Für alle die’s interessiert: Die amerikanische National Academy of Sciences bietet auf ihrer Website ein Handbuch mit dem Titel “Science, Evolution, and Creationism” an (man kann es für etwa 12 Dollar bestellen oder kostenlos online lesen; eine Vorschau-Broschüre kann man sich hier als pdf-Datei gratis herunter laden). In dem Buch, das sich an Eltern, Lehrer, Schüler, aber auch an die für Lehrpläne verantwortlichen Schul- und Kommunalpolitiker richtet, soll erklärt werden, wie Wissenschaft grundsätzlich funktioniert und warum Kreationismus in all seinen Ausprägungen (eben auch als “intelligentes Design”) in der Schule nichts zu suchen hat.
Schlimm, dass es überhaupt eines solchen Buches bedarf. Noch schlimmer, dass diese Notwendigkeit im frühen 21. Jahrhundert größer scheint denn je. Und ich würde ja auch liebend gern die Schuld allein auf die Strömungen in der amerikanischen Gesellschaft schieben, die ihre sozialen und kulturellen Maßstäbe an den Vorgaben des 18. und 19. Jahrhunderts eichen und nichts für akzeptabel halten, was nicht mit dem Wortlaut der Bibel (so wie sie ihn verstehen, jedenfalls) in Einklang zu bringen ist. Oder auf die elitären Akademiker, die sich in kleinlichen Detaildiskussionen verlieren und dabei nicht merken, dass ihre Debatten als Beweis für die “Umstrittenheit” der Evolutionslehre missbraucht werden.
Aber so leicht ist es halt nicht. Erstens musste ich nach Veröffentlichung eines – bei seinem Erscheinen vor drei Jahren schon längst überfälligen, wie ich zugebem muss – Artikels in FOCUS feststellen, dass es auch in Deutschland genug Kreationisten gibt, denen ich damit auf die Zehen treten konnte. Sicher, fast die Hälfte aller Amerikaner glaubt, die Welt und die Menschheit seien in ihrer heutigen Form vor etwa 6000 Jahren erschaffen worden – aber vielleicht würden die Antworten in Deutschland gar nicht viel besser ausfallen, wenn wir denn danach fragen würden. Und zweitens war beispielsweise der Harvard-Professor Stephen Jay Gould (gest. 2002) nicht nur ein prominenter Evolutionsbiologe, sondern auch einer der populärsten und besten US-Wissenschaftsautoren überhaupt und ganz besonders einer der energischsten und (meiner Ansicht nach) kompetentesten Erklärer und Verteidiger der Evolutionstheorie.
An dieser Stelle müsste jetzt, von der Dramaturgie her, eigentlich irgend etwas kommen, was den “wahren Grund” für die Renaissance des Kreationismus enthüllt – aber ich habe leider keine Ahnung, was das wäre. Denn bibeltreue Frömmelei, menschliche Vorliebe für simple Erklärungen, garniert mit einer nicht ganz unverschuldeten Wissenschaftsphobie (die jeder nachvollziehen kann, der in seiner Jugend schlaflose Nächte aus Angst vor der Atombombe hatte) – all das gibt es bestimmt nicht erst seit diesem Jahrzehnt.
Aber egal, ob er nun eine Begleiterscheinung des “Rovismus” (nach dem ehemaligen Berater des amtierenden US-Präsidenten) ist, der Wahrheit für etwas hielt, das man durch konstantes Behaupten beliebig erschaffen kann, oder eine Gegenraktion auf eine zunehmend materialistische und rationale Welt, oder was auch immer: Bislang hat der Kreationismus mit seiner Idee vom “intelligenten Design” jedenfalls nur die überzeugen können, die eh’ schon daran geglaubt haben; alle Versuche, “ID” in Lehrpläne und ernsthafte wissenschaftliche Publikationen einzubringen, sind in den USA jedenfalls bisher gescheitert – und das, obwohl die Masse der Amerikaner an einen Schöpfer glaubt. Vielleicht hat das ja damit zu tun, dass man zwar alle Leute eine Zeitlang und manche Leute auch dauerhaft zum Narren halten kann – “aber nicht alle Leute, für alle Zeit”. Und das sagte niemand anderer als Abraham Lincoln, mit dessen Unterschrift am 3. März 1863 die amerikanische Akademie der Wissenschaft begründet wurde.
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