Ich habe aber die Vermutung, daß viele Leute, die eines dieser Extreme besonders stark ablehnen, vermeinen, mit dieser Ablehnung nur im anderen Extrem eine Heimat zu haben, auch wenn sie deren übrige Positionen zum Teil zwar gar nicht teilen, genau dieses dann aber hinnehmen. Das ist natürlich falsch, liegt aber vielleicht daran, daß „wir“ – oder eine Partei wie die PdH? -, die nicht zu den Extremgruppen gehören, nicht sichtbar, nicht bemerkbar genug sind. Und das ist vermutlich so, weil sich differenzierte, mehrere Blickwinkel einnehmende, rationale Positionen und die Bereitschaft, diese zu ändern oder anzupassen, wenn es guten Grund dafür gibt, nicht so gut für brüllbare Parolen und dreizeilige Plakate eignen.
Angenommen also, man nimmt Abstand davon, eine extreme Partei zu wählen; was bleibt? Wer will schon immer nur mit zugehaltener Nase „das kleinste Übel“ unter den Etablierten wählen und dafür eventuell etliche Kröten schlucken (wie es morgen sicher wieder viele in den USA tun werden), nur um einer Partei seine Stimme zu geben, die wahrscheinlich in den Bundestag kommt? Daß eine Stimme „verloren“ sei, wenn man eine „kleine“ Partei wählt, die voraussichtlich die 5%-Hürde nicht schaffen wird, war übrigens immer schon ein Quatschargument (würde das stimmen, wäre die AfD nie groß geworden, die 2013 noch unter 5% und 2017 über 12% der Stimmen erhielt).
Ich frage mich daher, ob meine Haltung / Position einfach extrem selten ist oder, falls nicht, wo die Ähnlichgesinnten sind, was sie wählen und warum. Daher die Frage an die Leser, die sich ähnlich verorten, wie ich: was wählt Ihr? Bzw., um es weniger persönlich zu machen: was würdet Ihr mir empfehlen, zu wählen? Und was erwartet Ihr von der politischen Zukunft? Bekommt die Welt noch einmal Trump und wird die AfD in Deutschland noch stärker (am stärksten)? Und kennt jemand ein historisches Beispiel, in dem derart polarisierte Gruppen wieder zueinander und zu einem Konsens wenigstens bei fundamentalen Dingen gefunden haben, ohne, daß es vorher einen (Bürger)Krieg, Genozid oder eine ähnlich schreckliche Eskalation gab?
Wenn Ihr noch Hoffnung habt, woher nehmt Ihr sie?
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Referenzen:
[1] Converse, P. E. (2006). The nature of belief systems in mass publics (1964). Critical review, 18(1-3), 1-74.
[2] Zaller, J. (1992). The nature and origins of mass opinion. Cambridge University.
[3] Tajfel, H., & Turner, J. C. (1979). An integrative theory of intergroup conflict. In W. G. Austin & S.
Worchel (Eds.), The social psychology of intergroup relations (pp. 33–48). Monterey, CA:
Brooks/Cole.
[4] Sunstein, C. R. zu “Echo chambers”, (2001). Republic.com. Princeton, NJ: Princeton University Press
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Anhang:
Meine eigenen Positionen zu den o.g. beliebten „Streitthemen“ (in ungeordneter Reihenfolge) habe ich hier für Interessierte ausformuliert. Sie sind immer „open for discussion“ und mittels besserer Argumente veränderbar:
Migration: ich bin für ein Recht auf Asyl aber entschieden gegen ungeregelte Ein- und Zuwanderung und zwar ganz insbesondere von Personen, die universelle Menschenrechte und die Werte einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ablehnen; ich bin für eine Obergrenze pro Jahr und für strenge Kriterien für die Einbürgerung (wozu auch nachzuweisende hohe Sprachkompetenz und ein verbindliches Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und dem Existenzrechts Israels gehören muß) und für entschlossene, zeitnahe Ausweisung / Abschiebung derer, die kein Bleiberecht bekommen oder die straffällig werden. – ist diese Position nun „links“ oder „rechts“?
Abtreibung: ich bin unbedingt für ein Grundrecht auf Abtreibung bis zu einem Zeitpunkt, wo noch kein Leid verursacht wird; ich bin dafür, den Abtreibungsparagraphen unverzüglich aus dem Strafrecht und überhaupt dem strafbaren Kontext zu nehmen. – ist diese Position nun „links“ oder „rechts“?
Selbstbestimmungsgesetz vs. Frauenrechte: es gibt beim Menschen zwei Geschlechter, die sich sinnvoll nur biologisch definieren lassen; man kann sein Geschlecht nicht wechseln und aus dem biologischen Geschlecht emergieren zahlreiche körperliche Unterschiede, die in sinnvollem Kontext (Medizin, Sportwettbewerb, Militär etc.) berücksichtigt werden müssen; ein „Selbstbestimmungsgesetz“ muß darauf beschränkt sein, daß ein Mensch in Folge einer bloßen Willensbekundung nur seinen Namen und seine bevorzugte Anrede durch den Staat ändern kann; keinesfalls darf dadurch der Anspruch entstehen, in dem nicht-eigenen Geschlecht vorbehaltene Räume oder Bereiche (damit meine ich auch Sportwettbewerbe) einzudringen, vom Kriegsdienst ausgenommen zu werden noch dürfen strafrechtliche Ermittlungen erschwert werden oder darf anderen die Pflicht auferlegt werden, die selbstgewählte „Identität“ in irgendeiner Form zu validieren; ich bin ferner dafür, „Frauenrechte“ auf die Rechte biologischer Frauen zu beziehen – ist diese Position nun „links“ oder „rechts“?
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