Ende 2019 ist in Deutschland die Strafprozessordnung aktualisiert worden. In einem Bericht darüber schrieb ich:
Die Änderung der StPO sieht vor, daß künftig auch Haar-, Augen- und Hautfarbe sowie das Alter einer tatverdächtigen Person im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung aus der DNA ausgelesen werden dürfen.
Man bezeichnet diese Untersuchungen auch als forensische DNA-Phänotypisierung. Kurz nach der Anpassung der StPO an die Moderne hatten wir damals noch in Kiel damit begonnen, eine Methode zur Vorhersage der Haut-, Haar- und Augenfarbe zu etablieren und inzwischen läuft sie dort ganz gut. Auch hier in meiner (nicht mehr so ganz) neuen Abteilung in Köln bieten wir diese Untersuchungsform an. Die molekulargenetische Grundlage besteht (wie unter obigem Link nachzulesen) in der Typisierung verschiedener, mit den möglichen Ausprägungen der oben genannten äußerlich sichtbaren Eigenschaften assoziierter Einzelnukleotidpolymorphismen (SNP). Die Typisierungsdaten werden dann mit einem speziellem Alogrithmus (z.B. diesem) ausgewertet. Ausführlicher ist das in meinem Artikel von 2014 noch einmal nachzulesen.
Aber was ist mit dem Alter? In vielen kriminalistischen Lagen kann es zwischen sehr interessant bis entscheidend sein, das Alter einer tatbeteiligten Person zu kennen, z.B. um bestimmte Personengruppen als Täter auszuschließen oder um Ermittlungen zu konzentrieren und zu priorisieren.
Die Bestimmung des Alters aus der DNA wird ja ausdrücklich auch in der StPO erlaubt,
Ist unbekannt, von welcher Person das Spurenmaterial stammt, dürfen zusätzlich Feststellungen über die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie das Alter der Person getroffen werden. (StPO, §81e, Molekulargenetische Untersuchungen)
doch das Lebensalter einer Person kann nicht durch SNP-Analyse abgeschätzt werden, da sich deren Konfiguration mit fortschreitender Zeit nicht ändert. Stattdessen schaut man sich zur Schätzung des Alters einer Person das Methylierungsmuster ihrer DNA an und weil wir hier in Köln auch diese Methode bereits in der Fallarbeit einsetzen, möchte ich heute mal darüber berichten, wie das eigentlich funktioniert (die klassischen, anthropologischen bzw. bildgebenden Methoden der Altersschätzung sind hier nicht Gegenstand der Betrachtung).
Hinweis: Um den Artikel besser nachvollziehen zu können, z.B., wenn man gerade über das Wort “Methylierungsmuster” gestolpert ist, empfehle ich sehr die vorherige Lektüre dieses Basics-Artikels.
Die Voraussetzung für die molekulargenetische Altersschätzung ist logischerweise irgendeine meßbare Struktur, Muster, Vorgang etc., die sich mit dem biologischen Alter einer Person (das bei den meisten Menschen mehr oder weniger mit dem chronologischen Alter übereinkommt) in einem systematischen Verhältnis befindet, so, daß man von der Messung des letzteren und bei Kenntnis des mathematisch darstellbaren Verhältnisses ersteres berechnen oder besser schätzen kann, was dann einen Rückschluß auf das chronologische Alter zuläßt.
Was aber heißt hier “meßbar”? Wie mißt man die Methylierung von DNA? Es gibt dafür unterschiedliche Methoden, die verbreitetsten sind die differentielle enzymatische Spaltung von DNA mit methylierungssensitiven Restriktionsendonuleasen (MSRE) gefolgt von PCR, Affinitiäts-Capturing von methylierter DNA und die Natriumbisulfit-Konversions-Sequenzierzung. Nur die letztgenannte werden wir uns hier näher ansehen, denn sie erlaubt eine quantitative Bestimmung des Methylierungsgrads von DNA-Stellen (CpG-Inseln) und ist auch die Methode, die wir selbst anwenden.
Die Bisulfit-Konversion beruht darauf, daß sie nicht-methylierte Cytosin-Basen in der DNA in Uracil umwandelt, welches statt zu G(uanin) wie Cytosin zu A(denin) wie Thymin komplementär ist.
Methylierte Cytosine hingegen werden nicht in Uracil umgewandelt, die angehängte Methylgruppe (CH3) schützt sie gewissermaßen vor dem Bisulfit. Nach einer vollständigen Konversion sind also alle nicht-methylierten Cytosine in einem DNA-Molekül zu Uracil umgewandelt worden. Wird nun von der DNA eine Kopie, wie z.B. in einer PCR, gefertigt, werden im komplementären Strang gegenüber den Uracilen Adenine eingebaut, die Basensequenz der Kopien verändert sich also gegenüber dem Original.
Anschließend werden die kopierten DNA-Fragmente sequenziert, häufig wird dafür die sogenannte „Pyrosequenzierung“, bei der es sich um eine Variante des NGS handelt (und auf die ich hier nicht im Detail eingehen kann, sonst wird es zu kompliziert), eingesetzt. So kann man die Stellen, an denen sich methylierte Cytosine befunden haben, durch Vergleich mit einer Referenzsequenz (bei der Cytosine statt Thyminen stehen) erkennen und zusätzlich genau messen, zu welchem Grad, zu wieviel % eine Stelle im Genom methyliert ist (es ist nicht in allen Zellen die DNA identisch methyliert, wenn z.B. in der Hälfte der in einer Probe enthaltenen Zellen eine bestimmte CpG-Stelle in der DNA methyliert ist, dann wäre ihr Methylierungsgrad 50%).
