und leider von diesem Buch auch nicht dafür begeistert werden können.

Krimis

Die Osterfeiertage habe ich für die Lektüre von ein paar Krimis genutzt. Zuerst das neue Buch “Thüringer Teufelswerk” von Julia Bruns. Die Krimis von Bruns habe ich früher ja schon besprochen (hier, hier und hier). Und auch der vierte Teil über das Nord- und Ostdeutsche Kommissarsduo aus Erfurt ist so spannend und amüsant wie die drei zuvor.

teufelswerk

Schauplatz ist diesmal das große Mittelalterfest in Bad Langensalza. Da gibt es nicht nur jede Menge seltsame und dubiose Schausteller und Mittelalter-Cosplayer – sondern natürlich auch eine Leiche. Und wie bei Krimis so üblich, werde ich nicht mehr über die Handlung verraten. Wer Krimis mag, der wird dieses Buch mögen!

Ein wenig einschränken muss ich meine Empfehlung von “Tod am Geysir” von Gerlinde da Molin. Das Buch spielt in Andernach und ich habe es nur deswegen gelesen, weil ich meinen Osterurlaub in dieser Stadt am Rhein verbracht habe. Es lässt sich zwar halbwegs gut lesen. Aber man hat auf fast jeder Seite das Gefühl, die Publikation der Andernacher Touristeninfo zu lesen und keinen Krimi. Mir ist schon klar dass das Genre des Regionalkrimis davon lebt, dass man auch ein wenig Lokalkolorit in die Handlung einfließen lässt. Aber in diesem Fall war das doch deutlich zu viel und zu euphorisch. Es muss nicht JEDE einzelne Sehenswürdigkeit der Stadt Teil der Handlung sein…

Absolut nichts mit den üblichen Regionalkrimis hat “Altenteil” von Rainer Nikowitz zu tun. Dafür aber sehr, sehr viel mit sehr guten und sehr amüsanten Romanen. Man könnte zwar glauben, dass es langsam schwierig wird, den klassischen Loser und Faulenzer Suchanek ein weiteres Mal glaubwürdig in die Ermittlung eines Kriminalfalles zu verwickeln (über die ersten beiden Bücher der Serie habe ich hier und hier berichtet). Aber es funktioniert und Nikowitz schreibt einen gewohnt absurd-lustigen und spannenden Krimi, der diesmal eine Mordserie in einem Wiener Altenheim über alle Maßen ausartet lässt.

Was ich sonst noch gelesen habe

Und dann hab ich noch diese Bücher gelesen:

  • “Houston, We Have a Narrative: Why Science Needs Story” von Randy Olson. Olson war Professor für marine Biologie und ist dann als Filmproduzent nach Hollywood gewechselt. Und erklärt seitdem der Welt der Wissenschaft mit seiner dort gewonnenen Erfahrung, wie man Wissenschaft am effektivsten vermitteln kann. Dass das am besten geht, wenn man nicht nur Fakten, sondern Geschichten erzählt, ist keine neue Erkenntnis. Ebenso ist es nicht neu, dass es effektive Strukturen gibt, mit denen man Geschichten erzählen (die klassische Dialektik von Hegel etwa). Insofern macht Olson für meinen Geschmack ein wenig zu viel Aufhebens, wenn er genau das immer wieder in seinem Buch erzählt. Das, was anderswo “These, Anti-These und Synthese” heißt, heißt bei ihm “ABT (and, but, therefore)” und dieses Prinzip wird wirklich auf fast jeder Seite erwähnt. Olson ist für meinen Geschmack auch ein wenig zu angeberisch und überheblich, wenn er darüber spricht, wie gut Hollywood Geschichten erzählen kann und wie unfähig die Wissenschaftler sind, wenn sie es versuchen. Aber vielleicht gewöhnt man sich so einen Tonfall auch zwangsläufig an, wenn man in der Welt der Filmstudios überleben will… Trotzdem enthält das Buch viele gute Ideen und Gedanken, von denen ich sicherlich noch mal gesondert berichten werden und wer sich professionell mit der Vermittlung von Wissen beschäftigt sollte das Buch auf jeden Fall lesen. Und allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kann ich einen Blick in das Buch zumindest empfehlen. Olson beschäftigt sich nämlich nicht vorrangig mit der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, sondern mit der Frage, wie Wissenschaft intern besser kommuniziert werden kann. Wie schreibt man gute Fachartikel? Wie hält man Vorträge die nicht langweilig sind? Und so weiter – es lohnt sich durchaus, die ganze Angeberei zu überlesen und über Olsons Methoden nachzudenken.
  • olson

