Dass der amtierende US-Präsident George W. Bush keine intellektuelle Leuchte ist, würde wohl nicht mal er selbst bestreiten wollen (auch wenn die Meldung, die vor einigen Jahren durch die Medien geisterte und ihm einen IQ von 91 zuschrieb, eine Ente war). Doch das eigentlich Beunruhigende ist, dass alle Inhaber des vermutlich mächtigsten Amtes der Welt seit Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend und vorsätzlich anti-intellektueller wurden. Diese These – die letzlich auch einen düsteren Schatten über die Wahlchancen des sehr eloquenten Barack Obama wirft – vertritt der US-Politologe Elvin Lim in seinem neuen Buch “The Anti-Intellectual Presidency“.
Die Betonung liegt dabei auf “anti-intellektuell”, was nicht gleichbedeutend ist mit “unintelligent”; Bill Clinton, unbestreitbar einer der intelligentesten Hausherren im Weißen Haus, war mindestens ebenso bemüht, jeden Anschein von Intellektualismus zu vermeiden wie sein Nachfolger. Aber “intellektuell” ist im populistischen Wahlsystem längst ein Schimpfwort geworden, gleichbedeutend mit “elitär”. Warum das so ist, darüber kann man vielleicht streiten, aber dass es so ist, bleibt leider unbestreitbar.
Lim untersuchte das Sprachniveau der Reden – Amtsantrittsreden ebenso wie die alljährlichen und von der Verfassungs vorgeschriebenen Reden zur Lage der Nation – aller Präsidenten seit George Washington; das Niveau der präsidialen Ausdrucksweise (das im so genannten Flesch-Test durch Parameter wie Wortlänge und Satzlänge gemessen wird) sei dabei von Hochschul-Niveau auf das Niveau von Achtklässlern gefallen. Bei anhaltendem Trend müsste das bedeuten, dass bis zur Mitte dieses Jahrhunderts die Rede zur Lage der Nation das sprachliche Niveau eines Comicstrips erreichen würde.
Während Washington und seine Zeitgenossen noch Sätze mit durchschnittlich mehr als 40 Wörtern formulierten, scheint den Präsidenten unserer Tage die Luft nach 20 Wörtern auszugehen; zwei Drittel der gesamten Sprechzeit wird mit erheischtem Applaus ausgefüllt. Statt Reden, so scheint es, haben sie nur noch “Soundbites” – zitierbare Aussprüche – zu bieten. Und auch die werden immer kürzer: Nixons Soundbites dauerten noch etwa 48 Sekunden, George W. Bush kommt mit etwa sieben Sekunden aus.
Nun ist Abwesenheit von Intellektualismus nicht gleich Anti-Intellektualismus, aber aus den Interviews, die Lim mit Generationen von präsidialen Redenschreibern führte, zeichnet sich dann doch ab, dass es ihnen nicht nur um joviale Volksnähe ging, sondern um bewusste Abgrenzung zu den Intellektuellen – die ja traditionell eher im linken Lager zu finden sind.
Bleibt die Frage, was Satzlängen und Wort-Vielsilbigkeit mit Intellektualismus zu tun haben. Aber Lim geht davoin aus – und belegt dies mit Vergleichsdaten für Texte von wissenschaftlichen Schriften über Medienberichte bis hin zu TV-Sitcoms – dass Komplexität der Sprache generell mit Komplexität der Inhalte korrespondiert. Als Journalist habe ich daran zwar einige Zweifel, da ich verständliche Ausdrucksweise nicht zwingend als “dumbing down” (also das bewusste Abmindern des Intelligenzniveaus) empfinde und umgekehrt nicht jeden, der seine Gedankenbandwürmer in verschlungenen Sätzen exkretiert, als intellektuellen Höhenflieger akzeptieren würde. Aber dass ab einem gewissen Niveau eine weitere Vereinfachung nur durch Verzicht auf Komplexität der Inhalte möglich ist, kann man ohne weiteres glauben. Und die Sprechblasen und Phrasen, die sowohl Clinton als auch George W. Bush anstelle von Inhalten abliefer(te)n, belegen dies.
Lim verbringt viel Zeit darauf, nach den Ursachen für diesen Trend zu suchen, aber ehrlich gesagt, es scheint mir gar nicht so wichtig, ob dahinter nun politisches Kalkül, Anbiederung an den kleinsten gemeinsamen Nenner oder die unvermeidliche Konsequenz einer echten intellektuellen Verarmung der Amerikaner auf breiter Basis steckt: Es scheint unbestreitbar zu sein, dass jeder Präsident seit Woodrow Wilson seinen Vorgänger an Volkstümlichkeit (Volks-Dümmlichkeit?) überboten hat. Und impliziert darf man vermuten – was Lim denn auch tut – dass dieses “dumbing down” auch einen Vorteil im Wahlkampf brachte. Sprich: Der bessere Volksverdummer gewinnt.
Wenn das aber stimmt, dann hat Barack Obama keine Chance: Er sei, so schrieb das Magazin “New York“, der “nationale oratorische Superheld – eine honigzüngige Frankenfusion von Lincoln, Gandhi, Cicero, Jesus und all unseren verehrtesten nationalen Akronymen (MLK, JFK, RFK, FDR)”. Jemand, der eine fesselnde, komplexe, nuancierte und ganze 5000 Wörter lange Rede zum Thema Rassismus halten kann. Jemand, der sein intellektuelles Licht vermutlich nicht gut genug unter den Scheffel stellen kann – und dafür ja schon mit dem Stigma des “Elitären” gebrandmarkt wurde:
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