Wie man noch Katholik sein kann, angesichts der immer länger werdenden Liste von zum Teil wirklich unaussprechlichen Gräueltaten auf der ganzen Welt, die von katholischen Priestern und sonstigen “Würden”trägern begangen und von der katholischen Kirche als Organisation und Institution systematisch verdeckt, verhehlt, verleugnet und verdunkelt wurden, so wie sie die Verbrecher, die die Taten begingen und begehen, schütz(e), versteckt(e), deckt(e), freikauft(e) und an andere Orte versetzt(e), das fragte ich hier bereits vor mehr als fünf Jahren und eine lebhafte Diskussion entstand, die kürzlich nocheinmal neu aufflammte. Den Artikel, der bis heute knapp 1.600 Kommentare angesammelt hat, hatte ich zwischendurch mehrmals um neue Enthüllungen und Skandale erweitert und er ist sogar auf Spanisch übersetzt worden.
An seiner Aktualität und Gültigkeit und an der Rat- bis Fassungslosigkeit, mit der ich diese Frage immer noch und wieder stellen muß, hat sich nicht nur nichts geändert, sie ist durch die jüngste Entdeckung eines weiteren gewaltigen Kinderschänderskandals in den USA nur noch drängender geworden:
Gemäß dem Bericht einer Grand Jury belegen die internen Berichte von sechs Diözesen aus Pennsylvania bis zurück ins Jahr 1947, daß über 300 katholische Priester glaubhaft beschuldigt wurden, über 1000 Kinder sexuell mißbraucht zu haben. Im Bericht heißt es:
“Wir glauben, daß die wirklich Anzahl an Kindern, deren Aufzeichnungen verloren sind oder die zu verängstigt waren, um überhaupt Anzeige zu erstatten, in die Tausende geht. […] Priester vergewaltigten kleine Jungen und Mädchen und die Gottesmänner, die für sie verantwortlich waren, unternahmen nicht nur nichts, sie vertuschten es. Über Jahrzehnte hinweg. Monsignores, Hilfsbischöfe, Bischöfe, Erzbischöfe, Kardinäle wurden meist geschützt. Viele, einschließlich einiger, die in diesem Bericht aufgeführt werden, wurden befördert” (Ü: CC)
Im Bericht werden die Methoden der Kirche als “Lehrbuch für die Verheimlichung der Wahrheit” bezeichnet, nachdem FBI-Agenten die Beschreibung einer Reihe von Praktiken in den geheimen Dokumenten der Kirche entdeckt hatten. Hier ein paar besonders erschütternde Auszüge (WARNUNG):
- In der Greensburg-Diözese schwängerte ein Priester eine 17-jährige, fälschte die Unterschrift eines Pastors auf einer Heiratsurkunde und ließ sich Monate später vom Opfer scheiden. Der Priester fand einen wohlwollenden Bischof und durfte seinen Posten behalten.
- Ein anderer Priester aus Greensburg machte Schüler der Mittelstufe für die geplanten sexuellen Aktivitäten zurecht und erklärte ihnen dazu, daß Maria die “Nabelschnur durchbeißen” und Jesus nach de Geburt “sauberlecken” müsse.
- In der Harrisburg-Diözese vergewaltigte ein Priester eine 7-jährige noch im Krankenhaus, wo sie nach einer Mandelentfernung lag.
- In der Allentown-Diözese gab ein Priester zu, einen Jungen sexuell belästigt zu haben und hatte um Hilfe ersucht, doch war danach noch mehrere Jahre im Amt gelassen worden.
- Auch in Allentown empfahl man einem Priester, der mehrere Jungen mißbraucht hatte, doch eine Arbeit in Disney World zu suchen.
- Bei einem Priester in Scranton, der mehrere Jahre Haft absitzen mußte, weil er Kinder mißbraucht hatte, stellte sich heraus, daß er seit Jahren HIV-positiv gewesen war.
