Ich bin zwiegespalten hinsichtlich der Frage, ob ich Smartphones und deren Allgegenwärtigkeit als Gewinn oder Plage ansehen soll. Ich besitze selbst eins und habe oft schon von Möglichkeiten wie schnellen mobilen Internetrecherchen, dem instantanen Versenden von vor Ort aufgenommenen Photos und den verschiedenen Kommunikationswegen, die so ein Gerät eröffnet, profitiert. Andererseits verabscheue ich „Phubbing“, das ich für einen kolossale Unsitte halte und das dennoch so unglaublich verbreitet ist, daß es mich manchesmal regelrecht gruselt, wenn ich z.B. in einem Restaurant, aufgeschreckt durch die Stille um mich her, feststelle, daß an ca. 80% der anderen Tische sich zwar Menschen gegenübersitzen, aber statt miteinander mit kilometerweit entfernten anderen Menschen kommunizieren, die vielleicht auch gerade mit einem nicht-virtuellen Gesprächspartner an einem Tisch sitzen und diesen zu Gunsten ihres Smartphones ignorieren. Einmal habe ich gestoppt, wie häufig ein Mensch in meinem Sichtfeld zu seinem Smartphone gegriffen und auf das Vorliegen neuer Nachrichten o.ä. überprüft hat und über 20 Minuten hinweg ließ er das Gerät jeweils keine 45 Sekunden ruhen! Das ist kein Einzelfall und Smartphone-Sucht ist längst ein bekanntes Phänomen zu dessen Bekämpfung es in unübertrefflicher Ironie nun eine App gibt.

Dabei kann man Smartphones statt zum Abknallen adipöser, virtueller Vögel oder der Mitteilung des eigenen Erfolgs bei dieser erbaulichen Tätigkeit an entfernte Mitjäger tatsächlich auch sehr sinnvoll einsetzen. Diese hochgezüchteten und mit modernster Miniaturtechnologie ausgestatteten Geräte eignen sich nämlich u.a. für verschiedene wissenschaftliche Anwendungen (sogar eine forensische, über die ich ein andermal berichten werde), die richtigen Apps vorausgesetzt [1-3].

Besonders cool finde ich die „Solar-PCR-App“ [4]. Mit dieser App und einer kostengünstigen und nicht stromnetzabhängigen Apparatur kann man nämlich nun auch in Entwicklungsländern bzw. an Orten, an denen aus welchen Gründen auch immer gerade kein Strom zur Verfügung steht, eine PCR durchführen, angetrieben nur von Sonnenenergie. Die enorme Bedeutung der PCR, z.B. bei der medizinischen Virusdiagnostik, geht leider einher mit einem Bedarf an aufwendiger Technologie. Insbesondere das sequentielle Aufheizen auf ca. 95°C, Abkühlen auf ca. 60°C und wieder Aufheizen auf ca. 72°C ist nicht nur sehr energieaufwendig, sondern muß auch sehr präzise gesteuert werden, damit die PCR funktioniert. Normalerweise benötigt man dafür einen mehrere Tausend Euro teuren Thermocycler. David Erickson, Professor an der “Cornell’s Sibley School of Mechanical and Aerospace Engineering” hat nun eine Möglichkeit vorgestellt, die PCR mit einer solargetriebenen Apparatur durchzuführen, die von einem Smartphone überwacht wird.

 

(c) Biotechniques

Lens: Linse; Tilting stage: kippbare Auflagefläche; Mask and microfluidic chip: eine Art Blende und ein Chip mit dünnen Kapillaren, in denen sich die PCR-Chemikalien befinden; Thermocouple wires: Kabel für Thermoelemente

Auf dem Bild erkennt man die Apparatur. Die Linse wird gegen die Sonne ausgerichtet und zusammen mit der beweglichen Blende/Maske kann eine bestimmte Lichtintensität und damit Heizleistung eingestellt und schnell verändert werden. Das System wird dabei an die vorhandene Umgebungstemperatur und Sonnenlichtintensität angepasst.

Das Probenmaterial für die PCR wandert von der Mitte des Mikrofluidic-Chips mit konstanter Geschwindigkeit spiralförmig durch die Kapillaren nach außen und wieder zurück und durchläuft so Bereiche mit unterschiedlicher Temperatur, die durch die Blende scharf abgegrenzt werden. Die Temperaturen in den Zonen werden dabei beständig von Thermoelementen gemessen und die Messwerte werden in Echtzeit an das Smartphone übertragen, so daß die optimalen Werte (95°, 60°C, 72°C) überwacht werden können. Eine Spritzenpumpe drückt die Flüssigkeit in konstantem Tempo durch die Kapillare, so daß jeder Zyklus (= Durchfluß aller drei Temperaturzonen) etwa eine Minute und die gesamte PCR ca. eine halbe Stunde dauert.

Um die PCR auswerten zu können, wird dann das fertige Reaktionsprodukt in einen weiteren Chip eingefüllt, der mit einer Chemikalie vorbefüllt ist, die an DNA bindet und dabei Fluoreszenz abgibt, wenn sie mit Licht einer bestimmten Wellenlänge bestrahlt wird. Auch hier hilft das Smartphone: mit einer blauen LED erzeugt es fluoreszenzanregendes Licht und mit seiner Kamera registriert es das resultierende Fluoreszenzsignal. Eine weitere App kann dann diese Daten auswerten und interpretieren, z.B. indem sie feststellt, daß ein DNA-Fragment definierter Größe vorliegt, was dem Nachweis eines Virus entsprechen kann. Diese Feld-PCR-Apparatur mit App wurde auch bereits erfolgreich eingesetzt, um in Hautbiopsien von Kaposi-Sarkom-Patienten das HHV8 nachzuweisen und viele andere Anwendungen sind denkbar. Inzwischen laufen erste Testreihen in Kenja und Uganda, wo Technikern und Krankenschwestern beigebracht wird, DNA aus Patientenproben zu extrahieren und dann mittels Solar-PCR zu analysieren. Auf diese Weise schaffen sie derzeit 10 Proben am Tag.

