Ich sitze, während ich beginne, dies zu schreiben, gerade im Zug zurück von Halle nach Köln, höre Händel und mir fällt auf, daß Ihr überhaupt nicht mehr Laufenden seid (und sein könnt), seit ich letzten September von meinem Umzug von Kiel nach Köln berichtet habe. In der Zwischenzeit ist natürlich einiges passiert und anderes, das vorher schon passiert war, hatte ich Euch zeitmangelsbedingt unterschlagen, so daß es höchste Zeit für ein Update wird.
Beginnen wir mit der Gegenwart. Was wollte ich überhaupt in Halle? Da habe ich die 17. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Abstammungsbeobachtung DGAB besucht (von der 12. in “Bielefeld” hatte ich mal ausführlicher berichtet). In Halle war ich übrigens auch schonmal und zwar zum 33. Spurenworkshop (auch davon gab es damals einen Bericht). Als Sachverständiger für Abstammungsbegutachtung muß man sich zum Kompetenzerhalt regelmäßig fortbilden, wozu auch der Besuch solcher Tagungen gehört, weswegen es wichtig ist, dort teilzunehmen, auch wenn, wie ich schonmal beschrieben habe, diese Tagungen „naturgemäß nicht das wissenschaftliche Niveau haben […], wie etwa die ISFG-Tagungen“ oder der Spurenworkshop. Dennoch war es interessant, zudem ist es immer nett und hilfreich, Kollegen, insbesondere nach langer online-only-Phase, persönlich treffen und sprechen zu können und außerdem ist Halle (gerade im Sommer) eine schöne Stadt und allemal einen Besuch wert: wenn man da ist, kann man z.B. Hallorenkugeln essen, ein Selfie mit Händel machen
oder gleich seinen Besuch so abpassen, daß man zu den Händelfestspielen kommt.
Die letzten Wochen waren durch verschiedene Reisen etwas zerstückt, seit heute geht es normal und hoffentlich etwas ruhiger weiter in der Rechtsmedizin Köln, wo ich, was ich fast nicht glauben kann, jetzt schon mehr als ein halbes, fast ein dreiviertel Jahr lang arbeite. Mir geht und gefällt es dort (noch immer) gut. Ich bin inzwischen mit den Prozessen und Abläufen besser vertraut, habe schon bestimmte Anpassungen vorgenommen, die erste Akkreditierungsüberwachung ist auch bereits gut überstanden (wir werden den Umfang unserer akkreditierten Verfahren deutlich erweitern können) und bis auf daß wir für die Leute, die wir in meiner Abteilung sind, doch etwas arg viel zu tun haben, ist eigentlich alles bestens. Ich mag das Institut, meine Abteilung und mein Team, naja und Köln ist eben meine Stadt und ich bin hier zu Hause.
Auch die Forschung läuft indes auf Hochtouren und ich muß Euch dringend mal auf den neuesten Stand meiner Projekte bringen, bei denen, wir Ihr sehen werdet, es einen deutlichen Schwerpunkt auf RNA gibt:
- mein ehem. Doktorand Jan (der in Kiel geblieben ist) und ich haben gerade das DFG-Projekt zur Identifikation und Validierung von mRNA-Kandidaten, die in vier verschiedenen anatomisch abgrenzbaren und für forensisch-traumatologische Fragestellung relevante Hirnregionen differentiell exprimiert werden, fertiggestellt. Das Ziel des Projektes war es, die topographische Zuordnung von Kopfschüssen anhand der RNA-Analyse aus ballistischen Rückschleuderspuren zu ermöglichen, also anhand nur dieser Spuren (z.B. aus der Waffe) sagen zu können, an welche Stelle des Kopfes jemand mit einer Kugel getroffen wurde (den reinen Kopfschußnachweis hatte ich ja schonmal beschrieben); im Moment bereiten wir die Ergebnisse für die Publikation vor, ich berichte mehr dazu, sobald ich kann.
- für meine Doktorandin Annica habe ich eine Anschlußfinanzierung der DFG für das „Molekulares Alibi“-Projekt bekommen, nachdem wir in einem initialen „proof-of-concept-Projekt“ hatten zeigen können, daß die Idee grundsätzlich funktioniert, was uns natürlich sehr gefreut hat. Annica wird sich also in den nächsten Jahren damit befassen, die mit der Tageszeit korrelierte Expression ausgewählter RNAs und den Einsatz der Messung derselben für die Depositionszeitpunktbestimmung forensischer Spuren zu erforschen. Unser Ziel ist, daß wir eines Tages routinemäßig z.B. für eine von einem Tatort gesicherte Blutspur anhand der Expressionsmessung bestimmter RNAs sagen können, daß die Spur zwischen, sagen wir, 2 und 4 Uhr nachts entstanden ist, mithin sich die Tat in dieser Zeit ereignet hat.