Durch umfangreiche Studien mit vielen Probanden unterschiedlicher Lebensalter hat man herausgefunden, bei welchen CpG-Stellen im Genom der Methylierungsgrad mit dem Alter auf welche Weise korreliert:
und zudem möglichst nicht auch noch von anderen äußeren oder inneren Faktoren beeinflußt wird. Andere Studien (z.B. von meinem Mitarbeiter Jan [1]) beschreiben Verbesserungen oder Erweiterungen der Methode, außerdem gab es bereits mehrere technische Ringversuche [2,3] und die methylierungsbasierte Altersschätzung ist inzwischen sogar als Modul beim GEDNAP-Ringversuch anwählbar. Die meisten Erkenntnisse zum Zusammenhang von Alter und Methylierungsgrad gibt es bisher für die Körperflüssigkeiten Blut und Speichel doch auch für Sperma gibt es schon erste Daten [4].Grundsätzlich kann man sagen, daß die Methode gut funktioniert und eine halbwegs robuste forensische Altersschätzung ermöglicht. Die typische Genauigkeit liegt hier bei +/- 3-5 Jahren und die Streuung ändert sich mit dem vorhergesagten Altersbereich. Bestimmt wird hier meist zur Beschreibung des Fehlerbereichs die „mean absolute deviation“ (MAD) oder der „mean absolute error“ (MAE) des geschätzten Alters. Die Methode eignet sich daher nicht, um das exakte Alter einer Person, z.B. bei der Frage, ob jemand noch 17 und minderjährig oder schon 18 ist, zu bestimmen, ist aber für die forensische Charakterisierung tatbeteiligter Personen dennoch sehr interessant.
Auch die mathematischen Methoden und Modelle, die verwendet werden, um aus den gemessenen Methylierungsdaten Schätzwerte für das Alter abzuleiten, sind zu vielfältig und zu kompliziert, als daß ich sie hier erklären könnte (bei einigen könnte ich es auch fachlich nicht, um ehrlich zu sein), aber wen es interessiert, möge gerne selber recherchieren zu multivariaten linearen und quadratischen Regressionsmodellen (MLRM bzw. MQRM), Support Vector Regressionsmodellen (SVRM), zu Maschinenlernalgorithmen wie Random Forest Regression (RFR; ich habe dazu mal laienhaft beschrieben, wie das in etwa funktioniert) und Generalisierten Regressions Neuronalen Netzwerken (GRNN).
In der Praxis funktioniert es dann so, daß wir z.B. aus einer getrockneten Blutprobe von einem Tatort, deren Urheber sich trotz zuvor bestimmten DNA-Profils nicht ermitteln läßt, das Alter und bei Bedarf die Ausprägungen äußerer Merkmale bestimmen und diese Information kann die Polizei dann in ihre Ermittlungsarbeit einfließen lassen.
Übrigens ist die Methylierungsanalyse nicht die einzige (aber im Moment eben die beste) Möglichkeit zur molekularen forensischen Altersschätzung: ich bin derzeit Kooperationspartner eines EU-geförderten Projekts namens “RNAgE” bei dem es um die Schätzung des Lebensalters anhand der Analyse differentiell exprimierter RNAs (#forensische RNA Analyse) geht. Im Moment sind wir noch mitten in der Datenauswertung, aber später werde ich hier im Blog sicher über die Ergebnisse des Projekts berichten.
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Referenzen:
[1] Fleckhaus J, Schneider PM. Novel multiplex strategy for DNA methylation-based age prediction from small amounts of DNA via Pyrosequencing. Forensic Sci Int Genet. 2020 Jan;44:102189. doi: 10.1016/j.fsigen.2019.102189
[2] Holländer, O., Schwender, K., Böhme, P. et al. Forensische DNA-Methylierungsanalyse. Erster, technischer Ringversuch der Arbeitsgruppe „Molekulare Altersschätzung“ der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin; Rechtsmedizin 31, 192–201 (2021). https://doi.org/10.1007/s00194-021-00492-7
[3] Naue, J., Pfeifer, M., Augustin, C., Becker, J., Fleckhaus, J., Grabmüller, M., … & Böhme, P. (2021). Forensische DNA-Methylierungsanalyse. Zweiter, technischer Ringversuch der Arbeitsgruppe „Molekulare Altersschätzung“ der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin; Rechtsmedizin, 31(3), 202-216.
[4] Lee HY, Jung SE, Oh YN, Choi A, Yang WI, Shin KJ. Epigenetic age signatures in the forensically relevant body fluid of semen: a preliminary study. Forensic Sci Int Genet. 2015 Nov;19:28-34. doi: 10.1016/j.fsigen.2015.05.014.
[5] Freire-Aradas, A., Phillips, C., & Lareu, M. V. (2017). Forensic individual age estimation with DNA: from initial approaches to methylation tests. Forensic science review, 29(2).
[6] Maulani, C., Auerkari, E.I. Age estimation using DNA methylation technique in forensics: a systematic review. Egypt J Forensic Sci 10, 38 (2020).
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