Warum ist der Himmel blau? Das ist eine der ganz klassischen Fragen; eine der Fragen über ein Phänomen das so offensichtlich ist, dass es schon eine Leistung an sich ist, sie überhaupt zu stellen. Der Himmel ist blau; das sehen wir von dem Moment an, in dem wir sehen können immer wieder; jeden Tag, unser ganzes Leben lang (zumindest dann wenn gutes Wetter ist). Der blaue Himmel ist so allgegenwärtig das man fast vergisst, dass auch dieses Phänomen einen Grund haben muss. Und wie bei fast allen solcher “offensichtlichen” Beobachtungen kann man erstaunlich weitreichende Erkenntnisse daraus ableiten.

Blauer Himmel über Jena

Blauer Himmel über Jena

Warum der Himmel blau ist, ist heute kein großes Geheimnis mehr. Nein, es liegt nicht daran, dass die Wolken das Wasser der Ozeane reflektieren (hat das wirklich irgendwann mal jemand ernsthaft für eine vernünftige Erklärung gehalten?). Aber es ist interessant, wie lange es gedauert hat, bis wir es wirklich verstanden haben. Die ersten vernünftigen Beschreibungen gab es im 19. Jahrhundert. Zuerst von John Tyndall (über dessen Leben und Werk ich hier sehr viel mehr erzählt habe) und John Strutt, besser bekannt als Lord Rayleigh. Beide beschrieben wie Licht an Kolloiden gestreut wird. “Kolloide” ist der wissenschaftliche Begriff für “kleines Zeug” und Tyndall bzw. Rayleigh meinten damit Staubkörner, kleine Wassertropfen, Rußpartikel oder ähnliches. Besonders Rayleigh beschäftigte sich intensiv damit und beschrieb in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts, dass die Stärke der Streuung von der Wellenlänge des Lichts abhängt: Je kürzer die Wellenlänge, desto stärker wird das Licht abgelenkt, wenn es durch ein Medium voller Kolloide geht.

Die Hypothese damals lautete also: Licht bewegt sich von der Sonne zur Erde durch die Erdatmosphäre. Von den dort befindlichen Kolloiden wird es gestreut. Der blaue Anteil des Lichts stärker als der rote. Oder anders gesagt: Der blaue Anteil des Lichts wird in alle Richtungen verstreut, der Rest weniger stark. Deswegen erscheint uns die Sonne eher gelb, obwohl sie rein weißes Licht abstrahlt. Der blaue Anteil dieses weißen Lichts fehlt aber; der wird abgelenkt und trifft aus allen möglichen Richtungen vom Himmel auf unsere Augen. Deswegen ist der Himmel blau.

Der Tyndall-Effekt

Der Tyndall-Effekt

Die Erklärung ist soweit korrekt. Nur das mit den Kolloiden hat nie so richtig hingehauen. Damit das mathematisch und physikalisch richtig hinhaut, braucht es noch kleinere Partikel. Man vermutete, dass die Streuung des Lichts nicht an den Kolloiden geschieht, sondern direkt an den Sauerstoff- und Stickstoffmolekülen der Luft. Nur: Zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert waren auch Moleküle nur eine Hypothese. Niemand hatte ihre Existenz direkt nachgewiesen. Das gelang erst Albert Einstein, mehr oder weniger zumindest. Im Jahr 1905 hat er nicht nur die spezielle Relativitätstheorie veröffentlicht und die Arbeit über den photoelektrischen Effekt die zu einer der Grundlagen der Quantenmechanik werden sollte. Sondern auch zwei Arbeiten die sich mit Molekülen beschäftigte. Einmal seine Dissertation (“Eine neue Bestimmung der Moleküldimensionen”) und einen Artikel mit dem sperrigen Titel “Über die von der molekularkinetischen Theorie der Wärme geforderte Bewegung von in ruhenden Flüssigkeiten suspendierten Teilchen”. Zusammen gaben sie das erste brauchbare mathematische Modell zur Beschreibung von Molekülbewegungen und einen durch Beobachtungen der Brownschen Bewegung gestützten Beleg für die Existenz der Moleküle (siehe hier für mehr Informationen). Damit konnte man auch vernünftig erklären, wie das mit der Rayleigh-Streuung und der blauen Farbe des Himmels funktioniert.