und so immer weiter, die meisten Taten sind jedoch verjährt und können nicht mehr verfolgt werden – den kompletten, mehr als 1000-seitigen Bericht der Grand Jury kann man sich hier herunterladen, er ist wirklich grauenerregend. Der Vatikan zieht es vor, keinen Kommentar abzugeben. (Nachtrag: inzwischen hat sich wohl der Papst geäußert)
Wie es in den Opfern, um die sich die katholische Kirche in ihrer Bemühung, vor allem ihr Ansehen zu wahren, einen feuchten Kehricht schert (in Deutschland wird die Aufarbeitung und Aufklärung solcher Taten selbstverständlich und wie gewöhnlich von der Kirche hintertrieben) aussieht, mag man vielleicht erahnen, wenn man M. Stokowski zuhört, die mit 16 Jahren von einem Mitarbeiter einer katholischen Einrichtung vergewaltigt wurde (und ihre Erlebnisse in ihrem Buch “Untenrum frei” schildert), der sie
nicht so gut hätte zum Schweigen bringen können ohne das System der katholischen Kirche im Rücken. Er erklärte mir, ich dürfte nie mit jemandem darüber sprechen, weil er sofort seinen Job verlieren würde, seine Familie dann kein Einkommen mehr hätte – und in seinem katholischen Umfeld – Ehefrau, Kinder, Engagement in allen möglichen kirchlichen Dingen – wüssten dann sofort alle Bescheid.
Und tatsächlich empfand ich damals eine Art irrsinnig verkehrtes Mitleid und die Pflicht, die Klappe zu halten, für Jahre. Auch in dem Glauben, ich wäre am Ende diejenige, die bestraft würde, wenn ich sprechen würde.”
Damit ist das Höchstmaß an Perversion erreicht: die Opfer dazu zu bringen, das victim blaiming selbst zu übernehmen.
Angesichts dieser Ungeheuerlichkeiten (mir gehen langsam die Negativsuperlative aus) und weil ich meinem ursprünglichen Artikel in der Sache nichts hinzuzufügen habe, teile ich hier einen (von mir übersetzten) Auszug aus einem Artikel von Sam Harris, den er selbst als Reaktion auf einen Kinderschänderskandal in Irland, zusammengefaßt im Ryan-Bericht, geschrieben hatte und der seine (und meine) Fassungslosigkeit und Empörung kenntlich macht:
Die katholische Kirche hat zwei Jahrtausende damit verbracht, wie keine andere Institution die menschliche Sexualität zu dämonisieren, indem sie völlig normales, gesundes Verhalten reifer und einwilligender Personen zum Tabu erklärt hat. Diese Institutiton spricht sich tatsächlich immer noch gegen Verhütung aus und nimmt billigend in Kauf, daß die ärmsten Menschen der Erde mit den größten Familien und den kürzesten Leben “gesegnet” sind. Durch diese geheiligte und unheilbare Dummheit hat die Kirche so Generationen anständiger Leute zu Scham und Heuchelei verdammt – oder eben zu steinzeitmäßiger Fruchtbarkeit, Armut und zum Tod durch AIDS. Fügt man dieser Unmenschlichkeit noch die Einrichtung des Zölibats in Abgeschiedenheit hinzu, erhält man eine Institution – eine der reichsten der Erde – die vorzugsweise Päderasten, Pädophile und sexuelle Sadisten anzieht, in ihre Reihen aufnimmt und auf Posten mit Autorität installiert, wo sie privilegierten Zugang zu und Zugriff auf Kinder haben. Man führe sich, schließlich, noch vor Augen, daß sehr viele Kinder außerehelich geboren und ihre unverheirateten Mütter, überall dort, wohin der Einfluß der Kirche reicht, diffamiert und stigmatisiert werden; das führt dann dazu, daß Tausende Jungen und Mädchen in kirchlichen Waisenhäusern abgegeben werden, nur um dort von Angehörigen des Klerus vergewaltigt und eingeschüchtert zu werden. Hier, in dieser monströsen Maschinerie, die von den Sturmwinden aus Scham und Sadismus durch die Zeitalter getrieben wird, können wir Sterbliche wahrhaftig erblicken, wie seltsam perfekt doch die Wege des Herrn sind. […]
Hinter diesen Indiskretionen erstreckt sich ein Kontinuum des Mißbrauchs mit dem schieren Bösen am äußersten Ende. Der Skandal in der katholischen Kirche – man kann inzwischen auch einfach sagen der Skandal: Katholische Kirche – umfaßt die systematische Vergewaltigung und Folter von verwaisten und behinderten Kindern. Die Opfer geben an, mit Gürteln gepeitscht und so lange anal vergewaltigt worden zu sein, bis sie bluteten – manchmal von mehreren Tätern gleichzeitig – wonach sie wieder ausgepeitscht und mit dem Tod und ewigem Leid im Höllenfeuer beroht wurden, wenn sie auch nur ein Sterbenswörtchen über ihre Mishandlung verlören. Und ja, viele der Kinder, die verzweifelt oder mutig genug waren, diese Verbrechen anzuzeigen, wurden der Lüge bezichtigt und erneut ihren Peinigern ausgesetzt, die sie abermals folterten und vergewaltigten.