Natürlich hat das System diverse Nachteile und Einschränkungen: es ist nicht sehr robust (so eine PCR kann, das weiß jeder Laborbiologe, bisweilen sehr heikel und pingelig sein) und man ist abhängig von einer guten Sonneneinstrahlung. Zudem ist man mit einem Chip und einer Einspritzapparatur auf bestimmte Reaktionszeiten festgelegt und auch die Anpassung der Annealingtemperatur (die vom Primerdesign abhängt) kann schwierig sein. Aber diese Probleme lassen sich erkennen und z.T. durch mehr Zubehör (z.B. verschiedene Blenden) beheben und der Ansatz ist in meinen Augen eine grandiose Idee, die sich als ungemein hilfreich für Regionen erweisen kann, wo PCR-Ergebnisse medizinisch notwendig aber keine Infrastruktur für eine Standard-PCR gegeben ist.

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Referenzen

[1]V. Oncescu, et al., “Smartphone based health accessory for colorimetric detection of biomarkers in sweat and saliva,” Lab Chip, 13:3232–8, 2013.

[2] V. Oncescu, et al., “Cholesterol testing on a smartphone,” Lab Chip, 14:759–63, 2014.

[3] S. Lee, et al., “A smartphone platform for the quantification of vitamin D levels,” Lab Chip, 14:1437–42, 2014.

[4] L. Jiang, et al., “Solar thermal polymerase chain reaction for smartphone-assisted molecular diagnostics,” Sci Rep, 4:4137, doi:10.1038/srep04137, 2014.

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Kommentare (9)

  1. #1 Bloody Mary
    24/04/2014

    Gewohnt cooler und horizonterweiternder Lesespaß.

    Freu mich schon, falls Du uns irgendwann, wenn es Dir zeitlich reinpasst, genaueres über die forensische Anwendung erzählst.

  2. #2 Cornelius Courts
    24/04/2014

    @BM: “wenn es Dir zeitlich reinpasst,”

    richtig vermutet. Bin im Moment sehr knapp, erzähle Dir bG mal, warum. Aber schön, Dich hier zu sehen 🙂

  3. […] um das bürgerschaftliche Wissen einzusammeln. ScienceBlogger Conelius Courts stellt diese Woche einige Apps vor, bei denen die Smartphones selbst als wissenschaftliche Geräte zum Einsatz kommen sollen – […]

  4. #4 rolak
    26/04/2014

    Gewinn oder Plage?

    Och damit habe ich, wohl aufgrund der IT-Lastigkeit, überhaupt keine Probleme: Beides¹.
    Und es ist immer wieder angenehm, neben täglich erlebtem Unsäglichen und dem ‘Üblichen’² von neuen sinnvollen Anwendungen zu lesen

    angetrieben nur von Sonnenenergie

    Mir fehlt da noch etwas in Richtung Solarzelle – oder wird etwa ein wenig ‘geschummelt’ und der Controller durchs Phone gespeist? Letzteres und seine Artgenossen sind ja nicht gerade für lange Betriebszeiten bekannt…

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    ¹ Bei der klassischen Einladungsfloskel ‘Frau oder Freundin’ (respektive etwas gut neutral Formuliertem) kommen gewiefte ITler mit allen, die Zeit haben…
    ² Bin heute von einer Freundin gefahren worden, deren Smartphone inzwischen das alte klobige Navi ersetzt hat. Die App beherrscht sogar Euphemismen: ‘Gefahrenstelle’ steht für Starenkasten und sonstige Lästigkeiten 😉

  5. #5 Andreas Herzog
    26/04/2014

    Smartphones oder kleine Tablets sind immer dann praktisch, wenn es darum geht, kleine mobile Messgeräte anzusteuern und die Messwerte zu loggen. Die Smartphones sind sowieso vorhanden, die Rechenleistung oft mehr als ausreichend und GPS und ein ordentliches Display ist auch schon eingebaut. Wenn man außer dem Messgerät (zum Beispiel ein Spektrometer) nur ein Smartphone übers Feld schleppen muss, anstatt ein ausgewachsenen Laptop, wird man es zu schätzen wissen.

  6. #6 radix100
    29/04/2014

    wer so engagiert über die Unsitte des Phubbings schreibt, ist jedenfalls weniger in Gefahr, Vater+Mutter durchs eigene smartphone zu nerven…

  7. #7 rolak
    09/05/2014

    Ist zwar keine wissenschaftliche App, doch imho eine wertvolle, crowd-basiert: AXSmap, mußte direkt an Betroffene weiterverteilt werden, auf daß sich eine solide Daten-Grundlage entwickele..

    Nachdem sich sogar im Imbiss2000 über das Phubbing mokiert wurde… (offizieller Zugang, 7.5.2014, Smartphone) 😉

  8. […] diesem Angebotswust gibt es auch einige skurille Angebote. So gibt es beispielsweise eine App, die bei Smartphone-Sucht helfen soll – welch Ironie! Auch völlig sinnfreie Progrämmchen kann […]