- Schon letztes Jahr haben wir von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung eine Förderzusage für ein Kooperationsprojekt mit einer portugiesischen Kollegin bekommen; leider hat sich durch sehr nervende äußere Umstände der Projektstart auf Juli 2022 verschoben; auch in diesem Projekt werden wir RNA-Expression messen: hier wird es darum gehen, den zeitlichen Verlauf bzw. die Choreographie der RNA-Expression in Wunden zu erforschen, um später in der Lage zu sein, aus Proben aus Wunden lebender oder toter Geschädigter das Alter der Wunde und damit auch den Beibringungszeitpunkt abschätzen und somit einen wichtigen Tataspekt rekonstruieren zu können.
- Unser EU-gefördertes Projekt “RNAgE“, schließlich, hatte ich kürzlich ja schon einmal erwähnt. Hier versuchen wir zusammen mit verschiedenen Kooperationspartnern unter der Leitung des Bundeskriminalamts herauszufinden, ob es RNA- und miRNA-Kandidaten gibt, deren Expression so gut mit dem Lebensalter einer Person korreliert, daß man, wenn man sie in Proben von Blut oder Speichel mißt, daraus das Lebensalter mit einer akzeptablen Genauigkeit (= nicht signifikant schlechter als durch Methylierungsanalyse) abschätzen kann; das Projekt läuft nun schon eine ganze Weile und war arg gebeutelt von „C-Wort“, so daß wir längst nicht so weit damit sind, wie wir gehofft hatten; zum Glück hat das auch der Förderer eingesehen und unserem Verlängerungsantrag stattgegeben, so daß wir jetzt noch ein Jahr länger haben, um die Arbeiten zuendezubringen. Kürzlich haben wir uns nach langer Zeit endlich wieder persönlich und zwar in Zürich und dabei gleich wichtige Entscheidungen getroffen; auch hier gilt: wenn es berichtenswerte Ergebnisse gibt, erfahrt Ihr es hier.
Im August werden wir übrigens den 29. ISFG-Weltkongreß Washington besuchen, wo wir auch ein paar der oben erwähnten Projekte präsentieren werden. Ich muß allerdings sagen, daß, obwohl ich mich natürlich auf den Kongreß und auch ein paar Ferientage dort freue, ich auch mit etwas Sorge in Richtung USA blicke, die ich derzeit auf einem verheerenden Pfad sehe, auf dem die Abwahl Trumps womöglich nur eine temporäre Verlangsamung, andere würden sagen: Öl ins Feuer ist: nicht nur ist es überaus erschreckend, was derzeit das Komitee zum versuchten Staatsstreich und den mörderischen Folgen am 6.1.21 herausarbeitet, auch die finstere Saat, die Trump als Morgengabe für die Stimmen der Fundamentalchristen im Supreme Court gesät hat, ist aufgegangen: nicht nur hat dessen konservative Mehrheit, obwohl das Blut des letzten Schulmassakers noch nicht getrocknet ist, soeben das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit zum Grundrecht und damit alle gesetzlichen Einschränkungen (in Staaten wie Kalifornien und New York) davon als nichtig erklärt, er hat, wie von mir schon befürchtet, tatsächlich auch das seit 50 Jahren anerkannte Grundrecht auf Abtreibung gekippt und damit die Rechte vieler Millionen Amerikanerinnen empfindlich beschnitten, was ich für eine schlimme Schande und einen unbeschreiblichen Skandal halte, u.a. weil Abtreibungsverbote völlig offensichtlich religiös motiviert sind, die Trennung von Religion und Staat aber in den USA zentrales Element der Verfassung ist. Das Land entwickelt sich mithin immer mehr zu einem an zahllosen gesellschaftlichen, politischen, sozialen und ideologischen Fronten bitter und unversöhnlich geteilten und zusehends instabilen Zwei-Phasengemisch, voller radikalisierter, vollständig epistemiologisch abgeschotteter und dabei gewaltbereiter, waffenstarrender „Patrioten“ und sonstiger Fundamentalisten, das, so mein Eindruck, jederzeit auseinanderfallen bzw. in einen offenen, gewalttätigen Konflikt abgleiten kann und ich hoffe wirklich, daß ich den Trip ohne Schußwunden überlebe…
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