Die verfügbaren Belege weisen darauf hin, daß die Hierarchie der katholischen Kirche auf allen Ebenen bis hoch zum und einschließlich ihres präfrontalen Kortex’, dem jeweils aktuellen Papst, das Elend dieser Kinder ermöglichte und zu verbergen half. In seiner früheren Funktion als Kardinal Ratzinger beaufsichtigte Papst Benedikt persönlich die Reaktionen des Vatikans auf Berichte über sexuellen Mißbrauch in der Kirche. Und was tat dieser weise und mitfühlende Mann, als er erfuhr, daß seine Angestellten Kinder zu Tausenden vergewaltigen? Verständigte er unverzüglich die Polizei und trug Sorge, daß die Opfer vor weiteren Qualen geschützt wurden? Man mag immer noch wagen, sich vorzustellen, daß eine derartige Aufwallung ganz grundlegender Menschlichkeit hätte möglich sein können, sogar innerhalb der Kirche. Doch im Gegenteil: wiederholte und zunehmend verzweifelte Beschwerden über Mißbrauch wurden weggewischt, Zeugen zum Schweigen genötigt oder erpresst, Bischöfe wurden für ihr Trotzen wider die säkularen Autoritäten gelobt und tatschuldige Priester wurden an andere Orte versetzt, wo man sie noch nicht kannte und verdächtigte und wo es frische Leben zu zerstören gab. Es ist keine Übertreibung, zu sagen, daß der Vatikan seit Jahrzehnten wenn nicht Jahrhunderten die formale Definition einer kriminellen Organisation erfüllt (s. auch Anhang 1, Anm. CC), die sich nicht dem Glücksspiel, der Prostiution, dem Drogenhandel oder anderen läßlichen Sünden verschrieben hat, sondern der sexuellen Versklavung von Kindern.
Voltaire sagte einmal sinngemäß:
Wer dich veranlassen kann, Absurditäten zu glauben, der kann dich auch veranlassen, Gräueltaten zu begehen.
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Ich weiß, ich wiederhole mich, aber falls Sie ein/e katholische/r LeserIn sind, der/die Kirchensteuer bezahlt und Mitglied der katholischen Kirche sind, dann wende ich mich jetzt an Sie: was diese Ihre Organisation, die angeblich über Ihr Seelenheil wacht, tut und abertausende Male getan hat, kommt der Definition des reinen Bösen unsäglich nahe und wieder und wieder zu hören, daß katholische Priester überall und immerzu Kinder vergewaltigen und daß die katholische Kirche sie schützt und deckt, sollte Sie heute genauso wenig überraschen, wie daß Google und Facebook unsere Daten verkaufen. Meine Frage ist also, BITTE erklären Sie es mir*: wie gehen Sie damit um, wie ertragen Sie es, nein, wie können Sie damit leben, daß Sie immer noch dieser Organisation angehören, ihr Geld geben und damit zu ihrer Macht und deren Erhalt beitragen? Und was würde Sie dazu veranlassen, dort auszutreten. Ich frage Sie: Wie können Sie IMMER NOCH Katholik sein?
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*und bitte, bevor Sie mit dem “die tun ja auch viel Gutes”-Argument kommen, lesen Sie [1-4] und hier, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wer wirklich wofür bezahlt. Und denken Sie auch darüber nach, daß selbst wenn die Kirche Gutes täte/tut, das kein hinreichender Grund wäre, nicht aus ihr auszutreten. Diese Strategie hat auch der Drogenboss und Mörder J. Guzman genutzt, der durch Wohltätigkeit zu Beliebtheit kam. Er bleibt aber ein Schwerverbrecher.
[1] “Violettbuch Kirchenfinanzen” von Carsten Frerk, Alibri Verlag
[2] “Kirchenrepublik Deutschland” von Carsten Frerk, Alibri Verlag
[3] “Gott hat hohe Nebenkosten. Wer wirklich für die Kirchen zahlt” von Eva Müller, KiWi
[4] “Caritas und Diakonie in Deutschland” von Carsten Frerk, Alibri Verlag
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Nachtrag am 11.07.2019: Die Diener der katholischen Kirche vergreifen sich übrigens nicht nur an Kindern, sondern, wie sich vor Kurzem herausstellte, auch an den eigenen Ordensschwestern, die überall auf der Welt von hierarchisch über ihnen stehenden Klerikern sexuell missbraucht und systematisch vergewaltigt wurden und werden in Strukturen, in denen Ordensschwestern wie Sexsklavinnen an Priester verkauft wurden.
