Anschließend werfen wir in unserem Artikel einen Blick zurück auf 10 Jahre Forschung und darauf, was wir verstanden und gelernt haben: von den meisten Entwicklungen und auch von Anschlußförderungen durch die DFG haben ich ja schon in diesem Blog berichtet: von der „triple contrast“-Methode zum Beispiel und von der Möglichkeit, mittels integrierter RNA-Analyse aus dem Backspatter Kopfschüsse nachzuweisen (inzwischen können wir übrigens auch die Verletzung anderer Organe, z.B. des Herzens, aus Backspatter-RNA nachweisen [4]), von unserem neuen Schädelmodell und von der Reichweite von (und der nicht vorhandenen Korrelationen derselben mit der DNA-Ausbeute aus) Backspatter. Nicht für Euch hier aufgeschrieben aber dennoch gezeigt: daß man aus Backspatter parallel nukleäre DNA (aus dem Zellkern), mtDNA, mRNA und miRNA extrahieren und forensisch analysieren kann [5], wie man RNA und DNA mit verschiedenen Methoden aus Backspatter von den Händen von Schützen isoliert [6,7] u.a.m. Außer uns hat natürlich auch Christian Schyma in Bern weiter an verschiedenen Aspekten zu ballistischen Modellen, Backspatterentstehung und –dokumentation geforscht, auch davon berichten wir.
Weil die molekulare Ballistik und auch alle Forschung daran einen ganz starken und deutlichen Anwendungsbezug hat, haben wir für alle Interessierten und zukünftigen Anwender dann einen kleinen „field guide“ geschrieben. Wir beschreiben, wo man nach Backspatter (aber auch Forward-Spatter) suchen kann und sollte, wie man ihn am besten sichern kann und welche Aspekte (Reichweiter, Muster, Nukleinsäuregehalt) zu untersuchen sind. Unser Ziel war dabei auch, für die Suche nach und die Bedeutung von Backspatter bei der Ermittlung bei Schußwaffendelikten zu sensibilisieren und weiter für die Anwendung von und Integration in die Spurensicherungsroutine von molekularer Ballistik zu werben. Letzteres tun wir ja seit 10 Jahren und inzwischen darf man es wohl als nachlässig bezeichnen, nach einem Schußwaffeneinsatz gegen Menschen nicht im Inneren der verwendeten Schußwaffe nachzusehen und diese Quelle forensischen Beweismaterials unangezapft zu lassen.
Forschung lebt von Kooperation, Variation und Verzweigung und um anderen Gruppen den Einstieg in die Forschung zu molekularballistischen Aspekten zu erleichtern, haben wir dann sogar noch einen „research guide“ geschrieben: Wir geben Tips und Ratschläge zum Bau (molekular)ballistischer Modelle, dazu, welche Simulantien für Gewebe, Haut und Knochen verfügbar sind und sich am besten eignen und zur Effizienzsteigerung durch Verwendung der triple-contrast-Methode. Letztere beruht ja, wenn Ihr Euch erinnert, darauf, daß ein ballistisches Modell mit einer dreifachen Kontrastmischung bestückt wird, sich zusammensetzend aus Acrylfarbe, einem Röntgenkontrastmittel und menschlichem Blut. Jede dieser Komponenten ermöglicht eine verschiedene Darstellungsqualität: die Acrylfarbe ist (fiber)optisch sehr gut sichtbar und chemisch stabil, Backspatter auf Schußhand und Waffe lässt sich gut erkennen und kartographieren und auch der Wundkanal ist detailliert darstellbar. Das Kontrastmittel ermöglicht eine bildgebende 3D-Darstellung des Wundkanals, die eine Zerstörung/Zerschneidung des Gelatinekerns nicht erfordert. Das Blut enthält Zellen und DNA/RNA und ermöglicht die molekularbiologische Untersuchung des Backspatters. Diese Methode erlaubt also maximalen weil auch relationalen (man kann z.B. die DNA-Ausbeute aus Backspatter direkt mit der Wundkanalmorphologie korrelieren) Informationsgewinn aus den aufwendigen molekularballistischen Beschußexperimenten. Und auch, wie man Waffen nach solchen Experimenten wieder sauber bekommt – was sowas von nicht trivial ist! – erklären wir.
Zum Schluß unternehmen wir noch einen Ausblick auf Potentiale und weiteren Forschungsbedarf der molekularen Ballistik. Das nächstliegende hier ist sicher die Anwendung auf „cold cases“. Es ist nicht unplausibel, daß sich in vielen Asservatenkammern noch Waffen aus alten, ungelösten Fällen befinden, in deren Inneren Spuren von Backspatter auf ihre Untersuchung warten und vielleicht die Lösung des Falls enthalten. Aber auch die Anwendung von massiver Parallelsequenzierung auf molekular-ballistische Fragestellungen birgt großes Potential: nicht nur kann mehr Information parallel aus den meist schwach ausgeprägten Spuren erhalten werden, auch stark degradiertes Material mag diese Analyseform noch zugänglich sein. Wenn man das dann noch mit neuen Ansätzen aus der forensischen RNA-Analytik kombiniert, würden auch weitere Dimensionen der Kontextualisierung von Backspatterspuren erschlossen. Das würde sogar dann klappen, wenn Schreckschußwaffen eingesetzt worden sind. Denn diese sehr gefährlichen Waffen verschießen zwar keine Projektile, doch das Gas, das unter hohem Druck aus ihnen austritt, ist, wie die Literatur schon seit langem belegt [8], geeignet, schwere bis tödliche Verletzungen hervorzurufen und, wie wir gerade erstmalig gezeigt haben [9], zuverlässig Backspatter zu erzeugen! Zum Backspatter nach Schreckschuß ist noch fast gar nichts bekannt, auch hier gibt es also enormes Potential für Forschung, zumal sich diese Waffen, die in Deutschland jeder Volljährige einfach so kaufen kann, immer mehr verbreiten.
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