Roter Himmel über Usedom

Roter Himmel über Usedom

Nicht erklärt werden konnte damit die sogenannte “blaue Stunde”, also die besondere blaue Farbe kurz nach Einbruch bzw. Ende der Dämmerung. Das wurde erst 1952 erklärt und zwar durch die Absorption roter/gelber Lichtwellen durch Ozon in der oberen Atmosphäre. Wir lassen die Nacht aber vorerst Nacht sein und gehen zurück zum Sonnenuntergang. Denn so blau der Himmel untertags ist, so kitschig rot-orange kann er während des Sonnenuntergangs (oder -aufgangs) werden. Das liegt am gleichen Rayleigh-Effekt wie vorhin. Nur muss das Sonnenlicht nun wesentlich mehr Atmosphäre durchqueren als vorher. Es kommt ja jetzt quasi horizontal auf uns zu und nicht mehr direkt von oben (wie das Mittags der Fall ist). Da das Sonnenlicht also jetzt eine größere Strecke durch die Atmosphäre zurück legen muss, wird der blaue Anteil auch viel stärker gestreut. So stark, dass die Sonne nicht mehr weiß und auch nicht mehr gelb erscheint, sondern tatsächlich tiefrot. Und wenn dann noch ein Schwung Kolloide in der Luft sind (Qualm, Smog, Staub, etc), wird es nochmal extra kitschig, was die rotfärbung angeht.

Aber das war jetzt nur die Standarderklärung von blauem Himmel und roter Sonne. Richtig interessant ist es, was man daraus noch alles lernen kann, wenn man genauer darüber nachdenkt. Zum Beispiel folgt aus der Färbung von Himmel und Sonne, dass die Sonne weit von der Erde entfernt und die Erde eine Kugel sein muss. Aus Sicht der gesamten Erde kommen die Sonnenstrahlen immer aus der gleichen Richtung (es ist ja auch die Erde die sich bewegt und nicht die Sonne) und weil die Sonne 150 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist, treffen die Strahlen quasi parallel auf die Erde auf. Wie lang der Weg des Sonnenlichts durch die Atmosphäre ist, hängt also vor allem davon ab, wie hoch die Sonne von der Erde aus gesehen am Himmel steht:

himmelblau1

Wäre die Sonne der Erde aber sehr nahe, dann würde ihr Licht unter unterschiedlichen Winkeln auf die Erdoberfläche treffen; die Farbe des Himmels würde dann also (vereinfacht gesagt) auch von der Position auf der Erde abhängen.

himmelblau2

Und es folgt auch, dass die Erde eine Kugel sein muss und nicht etwa flach. Abgesehen davon, dass das auch aus circa einer Million anderer Fakten folgt, müsste man dann ja irgendwie erklären, warum es auf der Erde immer gleichzeitig Orte gibt an denen es Tag ist und andere, an denen Nacht herrscht. Das geht nur, wenn man sich eine Sonne vorstellt, die wie ein scharf begrenzter Scheinwerfer ihr Licht nur auf einen kleinen Teil der gesamten Erdscheibe wirft und beständig über dieser Scheibe kreist (hinter/unter der Scheibe untergehen darf sie ja nicht, denn ansonsten wäre es überall auf der Erde gleichzeitig dunkel). So eine Scheinwerfersonne würde zwar ebenfalls einen blauen Himmel erzeugen. Aber mit einem roten Sonnenuntergang würde es schwierig. Denn ein eng begrenzter Lichtkegel sorgt auch immer für Strahlen, die fast direkt von oben kommen. Damit in so einem Modell Licht auch von der Seite kommen kann, was nötig ist für den längeren Weg durch die Atmosphäre der das Licht rot färbt, muss die Scheinwerfersonne quasi direkt auf der Erdscheibe sitzen (Was absurd wäre, aber nicht weniger absurd als eine Scheibenerde selbst und insofern natürlich kein Gegenargument darstellt – wer mit dem einen kein Problem hat, wird auch die Absurdität des anderen gerne ignorieren).

himmelblau3

Man muss über all das nicht nachdenken, wenn man einen schönen blauen Sommerhimmel betrachtet oder einen kitschigen Sonnenuntergang (bzw. einen Sonnenaufgang, den ich ja viel schöner finde). Aber man kann darüber nachdenken und sich dann nicht nur an der Schönheit der Natur erfreuen sondern auch daran, dass man versteht was hier passiert!


