Der Artikel ist Teil einer Serie zum Buch ”Die Himmelsscheibe von Nebra – Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas”* von Harald Meller und Kai Michel. Die restlichen Artikel der Serie findet man hier.
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Die Serie über die Himmelsscheibe von Nebra steuert langsam auf den Höhepunkt zu. Dieses faszinierende Ding aus der Bronzezeit ist eines der bedeutsamsten geschichtlichen und wissenschaftlichen Objekte das wir je aus der Erde geholt haben. Warum das so ist hab ich in den ersten 11 Teilen meiner Serie schon erklärt (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8, Teil 9, Teil 10, Teil 11).
Dann ging es um die Frage, welche Gesellschaft vor fast 4000 Jahren in der Lage war, so ein Objekt zu erschaffen. Das in ihr verschlüsselte Wissen ist nur für eine Hochkultur von Nutzen und es braucht eine Hochkultur, um dieses Wissen zu gewinnen. So eine bronzezeitliche Hochkultur war in Mitteldeutschland aber noch nicht bekannt. Wie man aus den Erkenntnissen der Himmelsscheibe, aus den Ausgrabungen von Hügelgräbern und anderen Daten diese Hochkultur langsam aber sicher ans Licht gebracht hat – unter anderem einen potentiellen Bronzezeit-König (!) – kann in den letzten 7 Teilen der Serie nachlesen (Teil 12, Teil 13, Teil 14, Teil 15, Teil 16, Teil 17, Teil 18).
Im letzten meiner Serie über das Buch von Harald Meller und Kai Michel zur Himmelsscheibe von Nebra ging es um die Frage, wie das Wissen über die Herstellung von Bronze zur Entstehung der Hochkultur geführt hat, die schließlich auch die Scheibe selbst hervorgebracht. Es braucht so ein geheimes “Herrschaftswissen” um die Autorität der Elite über Jahrhunderte aufrecht zu erhalten. Aber um ein großes Reich so lange beherrschen zu können, braucht es noch mehr. Es braucht eine Verbindung zum Himmel; eine “göttliche” Legitimierung der Herrschaft. Und dafür braucht es “charismatische” Orte.
Einer davon ist natürlich Stonehenge. Heute reisen unzählige Menschen dort hin, weil sie von der Aura des Alters fasziniert sind und von dem Geheimnis, dass diesen Steinkreis immer noch zu umgeben scheint. Aber damals, als Stonehenge vor fast 5000 Jahren errichtet worden ist, war das natürlich nicht das, was den Ort ausgezeichnet hat. Sondern Schmelzwasser der letzten Eiszeit. Ok, das ist die moderne Erklärung. Aber es gibt dort drei markante Rinnen im Boden – die eben vom Wasser der Eiszeit erzeugt wurden – die per Zufall genau auf den Punkt einer nahegelegenen Anhöhe zeigen wie die Sonne zur Wintersonnenwende untergeht und in die andere Richtung auf den Punkt des Sonnenaufgangs zur Sommersonnenwende zeigen. Diese “kosmische Verbindung” muss den Menschen damals aufgefallen sein; sie haben den Ort als von den Göttern außerwählt betrachtet. Und ihn entsprechend genutzt.
Wir vergessen heute, wo die Dinge natürlich ganz anders liegen, ganz gerne, dass die Religion früher ein Weg war, die Welt zu verstehen. Eine Welt, die man sich als von übernatürlichen Mächten beeinflusst dachte. Beziehungsweise gar nicht anders denken konnte; es war der einzige Kontext im dem die Natur und ihre Erscheinung interpretiert werden konnte. Es braucht also Wege, um mit diesen außerweltlichen Mächten kommunizieren zu können um die Vorgänge in der Welt zu beeinflussen. Das passierte an Orten wie Stonehenge, einem “Interface” zwischen Himmel und Erde. Die besonderen Eigenschaften; die Orientierung an den Vorgängen im Himmel waren ein Zeichen der Götter. Und das galt auch für die außergewöhnlichen, “charismatischen” Menschen: Auch sie hatten ihre Eigenschaften den Göttern zu verdanken und wer von den Göttern außerwählt wird, der ist auch zur Herrschaft legitimiert.
Aber so ein Charisma lässt sich nicht dauerhaft aufrechterhalten. Das Beeindruckende wird irgendwann alltäglich und wenn man dauerhaft, d.h. über mehrere Generationen herrschen und Herrschaftsmacht vererben will, braucht es andere Strukturen. Dann muss man die Macht über charismatische Orte wie eben Stonehenge beziehen. Wer an solchen Orten ein Heiligtum baut und den Menschen Zugang zum Himmel verschafft, der hat eine dauerhaftere Basis für die Herrschaft geschaffen. Wie mächtig die Aura von Orten wie Stonehenge ist, haben auch die Glockenbecherleute bei ihren Reisen erfahren. Und als sich diese Kultur dann in Mitteldeutschland zum Reich von Aunjetitz gewandelt hat, hat sie diese Idee mitgenommen.