  • “Der Mann der die Erde wog” von Richard von Schirach. Nachdem ich das Buch “Die Nacht der Physiker” von Schirach (siehe hier) extrem gut fand, war ich sehr gespannt auf sein neuestes Werk über Wissenschaftsgeschichte. Es ist gut. Aber ich bin auch ein klein wenig enttäuscht. Man erfährt viel über das Leben und Werk einiger sehr faszinierender Persönlichkeiten aus der Wissenschaft. Henry Cavendish, Julius Robert Mayer, Robert Bunsen, Albert Michelson, und so weiter. Vom frühen 18. Jahrhundert arbeitet sich von Schirach bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts vor. Von der klassischen Physik des Isaac Newton geht es bis zur Relativitätstheorie und Quantenmechanik und man erfährt, wie all die Biografien zusammenhängen und die Forscher sich wechselseitig beeinflusst haben. Für meinem Geschmack wurde Max Planck aber ein bisschen zu viel Platz eingeräumt. Sein Kapitel ist doppelt so lang wie die meisten anderen und ein großer Teil davon beschäftigt sich mit Plancks Sohn Erwin, der zwar als Politiker und NS-Widerstandskämpfer ein interessantes Leben hatte, aber mit Wissenschaft wenig zu tun. Im Buch finden sich auch immer wieder kleine Ungenaugkeiten, die den Gesamteindruck stören. Die Tochter von Marie Curie gewann keinen Physik-Nobelpreis. Niemand hat “bewiesen”, dass die Lichtgeschwindigkeit bis zur “fünfzehnten Stelle nach dem Komma konstant ist” (sie hat nur drei Stellen hinter dem Komma, weil ihr Wert EXAKT 299792,458 km/s beträgt). Wenn man 2018 in einem Buch über Gravitationswellen schreibt, dann sollte man erwähnen, dass sie 2016 schon entdeckt wurden und nicht erklären, dass ein Detektor in Italien sie eventuell in Zukunft nachweisen können wird; ebensowenig sollte man das viel größere LIGO-Experiment in den USA ignorieren, dass die Wellen tatsächlich nachweisen konnte. Und so weiter – Oft hat man das Gefühl, von Schirach beschreibt etwas, das er nicht komplett versteht. Aber trotzdem ist das Buch voll mit schönen und lesenswerten Geschichte über die Geschichte der Wissenschaft.
  • “Die Unglückseligen” von Thea Dorn. Dieses Buch hat mich enttäuscht. Nachdem ich Dorns schönen Uni-Krimi gelesen hatte (siehe hier) wollte ich auf “Die Unglückseligen” lesen. Darin geht es um eine Biologin, die herausfinden will wie man den Alterungsprozess aufhalten kann. Und um einen Mann, der behauptet, er wäre der Physiker Johann Wilhelm Ritter aus dem 19. Jahrhundert. Beide begegnen sich und das könnte eigentlich der Beginn einer schönen Geschichte sein. Ist es aber nicht. Das Buch ist durchsetzt mit der (pseudo)altertümlichen Sprache von Ritter; wird ständig von Anmerkungen eines Erzählers durchbrochen, der anscheinend der Teufel selbst ist und die wenigen Teil, die halbwegs lesbar sind, können das nicht auffangen. “Die Unglückseligen” gehört zu den wenigen Büchern, die ich nicht zu Ende gelesen habe – obwohl ich eigentlich sehr gerne wissen wollte, wie es ausgeht.

Hu – sind dann irgendwie doch recht viele Bücher geworden im April. Ich freue mich schon auf das, was ich im Mai lesen werde. Und ich freue mich darauf, euch in einem Monat davon berichten zu können!

Kommentare (10)

  1. #1 Sabine
    26. April 2018

    Danke für die Inspiration für den nächsten Lesemarathon, auf meine Liste kommen auf jeden Fall “The End of the Day” und das Humboldt-Buch 😉
    Dass dich Thea Dorns “Unglückseligen” nicht überzeugt hat und du genau die Elemente kritisierst, die auch mich so lange am Buch lesen lassen, machen die Tipps für mich noch passender.

  2. #2 Alexander
    26. April 2018

    Andrea Wulf ist bei ihrer Beschreibung von Humboldts Leben und Wirken fast so mitreißend wie es Humboldt in seinen Werken selbst gewesen war.

    Mitreißend? Zumindest für die deutschsprachige (übersetzte!) Fassung kann ich das für mich nicht bestätigen. Ich finde das Buch durchaus interessant, würde aber nur eine Bewertung im mittleren Bereich vergeben, weil man aus dem tollen Stoff noch viel mehr hätte machen können!

