Vor mehr als vier Jahren habe ich, nachdem Maajid Nawaz mit „regressive Linke“ (ReLi) einen Begriff dafür gegeben hatte, mein Unbehagen angesichts der zunehmenden Verbreitung jener neuen politischen Religion und ihrer Narrative verschriftlicht. Ich warf ihr vor, daß sie
illiberale Taktiken einsetzt, um diejenigen zum Schweigen zu bringen, die liberale Prinzipien wie Kunst- und Meinungsfreiheit verteidigen.
daß sie unliebsame Äußerungen
unter dem Banner der „politischen Korrektheit“ bekämpft und dabei durchaus eine Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nicht nur in Kauf genommen sondern tatsächlich gefordert [hat], aus Angst, Minderheiten zu beleidigen
und ich sah damals bereits
Erste Anzeichen für das Aufkeimen der ReLi auch in Deutschland
Ziemlich genau vier Jahre ist es auch her, daß ich, kurz nach der Wahl jenes
Horror-Clowns mit Nukes [, jenes] erschütternd ignoranten, narzisstischen Bajazzos, rassistischen […], homophoben, frauenverachtenden Chauvis [und] pathologischen Lügners
spekulierte, daß dessen Wahlerfolg zum Teil die Auswirkung einer trotzigen Gegenreaktion gegen jene übergriffige und aggressive Ideologie gewesen war, die also ironischerweise zur Inthronisierung genau desjenigen beigetragen hatte, der alles das verkörpert, ja ikonisiert, was sie am meisten verabscheut.
Heute stehen die USA und damit die Welt nach vier Jahren seiner absolut grotesken, verheerenden skandalüberladenen und normenzertrümmernden Regierungszeit nicht nur auf einem Corona-Leichenberg, sondern auch vor der nächsten, womöglich schicksalhaften Präsidentschaftswahl und man darf sich fragen, ob und welchen Einfluß die ReLi und der Widerstand gegen ihre Zumutungen diesmal haben wird.
In den letzten vier Jahren hat sich die ReLi weiter verbreitet, in den politisch links-liberal orientierten Colleges der USA vor allem in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten („Humanities“) festgesetzt und konsolidiert. Sie hat die inzwischen viel diskutierte Cancel Culture hervorgebracht, und zieht gerade eine (akademische) Generation heran, die Caroline Fourest in ihrer brandneuen Streitschrift als „Generation Beleidigt“ [1] bezeichnet, die nur daran denke, zu zensieren, was sie oder auch nur eine vermeintlich schutzbedürftige Minderheit kränken oder beleidigen könnte und dafür eine nie dagewesene Überwachung und Kontrolle öffentlichen Redens und Denkens betreibe.
Diese durch die ReLi und ihre Lehre deformierte Generation wächst an ideologisch und thematisch desinfizierten und sterilisierten Universitäten mit Saferooms, strikten Sprachregeln und „Cultural Sensitivity“-Büros, dafür ohne epistemiologische Resilienz auf, unfähig, Widerspruch zu ertragen und ist charakterisiert durch eine regelrechte Ambiguitätsphobie und einen heiligen Konformitäts- und Orthodoxieeifer, der klarmacht, daß sich die auf die Regenbogenfahnen geschriebene Diversität sicher nicht auf Gedanken- und Meinungsvielfalt bezieht. So diskriminiert sie abweichende Meinungen und fürchtet „frevelhafte“, xy-istische, weil nicht konforme Gedanken und Sprache, wie der/die/das Teufel*In (m/w/d) das Weihwasser und erklärt “cultural appropriation” (kulturelle Aneigung) zur neuen Gotteslästerung. Und lieber wird ein geladener Redner gecancelt oder „entplattformt“, bevor er auch nur die Chance erhält, etwas zu sagen, was jemandem nicht gefallen oder sie gar beleidigen könnte und das betrifft nicht nur Personen mit stramm rechten Positionen, sondern auch liberale, gesittete britische Gentlemen wie R. Dawkins. Die ReLi geriert sich mithin als moralistisch-inquisitorische Kulturpolizei, die alles Geschriebene und Gesagte mit der Lupe nach Mikroaggressionen durchsucht, was natürlich den identitären und “man wird ja wohl noch sagen dürfenden” Rechten in die Hände spielt, die ihren Widerstand dagegen dann fast schon glaubwürdig als Verteidigung der Freiheit inszenieren können. Das ist freilich mißlich und ärgerlich, wenn man, wie z.B. auch ich, findet, daß eigentlich die extremen Rechten unsere Feinde sein sollten.
If we don’t believe in freedom of expression for people we despise, we don’t believe in it at all.
(Wenn wir nicht an Meinungsfreiheit für Leute glauben, die wir verabscheuen, glauben wir gar nicht daran; Ü: CC)
N. Chomsky (ausgerechnet)
Kurzer Exkurs zu den Wurzeln
Die ReLi hat ihren ideologischen Unterbau, ihre philosophische „Kodifizierung“, die v.a. im Englischen nur als „Theory“ (als eigenständiger Begriff) bezeichnet wird, aus dem „applied turn“ (dt. etwa „Wende zur Anwendbarkeit“) des Postmodernismus‘ abgeleitet. Diese philosophische „Spielart“ (?), die sich ca. 1960 zu formen begann, geht im Wesentlichen zurück auf Lyotard, Derrida und Foucault. Der Postmodernismus lehnt „Metanarrative“ ab, also weitreichende, zusammenhängende Erklärungen von Welt und Gesellschaft, darunter etwa Moderne und Modernismus, Christentum und Marxismus, aber eben auch „Wissenschaft“, Vernunft und die Säulen aufgeklärter westlicher Demokratien.
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