“Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die schönen Stunden nur.” Solche Sätze habe ich früher Leuten ins Stammbuch geschrieben – aber mittlerweile weiß vermutlich niemand mehr, was das überhaupt ist. Also legen wir die Kinderpoesie beiseite und konzentrieren uns auf die Sonnenuhr. Denn die ist heute immer noch so cool wie früher.
Und “früher” heißt hier wirklich früher. Die Sonne ist DIE Uhr, die “Ur-Uhr” quasi; das Ding, das den Menschen von Anfang an dabei geholfen hat, die Zeit in den Griff zu kriegen. Der stetige Wechsel von Tag zu Nacht ist der fundamentale Rhythmus des Lebens auf der Erde. Er findet statt, weil wir auf einem Planeten leben, der sich um seine Achse dreht und dabei von der Sonne beschienen wird. Eine Hälfte der Erdkugel ist immer hell und eine Hälfte ist immer dunkel.
So weit, so simpel. Ebenso simpel ist die Tatsache, dass sich die Erde dreht; einmal um ihre Achse innerhalb von 24 Stunden. Wenn wir uns einen konkreten Ort vorstellen – zum Beispiel Jena, der Ort an dem ich lebe – dann ist Jena entweder auf der beleuchteten Hälfte der Erde oder auf der wo es dunkel ist. Je nachdem ist dort Tag oder Nacht. Wirklich interessant wird es aber nun, wenn es um die Frage nach der konkreten Uhrzeit geht.
Die Sonne geht – logischerweise – immer direkt am Horizont auf. Das ist genau der Moment, in dem sich die Erde so weit gedreht hat, dass Jena (wir bleiben jetzt mal bei diesem Beispiel) von den Sonnenstrahlen erreicht werden kann, die einen Moment zuvor noch von der Erde blockiert worden sind (obwohl das mit dem “Moment” auch recht knifflig sein kann – siehe hier). Und weil sich die Erde von Westen nach Osten dreht, tauchen die ersten Sonnenstrahlen auch im Osten auf. Danach sehen wir, wie die Sonne immer höher den Himmel hinauf wandert und zwar nach Süden. Das tut sie in der Realität natürlich nicht; sie bleibt immer dort wo sie ist, mitten im Zentrum des Sonnensystems. Aber da die Erde sich dreht, sieht es für uns so aus, als würde sie am Himmel wandern. Irgendwann hat sie den höchsten Punkt an unserem Himmel erreicht und diesen Zeitpunkt nennen wir “Mittag”.
Je größer der Winkel zwischen den einfallenden Sonnenstrahlen und der aus unserer Sicht Vertikalen (also der Linie von unseren Füßen durch unseren Kopf in Richtung Himmel), desto flacher steht die Sonne am Himmel. Bei Sonnenaufgang kommt das Licht wie gesagt direkt vom Horizont, also quasi im rechten Winkel von 90 Grad auf uns zu. Sollte die Sonne direkt über unserem Kopf stehen, dann beträgt der Winkel zwischen der Vertikalen und den Sonnenstrahlen 0 Grad. Danach wächst der Winkel wieder, bis das Licht bei Sonnenuntergang wieder direkt vom (westlichen) Horizont zu uns kommt. Ich hab mal probiert, das hier zu skizzieren:
Im Laufe eines Tages ändert sich also der Winkel und die Richtung, unter dem wir die Sonnenstrahlen auf der Erde eintreffen sehen. Und genau das ermöglicht es uns, eine Sonnenuhr zu bauen. Im Prinzip ist es ganz simpel. Man steckt einen Stock in die Erde, schaut auf welchen Punkt am Boden der Schatten fällt und markiert ihn. Das macht man mehrmals im Laufe eines Tages bis man den ganzen Bereich hat, den der Schatten zwischen Sonnenauf- und -untergang überstreicht. Den kann man nun in beliebige Einheiten unterteilen und sie zum Beispiel “Stunden” nennen.