Alle Artikel aus der Serie “Erdkugelgeschichten”
Einleitung: Die Erde ist nicht flach und das ist gut so
Sternengeschichten Folge 293: Al-Biruni und die Größe der Erdkugel (erscheint am 06.07.2018)
Erdkugelgeschichten 01: Das Kreuz des Südens und der Himmel auf der anderen Hälfte der Erde (erscheint am 09.07.2018)
Erdkugelgeschichten 02: Der Sonnenuntergang kommt später als man denkt (erscheint am 10.07.2018)
Erdkugelgeschichten 03: Zu groß um flach zu sein: Der Future Circular Collider und die Zukunft der Teilchenphysik (erscheint am 11.07.2018)
Erdkugelgeschichten 04: Perseiden, Sternschnuppen und Plädoyer für das frühe Aufstehen (erscheint am 12.07.2018)
Sternengeschichten Folge 294: Warum sind Planeten rund? (erscheint am 13.07.2018)
Erdkugelgeschichten 05: Terraforming Mars: Wie kriegt ein Planet ein Magnetfeld? (erscheint am 16.07.2018)
Erdkugelgeschichten 06: Mach es wie die Sonnenuhr: Zeitmessung für alle! (erscheint am 17.07.2018)
Erdkugelgeschichten 07: Der blaue Himmel, die rote Sonne und die runde Erde (erscheint am 18.07.2018)
Erdkugelgeschichten 08: Flache Erde oder Erdkugel – Wer profitiert von der Verschwörung? (erscheint am 19.07.2018)
Sternengeschichten Folge 295: Mondfinsternisse und der “Blutmond” (erscheint am 20.07.2018)

Kommentare (11)

  1. […] Mach es wie die Sonnenuhr: Zeitmessung für alle! (erscheint am 17.07.2018) Erdkugelgeschichten 07: Der blaue Himmel, die rote Sonne und die runde Erde (erscheint am 18.07.2018) Erdkugelgeschichten 08: Flache Erde oder Erdkugel – Wer profitiert […]

  2. #2 schlappohr
    18. Juli 2018

    Müsste eine Sonne im geringen Abstand zur Erde dann nicht auch farbige Halos besitzen (ich meine visuell in der Atmosphäre)? Die divergierenden Lichtstrahlen würden schon örtlich begrenzt in verschiedenen Winkeln auf die Atmosphäre treffen und unterschiedlich gebrochen.

    Warum werden Sonnenuntergänge eigentlich immer als kitschig bezeichnet? Einen bunten Herbstwald (“Indian Summer”) oder eine blühende Blumenwiese nennt auch niemand kitschig. Warum wird also die Sonne zu einem Kitschobjekt, wenn sie nahe des Horizonts steht? Ich bitte doch um etwas mehr Respekt vor meinem Lieblingsfotomotiv :-).

  3. #3 Alderamin
    18. Juli 2018

    Wie stellt eine Scheinwerfersonne es eigentlich an, hinter dem Horizont zu verschwinden? Und immer kugelförmig zu sein, wo ist die Sichtblende? Müssten die Sonnenflecken sich nicht perspektivisch verschieben, je nachdem von wo aus man sie betrachtet? Wie schafft sie es, einen Erdschatten auf den Mond zu werfen? Und Mondphasen zu erzeugen?

    Fragen über Fragen. Welcher Flacherdler ist kompetent genug, uns hier weiter zu helfen?

  4. #4 Spritkopf
    18. Juli 2018

    @Alderamin

    Welcher Flacherdler ist kompetent genug, uns hier weiter zu helfen?

    Ich bin zwar nicht so kompetent wie die Flacherdler, kann dir aber gern mit einem von ihnen genannten Argument aushelfen: Wenn die Scheinwerfersonne hinterm Horizont verschwindet, musst du halt ein Fernglas mit genügend starker Vergrößerung auf die Stelle richten, wo sie verschwunden ist und – schwupps! – wird sie wieder sichtbar.