Und zwar nach Pömmelte: Dort im Norden von Sachsen-Anhalt hat man 2005 eine Kreisgrabenanlage entdeckt, die heute den Namen “Ringheiligtum von Pömmelte” trägt. Und gleich nebenan noch ein zweites, die Kreisgrabenanlage von Schönebeck. Beide gehören zum Reich von Aunjetitz – und sie zeigen wie sich die Macht seiner Herrscher etabliert hat.
Auch wenn man es immer wieder mal liest (und ich als Astronom das gerne hätte), waren solche Anlagen (ebenso wie die in Stonehenge), keine vorzeitlichen Sternwarten (über die die Gefahren der Archäoastronomie hab ich ja schon geschrieben). Sicherlich waren sie an markanten astronomischen Positionen ausgerichtet. Aber viel mehr waren es die Multifunktionshallen ihrer Zeit. Dort gab es Feste, Märkte, Zeremonien, Begräbnisse – und eben die einmalige und wichtige Verbindung zu den außerweltlichen Mächten. Aus dem künstlichen Horizont der Holzpalisaden konnte man die Sonne an markanten Tagen auf- und untergehen sehen und an der Macht der Götter teilhaben. Eine Macht, aus der auch die Herrscher ihre Macht ableiteten.
Und da kommen wir zu einem kritischen Thema der Archäologie: Menschenopfer! Es ist schwer, sie einwandfrei nachzuweisen und leicht, in hysterische Schlagzeilen zu verfallen. Aber was man in Pömmelte ausgegraben hat, kann kaum etwas anderes gewesen sein. Jede Menge Skelette von Frauen und Kindern; mit Zeichen von tödlichen Wunden die ihnen unmittelbar vor der Bestattung zugefügt werden müssen. Obwohl “Bestattung” übertrieben ist: Die Leichen wurden in eine Grube geschmissen, wild durcheinander, mit abgehackten Körperteilen und allen Grausamkeiten die man sich vorstellen kann. Kriegsgefangene waren es nicht; es waren Angehörige der Glockenbecherkultur die auch das Ringheiligtum errichtet haben.
Die These: Herrschaft kann zwar göttlich legitimiert werden. Aber es braucht eine “Rückbindung an die Wirklichkeit”: Nur weil jemand behauptet, ein Liebling der Götter und zum Herrschen auserwählt zu sein, wird ihm noch niemand glauben, nicht mal in der Bronzezeit. Die zu beherrschenden Menschen müssen die behauptete Macht zuerst einmal real erfahren. Und wenn jemand die Mach über Leben und Tod für sich beansprucht, öffentlich Menschen opfert und die Götter NICHT einschreiten, dann ist das eine außerordentliche Demonstration. Menschenopfer findet man überall dort, wo die ersten Staaten entstanden sind und wenn wir davon ausgehen, dass sich zur Zeit der Errichtung des Heiligtums in Pömmelte das Reich von Aunjetitz etabliert hat, dann passen die Menschenopfer dort gut ins Bild.
Ebenso wie das jüngere Heiligtum von Schönebeck. Gebaut wurde es als Pömmelte noch stand und es war noch in Gebrauch als Pömmelte – absichtlich – zerstört wurde. Dort finde man keine Hinweise auf Gräber, keine Opfer. Die waren nicht mehr nötig. Die Herrscher von Aunjetitz hatten ihre Macht etabliert, die kosmischen Kräfte für sich beansprucht und ihre Legitimation war unumstritten und durch die hierarchischen Strukturen gesichert. Es hatte sich eine “kosmologische Ordnung” gebildet, also eine Herrschaft, die für sich – und nur für sich! – die Verbindung zu den Göttern beansprucht. Es fand eine “Vergöttlichung” der Herrscher statt, ausgelebt in und durch charismatische Strukturen wie die Ringheiligtümer.
Oder eben die Himmelsscheibe von Nebra, die ideale Fusion aller Legitimierungsgründe. Sie enthielt das kalendarische Wissen über den Himmel das die Organisation des Reichs ermöglichte. Sie demonstrierte das geheime Wissen der Herrscher über das Metall. Und demonstrierte als Interface zwischen Himmel und Erde die Verbindung zwischen Göttern und Herrschern.
Aber auch nichts hält ewig, auch nicht die Herrschaft derer, die einen Zugang zur Welt der Götter zu haben behaupten. Wie das Reich der Himmelsscheibe geendet hat und das Artefakt in den Boden gelangt ist, wo es für Jahrtausende geruht hat, wird Thema des morgigen Artikels sein.
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