Genau so hat man vor Jahrtausenden schon das Verstreichen der Zeit markiert; Konstruktionen wie Stonehenge oder die 7000 Jahre alte Kreisgrabenanlage von Goseck zeigen das noch heute. Und was damals funktioniert hat, kann man heute noch genau so basteln.
Eine solche simple Sonnenuhr ist allerdings nicht extrem genau. Will man es besser machen, muss man ein paar Details berücksichtigen. Zum Beispiel die Tatsache, dass die Erde eine Kugel ist und es einen Unterschied macht, ob man etwa direkt am Äquator wohnt oder weiter nördlich bzw. südlich. Wie hoch die Sonne am Himmel überhaupt steigen kann, hängt von der geografischen Breite ab. Direkt am Äquator steigt die Sonne quasi senkrecht nach oben; weiter nördlich macht sie sich schräg auf den Weg über den Himmel und der Winkel hängt von der geografischen Breite ab (und an den Polen bewegt sie sich parallel zum Horizont). Die Höhe der Sonne bestimmt natürlich welchen Schatten sie werfen kann, weswegen der schattenwerfende Stab unter einem entsprechenden Winkel ausgerichtet werden muss, um das zu kompensieren.
Und dann kommen noch die Effekte der Jahreszeiten dazu: Wir allen wissen, dass die Tage im Sommer länger sind als im Winter, was daran liegt, dass die Erdachse nicht senkrecht auf die Ebene steht, in der sich die Erde um die Sonne bewegt, sondern um 23,5 Grad daraus geneigt ist. Tag und Nacht sind daher je nach Jahreszeit nicht gleichmäßig über Nord- und Südhalbkugel verteilt. Im Sommer neigt sich die Nordhalbkugel in Richtung Sonne und deswegen ist mehr als die Hälfte der Nordhalbkugel beleuchtet und der Zeitraum, den man während einer Erdrotation im Dunkeln verbringen muss, ist kürzer. Auf der Südhalbkugel ist es zu der Zeit genau umgekehrt, hier verbringt man mehr Zeit im Schatten, weil diese Hälfte der Erde von der Sonne weg geneigt ist. Ein halbes Jahr später dreht sich alles um und die Tage auf der Nordhalbkugel sind kürzer, während sie im Süden länger sind. Außerdem ist die Bahn der Erde um die Sonne kein exakter Kreis, sondern eine Ellipse. Dadurch ändert sich der Abstand zwischen Erde und Sonne im Laufe eines Jahres ein wenig und auch die Geschwindigkeit der Erde, mit der sie sich um die Sonne bewegt. Auch das hat Einfluss auf die Dauer des hellen Tages.
Diese Effekte werden im Phänomen des “Analemmas” zusammengefasst über das ich hier sehr ausführlich gesprochen habe. Will man eine wirklich genaue Sonnenuhr bauen, muss man das berücksichtigen. Und selbst dann kann man auf einer Sonnenuhr nicht die gleiche Zeit ablesen, die unsere Uhren anzeigen. Denn das ist die sogenannte “Zonenzeit”, während die Sonnenuhr – wenig überraschend – die “wahre Sonnenzeit” anzeigt. Die Details der Zeitrechnung sind komplex (und ich habe hier, hier oder hier mehr dazu gesagt). Aber vereinfacht gesagt gilt die wahre Sonnenzeit immer nur für einen ganz bestimmten Ort auf der Erde. Es ist die Lokalzeit, die Zeit die man bekommt, wenn man 12 Uhr Mittags als den Zeitpunkt definiert, an dem die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht hat. Und da die Erde eine Kugel ist, die sich um ihre Achse dreht, ist das nicht überall gleich. Wenn die Sonne in Jena ihren höchsten Punkt erreicht hat, ist es weiter westlich noch lange nicht Mittag. In den USA etwa steht die Sonne noch tief am Himmel oder gar unter dem Horizont. Dort ist es noch Nacht oder früher Morgen. Erst wenn sich die Erde (und damit die USA) ein Stück weiter nach Osten gedreht hat, wird auch dort die Sonne höher am Himmel stehen. In Jena ist sie dann aber schon wieder fast hinter dem westlichen Horizont verschwunden.
