Vor drei Jahren hatte ich den Esoterikzwang an der Bonner Universität beklagt, wodurch den Medizinstudenten dort das Lernen schwachsinniger TCM-Konzepte oktroyiert wird. Inzwischen bin ich mehr als ein Jahr in Kiel und wähnte mich im kühlen, rationalen und – so dachte ich – aufgeklärteren Norden (immerhin unter 10% Katholiken!) zumindest akademisch an einem besseren Ort.
Dann jedoch las ich ganz nebenbei bei Joseph von nebenan, daß es ausgerechnet an der Universität in Kiel Ringvorlesungen zu Homöopathie gebe, gefördert natürlich von der Homöopathie-Lobby in Gestalt der Carstens-Stiftung. Und ja, es stimmt wirklich, im vergangenen Sommersemester konnten Ärzte allen Ernstes Fortbildungspunkte beispielsweise dafür erhalten, daß sie sich über „Echsen und ?“ (sic) in der Homöopathie informieren ließen. (Ob es in dem Vortrag darum ging, Echsen und Fragezeichen zu mahlen und bis zur Unauffindbarkeit in Ethanol verdünnt gegen Hyperherpetismus bzw. Ratlosigkeit (bzw. die Sucht nach Kinderhörspielen mit Detektiven) zu verabreichen, ist leider nicht übermittelt. )
Dieses Semester gab es abermals spannende Themen aus der renditestärksten und viel zu selten bestraften Erscheinungsform unterlassener Hilfeleistung:
Besonders gut gefällt mir der Titel „Die 3. Reihe des Periodensystems in der Homöopathie“. Gemeint sind wahrscheinlich die Elemente der 3. Periode des Periodensystems, die, außer, daß sie exakt drei Elektronenschalen besitzen, genau gar nichts (z.B. Eigenschaften) gemeinsam haben. Insofern könnte der Titel der Vorlesung auch „Farben, die mit „b“ anfangen in der Homöopathie“ oder „Dinge, die Nudeln ähneln in der Homöopathie“ heißen.
Nichts Gutes verspricht auch die Vorlesung „Synthese der Methoden (Neue Entwicklungen von Rajan Sankaran)“. Sankaran ist ein indischer Homöopath, der für seine Methode die Handlungsanweisung „be lazy and stupid“ (dt. sei faul und dumm) für ratsam hält:
Der Patient soll letztendlich selbst sein für ihn bestimmtes homöopathisches Mittel nennen, indem er zu seinen Beschwerden Bilder beschreibt und seine Empfindungen (als Vitalempfindung bezeichnet) beschreiben
Ich will mir lieber nicht vorstellen, wie es ausgeht, wenn die Therapie eines Patienten mit DCM darin besteht, ihn solange Bilder von den Symptomen seiner dilatativen Kardiomyopathie malen zu lassen, bis er selbst bemerkt, daß er dringend Globuli mit verdünnten Herzfehlergenen oder Schlangen-AA oder was auch immer ihm dazu einfällt, braucht.
Und wieder werden sich ärztliche Besucher dieser Veranstaltung in der faszinierenden Situation finden, Fortbildungspunkte dafür zu erhalten, daß sie gerade dümmer geworden sind. Als Patient kann man daher nur hoffen, nicht zu den ca. 29.000 Menschen zu gehören, die pro Jahr an Fehlmedikation sterben, weil der Hausarzt zwar bestens darüber informiert ist, welche Wirkungen angeblich extrem verdünntes Natrium, Magnesium, Aluminium, Silizium, Phosphor, Schwefel, Chlor und Argon so haben, dafür aber nicht weiß, daß man z.B. bestimmte Antidiabetika und Blutdrucksenker nicht zusammen verabreichen darf.
l
Homöopathisches Motto: je weniger Evidenz für die Wirksamkeit, desto stärker die Beweiskraft.
ö
Es ist ein bedenkliches Armutszeugnis für eine Universität, wenn sie solcher unwissenschaftlichen und potentiell gefährlichen Scharlatanerie Obdach gewährt, zugleich duldet, daß durch Vergesellschaftung mit ihrem Namen dem Ganzen ein Anstrich von Glaubwürdigkeit verliehen wird und sie bei ihren werdenden und praktizierenden Ärzten auch noch Werbung für die Teilnahme macht!
Ich habe langsam echt den Eindruck, viel zu oft meine Artikel mit Sätzen wie: „Man kann nur neidische Blicke in Länder werfen, die …“ zu beginnen, aber man kann nur neidische Blicke in Länder werfen, die sich dem zynischen Homöopathielobby-Obskurantismus so weit entwunden haben, daß sie Patienten zumindest darüber informieren wollen, daß Homöopathie nicht wirkt, bzw. den Vertreibern verbieten können, irreführende Werbung zu machen so wie in England und seit kurzem den USA.
Was wohl das homöopathische Heilmittel gegen Gutgläubigkeit ist?
______
Nachtrag 01.10.2018: Inzwischen ist diese unrühmliche Scharte nach Tätigwerden der Skeptiker Nord wohl ausgewetzt: die Homöopathen bekommen keine Räume mehr an der CAU.
Kommentare (275)