    Noch ein Zitat aus dem Buch, das andeutet, wie speziell das Verhalten großer Persönlichkeiten ausfallen kann:

    Darwin war nervös und aufgeregt, weil er nun endlich Humboldt kennenlernen würde, und eilte schon am frühen Morgen zu Murchison, der am Belgrave Square wohnte, nur einige Hundert Meter hinter dem Buckingham Palace in London. Darwin wollte vieles fragen und erörtern. Er arbeitete an seiner Evolutionstheorie und beschäftigte sich noch immer mit der Pflanzenverteilung und Artenwanderung. […] Mit zweiundsiebzig ging Humboldt jetzt vorsichtiger und langsamer, aber er wusste immer noch, wie er seinen Auftritt inszenieren musste. Wenn er ein Fest oder eine Gesellschaft besuchte, schlurfte er gewöhnlich durch den Raum, den Kopf etwas geneigt, und grüßte nach links und rechts, während er an den anderen Gästen vorbeiging. Dabei redete er ununterbrochen. Sobald er den Raum betrat, verstummte alles. Jeder Kommentar hätte lediglich zu einem weiteren langen philosophischen Exkurs Humboldts geführt. Darwin war fassungslos. Mehrfach versuchte er, eine Bemerkung einzuwerfen, doch schließlich gab er es auf. Zwar war Humboldt so liebenswürdig, ihm »einige grandiose Komplimente« zu machen, aber der alte Mann sprach einfach zu viel. Drei Stunden lang monologisierte Humboldt vor sich hin, ein Wortschwall »ohne Maß und Ziel«, wie Darwin sagte. Er hatte sich ihr erstes Treffen ganz anders vorgestellt. […] Humboldts endloser Monolog machte es Darwin unmöglich, ein vernünftiges Gespräch mit ihm zu führen.

  3. #3 Peer
    26. April 2018

    Ich habe gerade Fergus Flemings “Nach Oben” (Original: Killing Dragon) gelesen und kann das speziell Dir, Florian, empfehlen, solltest du es nicht kennen. Fergus Fleming hatte schon das fantastische “Barrows Boys” geschrieben, über die britischen Expeditionen in die Arktis und nach Timbuktu (die oft grandios scheiterten), hier geht es um die Geschichte der Alpenbesteigungen. Ist daher rei thematisch nicht so breit aufgestellt, aber gerade, wenn man die Berge liebt, sollte man das Buch lesen! Ist wirklich interessant, was für Persönlichkeiten hinter den Besteigungen von Matterhorn oder Mont Blanc stehen und wie sich die Wahrnehmung der Berge im Laufe der Jahrhunderte gewandelt hat!

  4. #4 Florian Freistetter
    26. April 2018

    @Peer: Danke – das klingt so als würd es mir gefallen!

  5. #5 Anders
    26. April 2018

    Das Humboldt-Buch von Mrs. Wulf habe ich auch schon gelesen (auf Deutsch) und fand es sehr gut. Nicht wirklich immer mitreißend, aber sehr gut und auch ziemlich ausführlich. A.v.Humboldt war mir schon immer ein (ferner) Begriff, das Buch liefert eine gute Grundlage für die weitere Beschäftigung mit seinem Werk und die Formulierung “Erfindung der Natur” ist sowohl klasse wie zutreffend.

    Dein Hinweis auf “The End of the Day” hat mich neugierig gemacht.

  6. #6 Dampier
    26. April 2018

    Ich hatte immer das Gefühl, in Südamerika ist mehr Zeug nach Humboldt benannt als bei uns. Sogar sein Begleiter Bonpland wird da öfter verewigt.

    Das Buch hat mir auch gefallen, es ist so eins von der Art “Ich will endlich mal die ganze Geschichte wissen!”
    Ich hatte es nur ausgeliehen, aber werde es mir wohl kaufen müssen. Wie so viele gute Bücher über Wissenschaftsgeschichte ist es derart reichhaltig und voll mit Geschichten und interessanten Details, dass man es gern mehrmals lesen & auch quasi als Nachschlagewerk benutzen kann.

    @Peer, Fergus Flemings Bücher gehören auch in die genannte Kategorie. Barrow’s Boys und Neunzig Grad Nord hab ich oft gelesen. Nach Oben klingt auch gut, danke für den Tipp!

  7. #7 Jolly
    26. April 2018

    @ Florian Freistetter

    Vielleicht von der Humboldt-Universität in Berlin, die ihren Namen aber von Wilhelm von Humboldt hat, dem Bruder von Alexander.

    Die Humboldt-Universität bezieht sich mit ihrem Namen durchaus auf beide Brüder. Nur Wilhelm war zwar bei der Gründung des Vorläufers beteiligt, aber Alexander war bei der nun gültigen Namensgebung 1949 schon mit im Blick. Deswegen findet man vor Ort auch Statuen von beiden.

    Wer sich für den Hintergrund interessiert, findet hier Näheres.

  8. […] die Wissensvermittlung ist auch der Grund, warum ich über diesen Satz schreibe. Ich habe kürzlich von Randy Olsons Buch “Houston, we have a narrative” berichtet. Darin beschreibt er, wie wichtig es ist, sich bei der Vermittlung von Wissenschaft an […]

  9. […] schätze. Ich habe sie schon hier und hier empfohlen und erst kürzlich erklärt wie grandios ihr grandioses Buch über den Tod […]

  10. […] weitestgehend ignoriert wurde. Mein Vorschlag (der eigentlich nicht meiner war sondern auf einem Buch über Wissenschaftskommunikation basiert) war: Nicht mit dem Widerspruch anfangen, sondern mit Gemeinsamkeiten. Wenn Leute der […]