Es war eine richtig heftige Party. So richtig wild. Ihr wacht auf und habt keine Ahnung wo ihr seid. Absolut keine Ahnung. Und es ist auch niemand da, den ihr fragen könnt. Keine Menschen, keine Gebäude, keine Straßenschilder. Nur der Sternenhimmel über euch. Und wenn ihr jetzt ein wenig Ahnung von Astronomie habt, dann habt ihr Glück und könnt herausfinden, wohin es euch verschlagen hat. Denn welche Sterne man am Himmel sehen kann, hängt davon ab, wo man sich befindet.
Das liegt daran, dass die Erde eine Kugel ist. Von einem konkreten Ort ihrer Oberfläche kann man immer genau die Hälfte des Himmels sehen (wenn man mal Dinge wie Bäume oder Berge ignoriert, die einem den Blick auf den Horizont verstellen können). Bewegt man sich von Nord nach Süd (oder gerne auch von Süd nach Nord), dann ändert sich der Anblick der Himmels. So sieht zum Beispiel der Himmel in der Nacht von heute auf morgen aus, wenn man von Jena aus kurz vor Sonnenaufgang nach Süden blickt:
Man sieht das, was man gewöhnt ist, wenn man auf der Nordhalbkugel öfter mal zum Himmel schaut: Das Sternbild Wassermann, den Steinbock, den Planet Mars. Zur gleichen Zeit liefert der Blick von Kapstadt auf der Südhalbkugel aber einen völlig anderen Himmel:
Hier sehen wir Sternbilder, die wir in Deutschland normalerweise nicht sehen. Da gibt es den Paradiesvogel, den Tafelberg, die Pendeluhr oder den Schwertfisch. Und keinen Mars. Vor allem sehen wir auch das berühmteste Sternbild des südlichen Himmels: Das Kreuz des Südens. Es gehört zu den kleinsten Sternbildern, aber trotzdem sind die vier Hauptsterne mit freiem Auge gut zu sehen.
Aber eben leider nur, wenn man sich weit genug im Süden befindet. Das man von unterschiedlichen Orten der Erde aus unterschiedliche Sterne sehen kann, ist keine neue Entdeckung. Das wusste man schon vor Jahrtausenden im antiken Griechenland. Schon Aristoteles hat festgestellt, das man von Ägypten und Zypern aus Sterne sehen kann, die von weiter nördlich gelegenen Regionen aus nicht sichtbar sind. Und daraus korrekt geschlossen, dass das nur auf einer kugelförmigen Erde der Fall sein kann.
Ungefähr zur Zeit des Aristoteles konnte man vom südlichen Mittelmeerraum übrigens auch noch das Kreuz des Südens (gerade so) sehen. Das liegt daran, dass die Ausrichtung der Rotationsachse unseres Planeten nicht immer konstant ist. Zieht man eine Linie vom Südpol durch die Erde hindurch zum Nordpol und verlängert sie hinauf in den Himmel, dann zeigt sie momentan ziemlich genau in Richtung des Polarsterns. Das ist aber nicht immer so: Die Erdachse schwankt und beschreibt im Lauf von etwa 25.000 Jahren einen kleinen Kreis am Himmel. Damit verändert sich auch der Ausschnitt des Himmels, den man von einem Ort aus sehen kann. Vor knapp 5000 Jahren hätte man das Kreuz des Südens sogar noch von Deutschland aus am Himmel sehen können. Seitdem hat sich unser Blickwinkel aber verändert und mittlerweile ist das prominente Sternbild von Mitteleuropa aus immer unter dem Horizont.