  5. #5 schlappohr
    18. Juli 2018

    “Wie schafft sie es, einen Erdschatten auf den Mond zu werfen? Und Mondphasen zu erzeugen?”

    Das tut sie nicht. Der Mond ist teiltransparent und von innen mit einem rotierenden Scheinwerfer beleuchtet, der immer nur eine Hälfte anstrahlt. Bei einer Mondfinsternis wird der Scheinwerfer auf rot umgeschaltet (die ersten zweifarbigen LEDs sind schon kurz nach dem Urknall entstanden, das haben unabhängige Wissenschaftler herausgefunden). Bei einer Sonnenfinsternis wird der Scheinwerfer für ein paar Minuten ausgeschaltet, um Energie zu sparen. Du siehst, das passt alles zusammen und ist die bei weitem einfachste Erklärung für das alles.

  6. #6 Bullet
    18. Juli 2018

    @Spritti:

    Wenn die Scheinwerfersonne hinterm Horizont verschwindet, musst du halt ein Fernglas mit genügend starker Vergrößerung auf die Stelle richten, wo sie verschwunden ist und – schwupps! – wird sie wieder sichtbar.

    Hä? “genügend starke Vergrößerung”? Warum denn? Die Sonne ist doch nicht plötzlich so viel weiter entfernt. Außerdem kann man unsere Sonne noch in einer Entfernung von 30 Lichtjahren ohne Fernglas sehen. Und in “üblicher” Entfernung sollte man das TUNLICHST unterlassen.

  7. #7 Bullet
    18. Juli 2018

    (Ich hab den verlinkten Kommentar natürlich gelesen. Aber eine so starke Strahlungsquelle wie die Sonne ist gegen “heranzoomen und dann siehste” ziemlich immun, newar?)

  8. #8 Spritkopf
    18. Juli 2018

    @Bulli

    Hä? “genügend starke Vergrößerung”? Warum denn? Die Sonne ist doch nicht plötzlich so viel weiter entfernt.

    Hat der gute Herr Blaser doch erklärt. Alderamin hätte bei seinem Schiffsbild nur etwas stärker zoomen müssen, dann kann man auch um Ecken gucken.

    Aber wie schon gesagt: Mir fehlt die Kompetenz, um dir die Hintergründe zu erläutern. Frag halt einen Flacherdler.

  9. #9 Fluffy
    18. Juli 2018

    Über zwei Dinge lässt sich vortrefflich palavern plaudern,
    über leere Mengen und über Tautologien
    Zu ersterem gehören die Flacherdler, zu zweiterem die Aussage:

    Der Himmel ist blau, weil die Lichtstreuung im Blauen stärker ist.

    Flacherdler gibt es praktisch nicht, und wenn dann machen sie einen Joke. (A propos, es gibt auch Leute, die behaupten, dass sie z.B. Jesus sind)

    Die Erklärung des blauen Himmels durch stärkere Streuung an kleinen Teilchen mittels Mie-Theorie (Lösung der Maxwell-Gleichung für Kugeln mit anderem Brechungsindex als Luft) ist völlig anders als die der Streuung an Molekülen. (Der harmonische Oszillator erklärt hier gar nichts, er dient nur zur Berechnung.)
    Also, warum streut Blau stärker als Rot an einem Molekül?

  10. #10 P. Berberich
    24. Juli 2018

    Da heute der Himmel so schön blau war, hier meine kurze Antwort: das einfallende elektromagnetische Wechselfeld induziert im Molekül ein oszillierendes Dipolmoment. Es werden also Ladungen beschleunigt. Beschleunigte Ladungen strahlen ab. Für eine harmonische Schwingung gilt: d2x/dt2= -w²x (Kreisfrequenz w). Die abgestrahlte Intensität variiert also proportional zu w^4 (Rayleigh-Streuung). Dies gilt nur für Abmessung des Atoms klein gegen die Wellenlänge. Im anderen Fall verringert Interferenz der Streuwellen die Frequenzabhängigkeit (Mie-Streuung). Dies wird in den Feynman Lectures I/28,I/32 und II/21 ausführlich erklärt.

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