Zwischenbemerkung: Es geht mir mit der kath. K. inzwischen ein bißchen wie mit Trump: es kommen immer mehr und immer neue Ungeheuerlichkeiten ans Licht, immer perversere, unmenschliche Taten werden bekannt, immer größere Opferzahlen, immer mehr Belege für geplantes, systematisches, wohlorganisiertes Vorgehen, so daß man abstumpft und partialzynisch wird. Ich kann mich darüber nicht einmal mehr aufregen (Aufregung trägt ja immer auch ein Element der Enttäuschung oder Überraschung), ich glaube einfach, es gibt inzwischen nichts mehr- und das meine ich wirklich so -, das ich der katholischen Kirche nicht zutrauen und was ich, wenn es in seriösen Quellen berichtet würde, nicht glauben würde (und ja, das schließt die Darstellung in Anhang 1 ausdrücklich ein). Es ist längst so, daß ich diese Dinge erwarte, daß ich sie perfekt ins Bild passend finde, daß für mich die kath. Kirche eben diese monströse, bis in die tiefsten Wurzeln korrumpierte, kaputte, besudelte, kranke und kreuzböse Organisation ist, dere oberste Ziele rücksichtsloser Machterhalt, die unbedingte Maximierung menschlichen Leids und Elends und die kategorische Verneinung der Menschenwürde ist. –
Arte strahlte dazu jedenfalls am 5.3.19 eine wirklich erschütternde Dokumentation aus, die wegen einer einstweiligen Verfügung derzeit nicht in der Mediathek zu sehen ist, wogegen Arte vorgeht. Einen Ausschnitt kann man sich aber hier ansehen.
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Nachtrag am 17.12.20: Endlich wurde einmal ein Opfer gehört und hat Recht und eine “Entschädigung” bekommen. Seine Geschichte aber ist absolut grauenhaft. Titel der Story:
“Tausendfacher Missbrauch in Kinderheim – Die Nonnen waren Zuhälterinnen“. Natürlich waren sie das:
Es ist die Geschichte einer systematischen, brutalen und menschenverachtenden Zerstörung eines Kindes. Eine Geschichte, die überdeutlich zeigt, wozu Frauen und Männer in der katholischen Kirche fähig waren und wohl immer noch sind. Und wie sie damit ungeschoren davonkommen.
Hatte ich schon gefragt, wie zum ausgedachten Widersacher eines ausgedachten Gottes man NOCH IMMER Katholik sein kann?!
(hier mehr Info ohne Paywall)
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Nachtrag am 21.01.2022: Hätte irgendjemand etwas anderes erwartet, als daß eine eigens dafür beauftragte Anwaltskanzlei herausfindet, daß das Decken, Verheimlichen, Verschweigen und Ermöglichen der systematischen Kinderschändereien katholischer Geistlicher bis in die allerhöchsten Ebenen der “ehrenwerten Gesellschaft” betrieben wurde?
Und Ratzepoop? Lügt. Lügt, daß sich die Balken biegen. Gab es da nicht mal so ein Gebot bei diesen Brüdern (im Nebel)? Und dann schreibt er auch noch, daß in einem konkreten Fall, von dem er wußte, der betreffende Pfarrer ja eigentlich nichts schlimmes, jedenfalls keinen Mißbrauch begangen habe, denn er sei ja bloß
“[..] als Exhibitionist aufgefallen, aber nicht als Missbrauchstäter im eigentlich Sinn. Die Tathandlungen bestanden jeweils im Entblößen des eigenen Geschlechtsteils vor vorpubertären Mädchen und in der Vornahme von Masturbationsbewegungen, (…) auch im Zeigen pornographischen Materials. In keinem der Fälle kam es zu einer Berührung.” (Quelle) (kursiv von mir)
NA DANN ist ja alles gut, gell?
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Anhang 1: Zur zähneknirschend-zynischen Illustration der vollkommenen moralischen Verworfenheit der katholischen Kirche, hier zum bitteren Ende noch ein relativ drastischer satirischer Kurzfilm von Louis C.K., der schon 11 Jahre alt aber noch immer oder immer noch mehr aktuell ist:
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Titelbild: “Gustave Doré “Paradise Lost” [Public domain], via Wikimedia Commons”, Link
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