Auf der Südhalbkugel ist es aber weiterhin deutlich sichtbar und ich würde es wirklich gerne mal mit eigenen Augen sehen (bis jetzt hab ich es leider noch nie über die Nordhalbkugel hinaus geschafft). Die vier hellen Sterne sind mit Sicherheit ein beeindruckender Anblick. Weniger beeindruckend sind ihre Namen: Acrux, Becrux, Gacrux und Decrux. Was wie “Tick, Trick und Track treffen Asterix” klingt sind Abkürzungen der offiziellen Namen Alpha Crucis, Beta Crucis, Gamma Crucis und Delta Crucis. “Crucis” ist der Genetiv von “Crux”, dem latenischen Namen des Sternbilds und mit den griechischen Buchstaben Alpha, Beta, Gamma, Delta, etc werden die Sterne in einem Sternbild einfach der Helligkeit nach bezeichnet. Die meisten hellen Sterne am Himmel haben auch “echte” Eigennamen (meistens arabische Bezeichnungen); bei den Sternen des Südhimmels ist das aber nicht der Fall. Beziehungsweise haben die Menschen die schon immer auf der Südhalbkugel gelebt haben, den Sternen natürlich jeweils eigene Namen in ihren eigenen Sprachen gegeben. Aber so etwas haben wir Europäer bei unseren Entdeckungsreisen in den letzten Jahrhunderten natürlich nicht ernst genommen…
Beeindruckt hat uns das Kreuz des Südens aber trotzdem. Man findet es auf überraschend vielen Staatsflaggen: Brasilien, Australien, Neuseeland, Papua-Neuguinea und Samoa haben das Sternbild auf ihrer Landesflagge abgebildet. Dazu kommen dutzende Flaggen von Bundesländern, Regionen und Städten. Das Kreuz des Südens findet man auf Münzen und in den Logos von Universitäten und Organisationen (zum Beispiel der Europäischen Südsternwarten). Sogar ein Fußballverein – der brasilianische Erstligaclub Cruzeiro Belo Horizonte – trägt die Sterne im Wappen.
Was man auf den Flaggen aber nicht sieht, ist eines der interessantesten Objekte in diesem Sternbild: Der Kohlensack. Im Südwesten der vier hellen Sterne befindet sich eine sogenannte “Dunkelwolke”, also eine große Wolke aus interstellarem Gas in deren Inneren neue Sterne entstehen. Der Kohlensack befindet sich etwa 600 Lichtjahre von der Erde entfernt und hat einen Durchmesser von etwa 70 Lichtjahren. Beim Blick durch ein Teleskop sieht es aus, als wäre da ein Loch im Himmel. Umringt von hellen Sternen ist da einfach nur ein dunkles Nichts. Im Inneren dieser das Licht der dahinterliegenden Sterne blockierenden Wolke ist aber definitiv nicht Nichts. Dort entstehen Sterne, die irgendwann vielleicht ebenso hell leuchten werden wie es heute das Kreuz des Südens tut.
Aber auch ohne Teleskop kann man – gute Bedingungen vorausgesetzt – den Kohlensack sehen. In der Astronomie der australischen Aborigines ist der Kohlensack gemeinsam mit anderen Dunkelwolken Teil des “Emu am Himmel”; ein “Sternbild” das nur aus Dunkelwolken zusammengesetzt ist von denen der Kohlensack den Kopf des Emus bildet.
Meinen Urlaub werde ich in diesem Jahr nur in Mitteleuropa verbringen. Die Sterne des südlichen Himmels werde ich also auch diesmal wieder nicht sehen. Aber falls ihr euch im Sommer auf den Weg in den Süden macht, dann nutzt die Gelegenheit, ab und zu mal nach oben zu sehen. Denn was es dort zu sehen gibt, seht ihr nur dort!
Alle Artikel aus der Serie “Erdkugelgeschichten”
Einleitung: Die Erde ist nicht flach und das ist gut so
Sternengeschichten Folge 293: Al-Biruni und die Größe der Erdkugel (erscheint am 06.07.2018)
Erdkugelgeschichten 01: Das Kreuz des Südens und der Himmel auf der anderen Hälfte der Erde (erscheint am 09.07.2018)
Erdkugelgeschichten 02: Der Sonnenuntergang kommt später als man denkt (erscheint am 10.07.2018)
Erdkugelgeschichten 03: Zu groß um flach zu sein: Der Future Circular Collider und die Zukunft der Teilchenphysik (erscheint am 11.07.2018)
Erdkugelgeschichten 04: Perseiden, Sternschnuppen und Plädoyer für das frühe Aufstehen (erscheint am 12.07.2018)
Sternengeschichten Folge 294: Warum sind Planeten rund? (erscheint am 13.07.2018)
Erdkugelgeschichten 05: Terraforming Mars: Wie kriegt ein Planet ein Magnetfeld? (erscheint am 16.07.2018)
Erdkugelgeschichten 06: Mach es wie die Sonnenuhr: Zeitmessung für alle! (erscheint am 17.07.2018)
Erdkugelgeschichten 07: Der blaue Himmel, die rote Sonne und die runde Erde (erscheint am 18.07.2018)
Erdkugelgeschichten 08: Flache Erde oder Erdkugel – Wer profitiert von der Verschwörung? (erscheint am 19.07.2018)
Sternengeschichten Folge 295: Mondfinsternisse und der “Blutmond” (erscheint am 20.07.2018)
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