Früher war es kein Problem, wenn jeder Ort seine eigene Zeit hatte. Für die Leute in Jena war es vollkommen egal, wie spät es zum Beispiel gerade im westlich gelegenen Köln ist. Wenn man von Jena nach Köln wollte, war man sowieso mehrere Tage unterwegs; ein Unterschied in der Lokalzeit von ein paar Minuten war da egal. Aber als dann Eisenbahnen durchs Land fuhren, Telegrafenkabel gespannt wurden und alles zusammen wuchs, brauchte man auch eine gemeinsame Zeit. Deswegen gibt es heute in Deutschland überall die gleiche Zonenzeit und zwar die Mitteleuropäische Zeit (MEZ) bzw. im Sommer die Mitteleuropäische Sommerzeit (MESZ). Es handelt sich dabei um die Sonnenzeit, die exakt nur am 15. Längengrad östlich von Greenwich gilt. Nur dort (in Deutschland in der Umgebung von Görlitz) stimmen Sonnenzeit und Zonenzeit überein (ich habe hier und hier über den 15. Längengrad in Deutschland und Österreich berichtet); überall sonst weichen sie voneinander ab. Was wir aber ignorieren, weil es einfach praktischer ist.
Man kann eine Sonnenuhr natürlich auch so konfigurieren, dass sie auch das (ansatzweise) berücksichtigt. Aber dann wird es wirklich kompliziert. Es macht meiner Meinung nach viel mehr Spaß, wenn man einfach im Garten, am Strand oder wo immer man sich an einem schönen sonnigen Tag gerade aufhält, ein wenig mit Stöcken, Steinen und Schatten experimentiert und eine simple Sonnenuhr baut. Und wer es – ohne viel Arbeit – genauer haben will, dem kann ich diese Seite empfehlen. Hier kann man sich per Google Maps den gewünschten Standort suchen, dort sogar noch die Wand des Hauses markieren an der man die Sonnenuhr unterbringen will und bekommt automatisch eine passen d beschriftete und konfigurierte Sonnenuhr geliefert, die man nur noch ausdrucken, ausschneiden und ans Fenster kleben muss.
Ich wünsche viel Spaß beim Basteln. Und würde mich sehr freuen, wenn ihr in den Kommentaren von euren selbstgebauten Sonnenuhren berichtet!
Alle Artikel aus der Serie “Erdkugelgeschichten”
Einleitung: Die Erde ist nicht flach und das ist gut so
Sternengeschichten Folge 293: Al-Biruni und die Größe der Erdkugel (erscheint am 06.07.2018)
Erdkugelgeschichten 01: Das Kreuz des Südens und der Himmel auf der anderen Hälfte der Erde (erscheint am 09.07.2018)
Erdkugelgeschichten 02: Der Sonnenuntergang kommt später als man denkt (erscheint am 10.07.2018)
Erdkugelgeschichten 03: Zu groß um flach zu sein: Der Future Circular Collider und die Zukunft der Teilchenphysik (erscheint am 11.07.2018)
Erdkugelgeschichten 04: Perseiden, Sternschnuppen und Plädoyer für das frühe Aufstehen (erscheint am 12.07.2018)
Sternengeschichten Folge 294: Warum sind Planeten rund? (erscheint am 13.07.2018)
Erdkugelgeschichten 05: Terraforming Mars: Wie kriegt ein Planet ein Magnetfeld? (erscheint am 16.07.2018)
Erdkugelgeschichten 06: Mach es wie die Sonnenuhr: Zeitmessung für alle! (erscheint am 17.07.2018)
Erdkugelgeschichten 07: Der blaue Himmel, die rote Sonne und die runde Erde (erscheint am 18.07.2018)
Erdkugelgeschichten 08: Flache Erde oder Erdkugel – Wer profitiert von der Verschwörung? (erscheint am 19.07.2018)
Sternengeschichten Folge 295: Mondfinsternisse und der “Blutmond” (erscheint am 20.07.2018)
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